General mit Bombe

Das neue Militär-Regime in Pakistan gibt sich gemäßigt, hält aber am Jihad in Kaschmir fest.

Ich fühlte mich hilflos. Es war eine sehr gespannte Situation.« Sarwat Hussein, Pilot der Pakistan International Airlines, hatte von der Bodenkontrolle in Karachi die Anweisung erhalten, keinesfalls in Pakistan zu landen. Für den Flug zu einem ausländischen Flughafen reichte jedoch der Treibstoff nicht mehr, und der Hinweis auf einen drohenden Crash führte nur dazu, dass die Landebahn mit Lastwagen blockiert wurde. »Ich kam zu dem Schluss«, erklärte Hussein vor Gericht, »dass es wegen der Anwesenheit des Generalstabschefs Musharraf an Bord war.« Auch die Aussagen von Fluglotsen und Polizeioffizieren haben die Version des neuen Militär-Regimes über die Ereignisse am 12. Oktober 1999 bestätigt, nach der der damalige Premierminister Nawaz Sharif versucht hatte, die Rückkehr des gerade von ihm entlassenen Generalstabschefs von einem Auslandsaufenthalt unter allen Umständen zu verhindern.

In dem Prozess gegen Sharif und sechs Mitangeklagte wird an einer Gründungslegende der neuen Machthaber gestrickt, um den Putsch der Militärs im Oktober 1999 zu rechtfertigen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Zeugen im Prozess gegen Sharif unter Druck gesetzt wurden, um den Ereignissen die vom Militär gewünschte dramatische Note zu geben. Die Generäle hätten wohl einige Mühe zu erklären, wie sie in weniger als einer Stunde ganz spontan ihren Putsch organisierten und durchführten. Da der Prozess an einem der unter Sharif eingerichteten »antiterroristischen« Sondergerichte stattfindet, wird wohl niemand solche Fragen stellen können. Der Schuldspruch ist Sharif sicher.

Er kann allerdings darauf hoffen, dass die Putschisten auf eine Hinrichtung verzichten. Das neue Regime will gemäßigt erscheinen, Staatschef Musharraf gibt sich in der Öffentlichkeit ein betont weltoffenes und säkulares Image, vor allem, um das Wohlwollen der westlichen Staaten wiederzugewinnen. Er versprach ein härteres Vorgehen gegen militante islamistische Gruppen und will die Taliban von ihrem Bündnis mit Ussama Bin Laden abbringen. Sogar gegenüber Indien gab es Gesten der Entspannung.

Nur die harte Hand eines Generals, so Musharrafs Botschaft an die westlichen Staaten, kann die weitere Destabilisierung Pakistans und der Region verhindern. Die Botschaft scheint angekommen zu sein. »Der Putsch wurde von den USA und den westlichen Staaten trotz ihrer ursprünglichen Bedenken als ein de facto erfolgreicher Putsch akzeptiert«, stellt M.S. Qazi in der pakistanischen Tageszeitung Frontier Post fest. Noch allerdings zögert US-Präsident Clinton, ob er bei seiner Asien-Reise im März auch Pakistan besuchen soll.

Indien, aber nicht Pakistan zu besuchen, erklärte Musharraf, würde indische Aggressionsgelüste bestärken: »Ich würde es wirklich bedauern, wenn dieser Besuch zu einem Anstieg statt zu einem Abbau der Spannungen beitragen würde.« Das kann auch als Drohung verstanden werden, da in den letzten Jahren militärische Provokationen fast immer von pakistanischer Seite ausgingen. Der Vorstoß Pakistans in Kaschmir im Sommer 1999 brachte beide Länder an den Rand eines Krieges. Musharraf war als Generalstabschef der eigentliche Verantwortliche für diese Offensive. Stehen hinter dem Putsch jene Kräfte, die Sharif damals Verrat vorwarfen, weil er den Rückzug anordnete?

Musharraf wurde zum Generalstabschef, weil er als »unpolitisch«, das heißt keiner der Fraktionen im Offizierskorps zugehörig galt. Entgegen manchen Befürchtungen haben islamistische Kräfte dort noch nicht die Übermacht, und die großen islamistischen Organisationen wie die Jamiat i-Islami (JI) und die Jamiat i-Ulama i-Islam (JUI) begrüßten den Sturz des »Verräters« Sharif, halten aber Distanz zum neuen Regime.

Als Musharraf sich zu seiner Bewunderung für Kemal Atatürk, den säkularen Staatsgründer der Türkei, bekannte, warnte JI-Führer Qazi Hussein Ahmad vor den Versuchungen des Säkularismus: »Das Volk und die bewaffneten Streitkräfte Pakistans werden ein solches System nicht tolerieren.« Die JI soll unter hohen Offizieren viele Anhänger haben, während die JUI bei den unteren Rängen an Einfluss gewonnen hat. Noch aber dominieren nationalistische Offiziere, die meinen, islamistische Gruppen für ihre innen- und außenpolitischen Ziele nutzen zu können.

Die Islamisierung begann in der letzten Epoche der Militärherrschaft 1977 bis 1988 unter Zia ul-Haq, als Pakistan von den USA und den Golfmonarchien zur Basis für den Kampf gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan aufgebaut wurde. Anfang der neunziger Jahre fühlte sich das militärische Establishment dann stark genug, eigene Ziele zu verfolgen - der »Jihad« pakistanischer Islamisten verlagerte sich nach Kaschmir.

Nach dem Übergang zu einer formalen Zivilherrschaft blieben viele der unter der Militärherrschaft geschaffenen »islamischen« Gesetze und Institutionen erhalten. Die zivile Oligarchie sah in ihnen ein willkommenes Mittel, jede gesellschaftliche Modernisierung zu blockieren. Armee und Geheimdienst überließen die alltägliche Verwaltung des Elends Zivilisten, während sie die Außen- und Militärpolitik bestimmten.

Warum die Generäle diese bequeme Stellung verlassen haben, ist noch nicht ganz klar. Während über den politisch-ideologischen Kurs noch hinter den Kulissen gerungen wird, festigt das Regime zielstrebig seine Macht. Zwar wurden Kommunalwahlen noch für dieses Jahr in Aussicht gestellt, aber gegenüber US-Journalisten erklärte Musharraf Anfang Februar, er werde die Macht erst abgeben, wenn er seine Ziele erreicht und das Land gestärkt habe.

Auch in den Provinzen sitzen jetzt Offiziere an den Spitzen der Verwaltung. Ende Januar wurde den Bundesrichtern und den obersten Richtern der Provinzen befohlen, auf eine vom Militär-Regime vorgelegte »Übergangsverfassung« zu schwören. Immerhin 21 von 115 weigerten sich, ernsthafte Probleme bei der Durchsetzung seiner Macht aber hatte Musharraf bislang nicht.

Das neue Regime wird von der Mehrheit akzeptiert, Sharif hatte sich mit seiner repressiven und korrupten Herrschaft isoliert. Populär ist die Antikorruptionskampagne des Nationalen Rechenschaftsbüros, allerdings gibt es, so Qazi in der Frontier Post, »einen starken Eindruck, dass es langsam arbeitet und nur auf eine bestimmte Klasse von Politikern und Bürokraten zielt«.

Ansonsten setzt das neue Regime die Innenpolitik Sharifs mit anderem Personal fort. Fortan liegen Militär- und Außenpolitik in einer Hand. Wenn Pakistan, wie von Indien behauptet, an der Entführung eines indischen Verkehrsflugzeuges nach Afghanistan Ende Dezember 1999 beteiligt war, wusste Musharraf davon. Die Täter stammen aus dem Umfeld von Pakistan unterstützter islamistischer Gruppen in Kaschmir, wurden aber nicht eindeutig identifiziert. Musharraf hält an der moralischen Berechtigung des »Jihad« in Kaschmir fest.

Auch Indien trägt wegen seiner brutalen Unterdrückungspolitik und der Weigerung, über politische Lösungen zu verhandeln, Mitverantwortung für den Konflikt in Kaschmir. Doch Indien verteidigt den Status quo, Pakistan geht ihn mit militärischen Mitteln an. Die Hoffnung, die Gefahr eines Atomkrieges - beide Staaten führten im Mai 1998 Atomtests durch - werde die Kontrahenten zu militärischer Zurückhaltung zwingen, hat sich nicht erfüllt.

Dass jetzt erstmals in der Geschichte ein Militär-Regime im Besitz von Atombomben ist, wird die Lage sicher nicht verbessern. Für gewöhnlich ist es im Winter an der Waffenstillstandslinie ruhig, zur Zeit aber gibt es fast wöchentlich Zusammenstöße. Spätestens, wenn die Legitimität des Militär-Regimes schwindet, wird Musharraf der Versuchung nicht widerstehen können, das nationalistische Feuer weiter anzuheizen.