La Huelga continua

Die polizeiliche Räumung der Unam in Mexiko-Stadt hat der Studierenden-Bewegung unerwartet neuen Auftrieb gegeben.

So viele Menschen demonstrierten in Mexiko-Stadt schon lange nicht mehr. Statt dem seit zehn Monaten andauernden Streik an der Nationalen Universität (Unam) ein Ende zu bereiten, hat die martialisch in Szene gesetzte polizeiliche Räumung des Campus eine breite Bewegung zur Unterstützung der Studierenden provoziert. Über 100 000 Menschen zogen Mittwoch vergangener Woche in einem der größten und militantesten Protestzüge der letzten Jahre durch das Zentrum der mexikanischen Hauptstadt. An anderen Universitäten fanden eintägige Solidaritätsstreiks statt.

Nicht nur die Zahl der Demonstranten stellt eine unerwartete Unterstützung für die Streikenden dar, sondern auch die Allianz, die zum Protest gegen die Repression aufrief. Zahlreiche Intellektuelle und die soft-linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD), die sich in den letzten Wochen immer vehementer gegen eine Weiterführung des Streiks ausgesprochen hatten, demonstrieren nun wieder gemeinsam mit den zuvor verschmähten ultras des Zentralen Streikrates CGH, wie die Radikalen genannt werden. Die alle vereinende Forderung: »Freiheit für die politischen Gefangenen«.

Von den insgesamt 998 Gefangenen der Streikbewegung, die nach der Räumung des Campus durch über 2 000 Militärpolizisten im Morgengrauen des 6. Februar im Kittchen saßen, wurden inzwischen 656 wieder freigelassen. Die restlichen 342 befinden sich allerdings immer noch hinter Gittern. Sie sind nach Angaben ihrer Eltern teilweise in das seit der Niederschlagung der Studierendenproteste 1968 für seine Folterkeller berüchtigte Campo Militar No. 1 verlegt worden.

Die Streikbewegung versucht indes, sich zu reorganisieren. Das Plenum des CGH trifft sich nun auf dem Gelände der zweiten großen staatlichen Universität in Mexiko-Stadt, der UAM-Xochimilco. Dort hatten sich bereits zwei Tage nach der Räumung wieder 800 Delegierte versammelt, die die Fortführung des Streiks beschlossen. »Solange auch nur ein Mitglied unserer Bewegung inhaftiert ist, gibt es keine Möglichkeit, den Lehrbetrieb wieder aufzunehmen. Solange der Dialog nicht wieder aufgenommen wird und auf diesem Weg alle unsere Forderungen erfüllt werden, gibt es keine Rückkehr in die Seminare«, erklärt Alfredo Montera vom CGH kategorisch.

Der CGH hat weiterhin beschlossen, an seinem Sechs-Punkte-Katalog festzuhalten. Die Studierenden wenden sich darin gegen die Erhebung von Studiengebühren, restriktive Zugangsregelungen an der Unam und die befürchtete Privatisierung der staatlichen Universität. Außerdem fordern sie einen Kongress, auf dem unter Beteiligung von Studierenden, Lehrenden, der Uni-Leitung und der Angestellten die Unam einer gründlichen Reform und Demokratisierung unterzogen werden soll.

Auf Versammlungen der bestreikten Institute soll nun über die weitere Strategie beraten werden. Obwohl die Situation für den CGH nicht ganz so düster aussieht, wie nach der polizeilichen Räumung befürchtet worden war, stehen die Streikenden vor gravierenden Problemen. So scheint derzeit die Frage, wie aus der Solidaritätswelle für die Gefangenen eine neue politische Offensive für die Erfüllung ihrer Forderungen entwickelt werden kann, ziemlich hypothetisch. Denn nach fast zehn Monaten ist die Bewegung erschöpft, und auch im CGH wurde in den letzten Wochen der Wunsch nach einer schnellen Rückkehr in den Lehrbetrieb immer lauter.

Dennoch ist der CGH in den letzten Monaten zu einem Fokus geworden, in dem sich die radikale Opposition in Mexiko bündelt. Die konkreten Forderungen des Sechs-Punkte-Katalogs beschränkten sich zwar auf die Probleme des Universität, sie werden aber von der Streikbewegung im Kontext einer grundsätzlichen Kritik am autoritären politischen System und an den neoliberalen Strukturreformen begriffen. So ergaben sich Allianzen mit den Zapatistas in Chiapas, den Stadtteil-Bewegungen in Mexiko-Stadt, den Bauernorganisationen in Guerrero und den protestierenden Elektrizitätsarbeitern, die gegen die Privatisierung ihres Unternehmens kämpfen. Durch eine militante Aktion vor der US-Botschaft erklärte sich der CGH auch mit den Protesten gegen das WTO-Treffen in Seattle solidarisch

Gerade weil sich die Studierenden-Bewegung allgemeinpolitisch aufgeladen hat, besitzt ihr Kampf nun einen Symbolcharakter für die gesamte radikale Opposition, für die eine Niederlage an der Unam ein Rückschlag wäre.

Das taktische Dilemma für den CGH ist nun, ob mit Rektor Juan Ram-n de la Fuente verhandelt werden soll, obwohl noch Gefangene im Gefängnis sitzen. Schnelle Verhandlungen könnten der Regierung in der jetzigen Situation vielleicht Kompromisse abnötigen; andererseits würde der CGH Gefahr laufen, die Gefangenen zu vernachlässigen. Wenn der CGH allerdings auf der Freilassung der Gefangenen besteht, bevor er zu Verhandlungen über die sechs Punkte bereit ist, könnte sich die politische Konjunktur wieder zu Ungunsten der Streikenden verändert haben.

Genau daran sind natürlich die Regierung unter Präsident Ernesto Zedillo von der seit 71 Jahren regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) sowie Unileitung, Unternehmerverbände und Teile des katholischen Klerus interessiert. Sie machen weiter Druck, um ein möglichst schnelles Ende der Proteste zu erreichen. Propagandistische Rückendeckung erhalten sie durch eine aggressive Kampagne der Fernsehanstalten. Kurz nach der Räumung der Unam zeigten die Nachrichten Bilder von Marihuanapflanzen und Waffen, die in angeblich in den besetzten Gebäuden gefunden wurden. Und während sich der vier Kilometer lange Protestzug gegen die Repression über die sechsspurige Avenida de Reforma wälzte, sprachen die TV-Sender von knapp 1 500 Teilnehmern und schalteten dann auf ein Feature über die mexikanische Popsängerin Gloria Trevi um.

Zum ersten Mal seit Beginn des Streiks betrat Rektor de la Fuente letzte Woche wieder den Campus und nahm die geräumten Gebäude von einem Polizeikommandanten in Empfang. Dabei erklärte er: »Wir suchen eine neue Etappe im Leben der Universität.« Wie die aussehen soll, zeigten loyale Studierende, die gleichzeitig begannen, die schwarz-roten Transparente des CGH zu verbrennen.