Vom Premier zum Präsidenten

Stipe Mesic könnte in Kroatien die Nachfolge Tudjmans antreten. Erfahrung bringt er mit: 1991 war Mesic der letzte Vorsitzende des gesamtjugoslawischen Staatspräsidiums.

Ständig heißt es aus Brüssel, dass Kroatien, wenn es in die Europäische Union will, erst einmal zur europäischen Normalität finden müsse. Und ständig hört man aus Zagreb die Antwort, dass hier alles doch längst normal sei.

Manchmal stimmt das sogar. Denn bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen Anfang letzter Woche präsentierten sich tatsächlich ganz normale Kandidaten: Vier davon waren rechts, keiner links und alle männlich. Mit Tomislav Mercep trat sogar ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher an, dessen Einheit 1992 eine serbische Familie in Zagreb ermordet haben soll. Das Verfahren gegen ihn wurde wegen angeblicher Formfehler eingestellt.

Ende vergangenen Jahres, als Kroatiens langjähriger Staatspräsident Franjo Tudjman im Sterben lag, galt noch sein Außenminister Mate Granic als sicherer Nachfolger. In Umfragen erklärten viele Kroaten, sie würden den liberalen Repräsentanten der rechtsnationalistischen Regierungspartei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) wählen, um so ein Gegengewicht zu den Ultras unter seinen Parteifreunden zu schaffen.

Doch seit die HDZ Anfang des Jahres abgewählt wurde, braucht man Granic offensichtlich nicht mehr. Er kam auf gerade einmal 22 Prozent der Stimmen und verpasste die zweite Runde der Wahlen. Die Stichwahlen am 7. Februar machen die beiden Repräsentanten der Sestorka (Sechserbündnis) nun unter sich aus: Für Drazen Budisa von den Sozialliberalen (HSLS) stimmten 28 und für Stipe Mesic, dessen Kroatische Volkspartei (HNS) bei den Parlamentswahlen eher schlecht abgeschnitten hatte, 41 Prozent.

Vor der Wahl schien es so, als hätten sich die Sieger der Parlamentswahl - HSLS und die Sozialdemokratren der SDP - auf einen Deal geeinigt: Ivica Racan als SDP-Vorsitzender sollte das Amt des Regierungschefs übernehmen, während die Liberalen versuchen sollten, den konservativen Budisa als Präsidenten durchzusetzen. Aber die Rechnung ging nicht auf. Budisa, der unter Tito als kroatischer Nationalist drei Jahre im Gefängnis verbracht hatte, blieb deutlich hinter Stipe Mesic zurück.

Mesic war in den sechziger Jahren im Bund der Kommunisten aktiv, engagierte sich aber 1971 als Studentenfunktionär im so genannten Kroatischen Frühling - einer nationalistischen, studentisch dominierten Protestbewegung. Deswegen wurde er damals für ein Jahr inhaftiert.

1990 dann trat Mesic, zu dieser Zeit kroatischer Premierminister, der neu gegründeten HDZ bei und arbeitete gemeinsam mit Tudjman in der Parteiführung. Kurz vor Kriegsbeginn saß er als Vertreter der kroatischen Teilrepublik im jugoslawischen Staatspräsidium, dessen Vorsitz er 1991 übernahm. In dieser Funktion versuchte er, durch Verhandlungen mit den Generälen der Jugoslawischen Volksarmee den Ausbruch des Krieges zu verhindern, und setzte sich, wie er bis heute behauptet, für eine gesamtjugoslawische und demokratische Entwicklung ein. Der Politik der HDZ, die Mesic maßgeblich mitbestimmte, widersprach diese Position diametral.

Nach dem serbischen Angriff auf Kroatien im August 1991 verwandelte er sich in einen offenen Befürworter der kroatischen Unabhängigkeit. Nach der Proklamation des kroatischen Staates wurde Mesic zum ersten Parlamentspräsidenten. Zum ersten Zerwürfnis mit Präsident Tudjman sollten 1993 der kroatische Angriff auf Bosnien sowie Tudjmans Pläne zur Aufteilung des Landes zwischen Serbien und Kroatien führen. Auch in der Frage der Privatisierungen, die für Tudjman ein Mittel waren, seine Macht weiter auszubauen und den Krieg zu finanzieren, kam es zum Streit. Mesic wechselte zur Opposition und kritisierte fortan Tudjman scharf.

Auch bei der Auslieferung von kroatischen Soldaten an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag lag Mesic nicht auf HDZ-Linie: Er trat als Zeuge vor dem von der Partei politisch bekämpften Gericht auf und trug so dazu bei, die Umstände des Kriegsausbruchs zu erhellen. Auf die Frage des Nachrichtenmagazins Globus, ob er erneut als Zeuge in Kriegsverbrecherprozessen oder auch in Prozessen zur Kollaboration von Repräsentanten des Ustascha-Regimes mit den Deutschen während des Zweiten Weltkrieges aussagen würde, antwortete Mesic als einziger der Kandidaten mit »Ja«.

Populärer aber ist seine Forderung nach einer Neubewertung der Beziehungen zu den in Kroatien unbeliebt gewordenen bosnischen Kroaten. Etwa zwei Millionen Mark fließen täglich von Zagreb in die Herzegowina, um u.a. Polizei, Militär, Krankenhäuser, Renten und Lehrer zu bezahlen. Vielen Kroaten ist das mittlerweile zu viel.

Die meisten Stimmen dürfte Mesic von ehemaligen HDZ-Wählern bekommen haben, die sich bereits bei der Parlamentswahl enttäuscht von der Staatspartei abgewendet hatten. Doch auch jene, die bis heute zur HDZ halten, kamen an ihm kaum vorbei, da dem eigenen Kandidaten Granic zuletzt kaum noch Chancen eingeräumt wurden.

Die HDZ-Rechte hatte keinen Präsidentschaftskandidaten gestellt und der Bewerber der Faschistenpartei HSP, Ante Djapic, wurde während des Wahlkampfs zur Spottfigur: Als Mitte Januar bekannt wurde, dass ein Parteifreund Djapics Doktorarbeit geschrieben hatte, verlor der HSP-Kandidat seinen Doktortitel.

Somit besteht Mesics Konkurrenz nur aus Drazen Budisa, der vor Schwierigkeiten innerhalb der Regierungskoalition warnt, sollte Mesic Präsident werden. Doch selbst Premier Racan scheint sich schon damit arrangiert zu haben, dass sein Wunschpartner es nicht ins Präsidentenamt schafft. Seine Unterstützung für Budisa während des Wahlkampfes wurde umso leiser, je deutlicher Mesic in Führung ging.

Doch wer auch immer die Stichwahlen am 7. Februar gewinnt, die Macht von Tudjman wird ihm vorenthalten bleiben: Alle Parteien haben sich darauf geeinigt, die politische Bedeutung des Präsidenten zu reduzieren und auf ein Parlament mit einer größeren Machtbefugnis zu setzen.