Atom Egoyans »Felicia, mein Engel«

Scheinbar

»Felicia, mein Engel« bildet ziemlich exakt die Schnittmenge dessen, was ich im Kino nicht mag: Kostümfilme, Filme mit skurrilem Spießer als Hauptfigur, Variationen des Themas »Die Schöne und das Biest«, Serial-Killer-Filme, ausgestelltes Engländertum, gotischen Schwulst, augenzwinkernde Hitchcock-Hommagen und - ich gebe es zu - Bob Hoskins.

Die Arbeiten von Atom Egoyan hatten schon immer Pathos. Sie sind moderne filmische Opern (und manchmal Operetten), die genausogut hätten gesungen werden können. Sie handeln von Angst, Schuld, Ausbeutung, unvorhersehbaren Katastrophen, obskuren Projektionen, geheimen Wünschen und seelischen Abgründen. Themen aus dem 19. Jahrhundert, die mit Musik und überreifen Farben und Licht und Langsamkeit aus vergangenen oder ewigen Zeiten den Ablauf der Dinge in der Gegenwart störten. In einer Umgebung, die schon fast hyperrealistisch modern war. Aber sie ließen den Widerstand der Gegenwart gegen diese anderen Zeiten immer zu und zogen aus dieser Konstruktion ihr Spektakel und ihre beklemmende und peinliche Spannung. Da war nie ein Konflikt, der hätte ausgetragen werden müssen, sondern immer ein fast statisches Gegenüber: eine Unverträglichkeit.

In »Felicia, mein Engel« aber lässt Egoyan diese Spannung nicht zu. Es gibt keine Gegenwart noch deren Störung, und das macht den Film von der ersten Sekunde an langweilig: Hoskins spielt mit aller ihm zur Verfügung stehenden schauspielerischen Akrobatik das ältliche, schrullige und mörderische Muttersöhnchen Hilditch, und ihm gegenüber steht die ebenso unzeitgemäße, naive, in einem irischen Dorf aufgewachsene und von einem englischen Hallodri geschwängerte Felicia (Elaine Cassidy: Sie anzusehen, würde den Film aber dann doch fast noch lohnen).

Es gibt in dem Film nichts, was er verhandelt. Er entspinnt eine schon ziemlich früh durchsichtige Intrige und zelebriert dies mit der Egoyanschen Langsamkeit und betulichen kleinkrämerischen Sorgfalt. Bob Hoskins fährt in seinem lächerlichen Auto alle Viertelstunde an den Kühltürmen eines Atomkraftwerks vorbei, um uns daran zu erinnern, dass die Handlung in der Gegenwart spielt und nicht in den fünfziger Jahren. Selbst die Industrie, in der Hilditch/Hoskins als Kantinenwirt arbeitet, ist irgendwie prämodern: archaische Maschinen stellen Messinghülsen für die Mörsergranaten irgendwelcher Weltkriege her.

Manchmal gibt es Filme, die sind mit drei Sätzen hinreichend beschrieben. Diese Filme machen 90 Minuten nichts anderes, als ihre Inhaltsangabe zu illustrieren. »Auf der Suche nach dem britischen Soldaten, von dem sie schwanger ist, gerät das irische Mädchen Felicia in England an den scheinbar gütigen Kantinenwirt Hilditch.« Das ist nur ein Satz aus der Pressemitteilung, und trotzdem ist schon darin der gesamte Film enthalten. Aus dem Wort »scheinbar« versucht der Film seine Spannung zu ziehen.