Irischer Knoten

Der Friedensprozess in Nordirland steht vor dem Aus.

David Trimble hat seine Rücktrittserklärung längst unterzeichnet. Seit November letzten Jahres liegt das Dokument, das dem Friedensprozess in Nordirland ein zumindest vorläufiges Ende setzen könnte, im Tresor des festungsartig ausgebauten Hauptquartiers seiner Ulster Unionist Party (UUP) in Belfasts Shankill Road. Sollte der kanadische General John de Chastelain, der die Abrüstungskommission leitet, nicht noch in dieser Woche einen Bericht vorlegen, in dem steht, dass die IRA zumindest einige Waffen abgegeben hat, dann wird der Parteirat der UUP den »Ersten Minister« Trimble auffordern, das Dokument dem britischen Nordirland-Minister Peter Mandelson zu überreichen.

Ein Bericht des Abrüstungsgenerals hatte vergangene Woche deutlich gemacht, in welche Krise der Friedensprozess geraten war: Bislang, so hieß es darin, habe die IRA keine nachvollziehbaren Schritte unternommen, die auf eine baldige Waffenabgabe hindeuten könnten.

Das könnte eigentlich egal sein, denn im so genannten Karfreitagsabkommen, das die Modalitäten des Übergangs zur Normalität in Nordirland regeln soll, steht kein Wort von einem Termin im Februar. Nach dem Vertragstext gilt das Selbstverwaltungsexperiment erst dann als gescheitert, wenn die Waffen aller - auch der loyalistischen - paramilitärischen Gruppen nicht am 22. Mai vernichtet sein sollten. Den Februar-Termin hat Trimble selbst gesetzt, freilich nicht ganz freiwillig: Nur mit dem Versprechen, aus der Regierung auszutreten, wenn die IRA nicht innerhalb der ersten beiden Monate nach deren Einsetzung die ersten Waffen abgegeben hat, konnte Trimble die Hardliner in seiner eigenen Ulster Unionist Party (UUP) zur Mitarbeit in der Regionalverwaltung bewegen.

Damit führte er zwar eine Klausel ein, die nicht Gegenstand des Abkommens war, das die Bevölkerung beider Teile Irlands mit großer Mehrheit gutgeheißen hat. Doch die IRA und die ihr nahe stehende Partei Sinn Féin wussten um dieses Problem, als sie in die Regierung eintraten. Jetzt gefährdet die IRA den Friedensprozess insgesamt, indem sie Trimble die Möglichkeit nimmt, vor der eigenen Partei das Gesicht zu wahren. Das ist um so unverständlicher, als sowohl der Sinn-Féin-Führer Gerry Adams als auch die IRA-Untergrundführung nicht müde werden zu betonen, Partei und Bewegung seien dem Gedanken der Abrüstung »absolut verpflichtet«. Das gälte es zumindest durch eine symbolische Geste zu beweisen.

Doch gerade die Symbolik einer jeden Handlung ist es, die es für die einstigen Bürgerkriegsparteien in Nordirland so schwierig macht, aufeinander zuzugehen. Für die Mehrzahl der IRA-Gunmen, die ihre Waffen aufgeben müssten, verwandelte Trimbles Ultimatum, so einfach es technisch zu erfüllen wäre, das durch eine Abstimmung legitimierte Karfreitagsabkommen in einen einseitigen Erpressungsversuch. Und auf den reagiert man in Irland traditionell stur: »No surrender! Not a bullet!« heißt das in der Sprache der IRA. Damit ist eine Situation geschaffen, in der das Friedensabkommen nur um den Preis halten kann, dass eine der beiden Parteien einen Gesichtsverlust riskiert. Und das ist, analysieren scharfsinnige Beobachter, »nicht sehr wahrscheinlich«.

Kaum denkbar ist es allerdings auch, dass der zusätzliche Druck auf die IRA irgendwelche Erfolge zeitigt, den Nordirland-Minister Mandelson mit einem Gesetz aufbauen will, das er am Freitag im Londoner Unterhaus einbrachte. Damit soll die nordirische Selbstverwaltung auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden, angeblich, um den gegnerischen Parteien Gelegenheit zu geben, unbelastet von der Regierungsverantwortung wieder zur Besinnung zu finden.

Wahrscheinlicher ist, dass die IRA jeden Gedanken an eine Abgabe ihrer Waffen endgültig fallen lässt, wenn ihr auf diese Weise die Pistole auf die Brust gesetzt wird. Das erkannte am vergangenen Samstag auch Mandelson. Rasch schob er daher hinterher, »deutliche Veränderungen zum Besseren, die zuverlässig darauf hindeuten, dass die Entwaffnung stattfinden wird«, würden in seinen Augen auch schon ausreichen, um die abermalige Direktverwaltung aus London zu verhindern.

Leider aber kommt es nicht allein darauf an, was Mandelson für ausreichend befindet, sondern vor allem darauf, was die Mehrzahl der 860 UUP-Delegierten zu dem Schluss bringen könnte, dass es sinnvoll ist, in der Regionalregierung zu bleiben. Und bisher scheint auch nicht der Hauch eines solchen Anreizes in Sicht zu sein. Die UUP definiert sich in einem Netz von Querverbindungen zur britischen Armee, zu den rechtsverschwörerischen Orange Orders, zu terroristischen Todesschwadronen wie der Ulster Volunteer Force sowie zur Royal Ulster Constabulary (RUC), der unter dem Karfreitagsabkommen von der Auflösung bedrohten Polizeitruppe Nordirlands. Jede einzelne dieser Gruppierungen sieht sich als Verlierer des Friedensprozesses, jeder einzelnen wäre es am liebsten, wenn die alten Zeiten der Direktverwaltung am besten sofort wiederkämen. Bevor nicht die ersten Bilder von zerstörten AK-47 über die Fernsehschirme flimmern, hat Trimble keinerlei Chance, eine Abstimmung im UUP-Parteirat zu gewinnen.

Doch das wird er vielleicht auch gar nicht müssen: Der einzige Effekt, den Mandelson mit einer Suspendierung der Regionalregierung erreichen könnte, wäre die Rettung der Figur David Trimble. Wenn London mit seinem Gesetz einem von der UUP-Basis erzwungenen Rücktritt zuvorkäme, dann wäre Trimble nicht verbrannt und könnte nach einer Aufhebung des Ukas aus London weiterregieren.

Doch mit welcher Mehrheit? Niemand kann sich vorstellen, dass die Sinn-Féin-Führung ebenso wenig nachtragend wäre - und die Basis der Partei, die weitgehend deckungsgleich mit der sozialen Basis der IRA ist, schon gar nicht. Zwar findet die Arbeit der vor zwei Monaten eingesetzten Regionalregierung über die Konfessionsgrenzen hinweg Beifall, zwar erhoffen sich Gewerkschaften und Bauernverbände in dem wirtschaftlich darniederliegenden Landesteil von der Selbstverwaltung sehr viel. Freilich könnte Trimble mit einem Bündnis regieren, das neben der gemäßigt nationalistischen SLDP und der unabhängigen Alliance Party auch die DUP des protestantischen Ultras Pastor Ian Paisley einschlösse.

Doch was würde das bringen? Die IRA hat bereits deutlich gemacht, dass es ganz bestimmt keine Abrüstung geben wird, wenn Sinn Féin nicht an der Macht beteiligt wird. Ohne eine Abgabe der IRA-Waffen wiederum wird auch die britische Armee nicht zu einem Abzug ihrer Spezialeinheiten bereit sein. In einer solchen Situation wäre es nur eine Frage der Zeit, bis irgendeine dissidente IRA-Gruppierung oder eine der protestantischen Todesschwadronen erneut eine Bürgerkriegssituation herbeibombt.

Mit einer hektischen Besuchs- und Telefondiplomatie wurde am vergangenen Wochenende versucht, zu retten, was noch zu retten ist. Im südwestenglischen Cornwall traf sich der britische Premier Anthony Blair mit seinem irischen Kollegen Albert Ahern, der vorher telefonisch mit der IRA-Führung konferiert hatte. Über Telefon schaltete sich auch US-Präsident William Clinton in die Verhandlungen ein. In Dublin versuchte Ahern, Gerry Adams zu einem Einlenken zu überreden. Allein, er scheiterte daran, dass er offenbar den falschen Adressaten gewählt hatte. Würde er gegenüber der IRA die Forderung nach Abrüstung noch deutlicher vertreten, signalisierte Adams vorsichtig, so wäre er die längste Zeit Mitglied der Sinn-Féin-Führung gewesen.

Am Beginn des Friedensprozesses hatte eine Erklärung der IRA gestanden, die besagte, dass man den Führungsanspruch der Sinn Féin anerkenne. Womöglich endet er jetzt damit, dass sich das als Lüge herausstellt.