Blutige Ernte

Die konservative Volkspartei von Ministerpräsident Aznar nutzt das Pogrom im südspanischen El Ejido, um das gerade liberalisierte Einwanderungsgesetz wieder zu verschärfen.

Sie kamen mit Messern, Baseballschlägern und Eisenstangen: Tausende Einwohner der südspanischen Stadt El Ejido in der Provinz Almer'a machten sich vergangene Woche auf zur »Mauren-Jagd«. Ganze Schulklassen beteiligten sich geschlossen an der Hatz auf die marokkanischen Einwanderer im Ort.

Obwohl es in El Ejido - die Provinz Almer'a hat mit 30 Prozent einen überproportional hohen Ausländeranteil - immer wieder Konflikte gegeben hatte, sind dies die schwersten fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Spanien seit dem Tod des Diktators Francisco Franco. Zusätzliche Bedeutung bekommen die Ereignisse in der südspanischen Provinz durch die am 12. März anstehenden Parlamentswahlen: Die regierende konservative Partei (PP) nutzt das Pogrom, um das neue Einwanderungsgesetz zu demontieren.

Die Gewalt in Ejido hatte sich entzündet, nachdem ein vermutlich psychisch kranker Marokkaner am vorvergangenen Wochenende die 26jährige Spanierin Encarna L-pez erstochen hatte. Nach Behauptungen der Einheimischen war dies der dritte Mord durch nordafrikanische Einwanderer innerhalb von zwei Wochen. Als die junge Frau zu Grabe getragen wurde, brach der »Volkszorn« los. Die aufgebrachte Menge zerstörte Wohnungen von Einwanderern, verwüstete deren Restaurants und Geschäfte. »Ich konnte mich mit meinen Freunden gerade noch aus dem brennenden Haus retten. Die haben es einfach angezündet und warteten draußen, um uns zu verprügeln«, berichtete ein marokkanischer Immigrant völlig aufgelöst. Zahlreiche Ausländer flohen vor der aufgebrachten Meute ins Gebäude der örtlichen Polizei, andere versteckten sich im umliegenden Gebirge vor den Angreifern. Das Rote Kreuz musste Tausende Marokkaner mit Wasser und Nahrung in der bergigen Umgebung des Ortes versorgen.

Auffällig war bei der Hetzjagd besonders die Passivität der Polizei. Nach dem ersten Tag der Krawalle gab es nicht eine einzige Festnahme, obwohl fast alle Brandstifter und Schläger der Polizei mit Namen bekannt sind. Erst am dritten Tag der Pogrome kam es zu elf Festnahmen.

»Schuld an den Ausschreitungen sind vor allem die NGOs, die den Einwanderern immer wieder ihre Rechte als Arbeitnehmer vorpredigen und sie gegen die spanischen Arbeitgeber aufhetzen. Außerdem lungern die Ausländer ständig in großen Gruppen herum. Das provoziert doch die Nachbarn«, versucht Juan Enciso, Bürgermeister von El Ejido, die fremdenfeindlichen Ausschreitungen zu erklären. Und ergänzt: »Wenn man hier eine Wohnung an zwei marokkanische Arbeiter vermietet, trifft man eine Woche später gleich dreißig Personen in der Wohnung an.«

Das Paradoxe an der ganzen Geschichte ist jedoch, dass Spanien und speziell die Provinz Almer'a auf die ausländischen Einwanderer angewiesen sind. In den kommenden drei Jahren sollen bis zu einer Million Gastarbeiter über Saisonverträge nach Spanien kommen, womit sich der Ausländeranteil von derzeit rund 800 000 mehr als verdoppeln würde. Spanien benötigt allein schon wegen der Überalterung seiner Bevölkerung eine großzügige Einwanderungspolitik. Obwohl in Spanien derzeit rund 1,6 Millionen Menschen ohne Job sind, klagen die andalusischen Unternehmer über fehlende Arbeiter.

Die meisten Marokkaner werden als Erntehelfer auf den Gemüsefeldern gebraucht oder verrichten Arbeiten, für die sich die Spanier zu schade sind. Die Angriffe richteten sich zwar gegen alle marokkanischen Einwanderer, bevorzugt fluchen die Einwohner aber über die illegalisierten Immigranten. Doch von diesen Illegalen lebt die Agrarindustrie vor Ort: Während spanische Lohnarbeiter auf den Gemüseplantagen für rund vier Euro arbeiten, erhalten die Illegalen nur knapp einen Euro. Bei Schwierigkeiten werden sie einfach entlassen.

Das könnte sich bald ändern. Denn die Ausschreitungen gegen die marokkanische Bevölkerung sind begleitet von der zweiten großen Legalisierungskampagne von Ausländern in Spanien. Seit dem 1. Februar können die rund 80 000 illegalen Zuwanderer, die vorwiegend aus dem Maghreb stammen, ein offizielles Aufenthaltsrecht erlangen. Damit haben sie nicht nur Zugang zum spanischen Kranken- und Bildungssystem, sondern können auch ihre nächsten Verwandten nachholen. Das liberalisierte Einwanderungsgesetz gesteht auch den vielen marokkanischen Plantagearbeitern in El Ejido einen Mindestlohn sowie Sozial- und Krankenversicherung zu. Für die andalusischen Gutsherrn hat dies zur Folge, dass sie den Ausländern nicht mehr als einen Hungerlohn für dreizehn Stunden Schwerstarbeit bezahlen müssen.

Die Bewohner von El Ejido fühlen sich nun als Opfer der spanischen Einwanderungspolitik. Sowohl die Provinzregierung als auch das neue Einwanderungsgesetz machen sie für die Konflikte verantwortlich. Das bekam auf der Trauerfeier für die ermordete Spanierin auch der Vertreter der Provinzregierung zu spüren. Er musste sich vor der aufgebrachten Menge in die Kirche retten.

»Der Mord in El Ejido ist ein bedauernswertes Verbrechen, doch das rechtfertigt doch nicht die mörderische Verfolgung aller marokkanischen Einwanderer. Das passiert nicht einmal in Österreich. Und obwohl die spanische Regierung Haiders Aufstieg verurteilt, nutzt sie hier die Ausländerhetzerei aus, um noch gegen das liberalisierte Einwanderungsgesetz zu wettern«, erklärt Abdel Hamid Beyuki, Präsident der Vereinigung der marokkanischen Einwanderer und Arbeiter in Spanien (Atime).

Tatsächlich versucht die regierende konservative Volkspartei (PP) jetzt, die Ausschreitungen gegen das neue Gesetz zu richten. Monatelang feilte die konservative Regierungspartei an der Gesetzesvorlage des Kongresses herum, um es zu verschärfen. Doch die Koalitionspartner aus Katalonien und den Kanarischen Inseln hielten die Modelle für durchaus zukunftsträchtig. »Wir sind für Einwanderung, aber die Immigration muss rational und kontrollierbar bleiben, sonst geschehen erschreckende Ausschreitungen wie in El Ejido«, wetterte etwa Regierungssprecher Josef Piqué gegen das neue Einwanderungsgesetz.

»Wenn man solche Kommentare von einem Regierungsmitglied hört, kann man nur an eine Sache denken: Koffer zu packen«, gesteht der marokkanische Vertreter Beyuki. Der spanische Ministerpräsident José Mar'a Aznar verurteilte die fremdenfeindlichen Ausschreitungen und kündigte juristische Schritte gegen die Randalierer an. Gleichzeitig ließ auch er sich jedoch nicht die Gelegenheit nehmen, die »Unzufriedenheit der Bevölkerung« mit den neuen Einwanderungsrechten zu unterstreichen. Eine durchaus populäre Meinung. Nach einer staatlichen Umfrage im Januar glaubten 75 Prozent der Spanier, dass es bereits zu viele Einwanderer gebe - bei einer Ausländerquote, die nicht einmal die Zwei-Prozent-Marke erreicht. Außerdem sahen es rund 54 Prozent der Befragten als erwiesen an, dass Ausländer Arbeitsplätze wegnehmen und die Löhne drücken.

Die Spannung hielt jedoch bis zum Wochenende an. Die Immigranten sind als Reaktion auf das Pogrom mit Unterstützung der Gewerkschaften in einen Streik getreten, der nun ernsthaft die anstehende Ernte bedroht. Die Bauern haben auch darauf eine Antwort parat: Sie werben nun Immigranten aus Osteuropa an.