Zerfall einer Nation

Zuerst platzte in Madrid eine Autobombe, dann im Baskenland das Regierungsabkommen.

Nach 14 Monaten erklärte Ende November 1999 die Eta (»Baskenland und Freiheit«) ihre Waffenruhe für beendet. Keine zwei Monate später beförderte das Eta-Kommando Madrid den Oberstleutnant Pedro Antonio Blanco Garc'a mit einer Autobombe ins Jenseits. Damit hatten die Spekulationen ein Ende, ob die Eta mit der Aufkündigung der Waffenruhe nur politischen Druck machen wollte: Die Guerilla hatte sich mehrheitlich dafür entschieden, den Kampf für ein unabhängiges Baskenland wieder militärisch auszutragen.

Drei Tage nach der Explosion in Madrid verkündete Josu Jon Imaz, der Regierungssprecher der Autonomen Region Baskenland, das Ende des Vertrages über parlamentarische Zusammenarbeit der Regierungsparteien PNV (Baskisch-Nationalistische Partei) und EA (Baskische Solidarität) mit dem Wahlbündnis EH (Baskische Bürger). Die konservative PNV koaliert seit den Regionalwahlen vom 25. Oktober 1998, bei denen sie auf 27,9 Prozent kam, mit der sozialdemokratischen EA (8,7 Prozent). Außerdem hatte sich die PNV-EA-Minderheitsregierung auf die linksnationalistische EH gestützt, die 17,9 Prozent der Stimmen erhielt.

Den Anlass für das Zerwürfnis im Regierungsbündnis lieferte EH mit seiner Weigerung, den Anschlag der Eta zu verurteilen. Das kann nicht verwundern: EH ist ein Wahlbündnis rund um Herri Batasuna (»Volkseinheit«). In den 21 Jahren seit seiner Gründung hat sich das HB noch nie von der Eta distanziert. Auch jetzt erklärte sein Sprecher, das Wahlbündnis führe keine bewaffneten Aktionen durch und trage dafür keine Verantwortung. Die PNV erwiderte, ohne eine Distanzierung vom Eta-Anschlag sei keine Beteiligung an den Regierungsgeschäften möglich.

Damit endet eine zweijährige Phase der gegenseitigen Annäherung linker und rechter baskischer Nationalisten. Bis 1998 hatte sich das linksnationalistische Spektrum zwar zur Wahl gestellt, sich aber nicht an parlamentarischen Spielereien beteiligt, die als Kollaboration mit Spanien galten. Dann bot die PNV der Eta in Geheimverhandlungen einen Deal an: Die Eta sollte aufhören, mit ihren Aktionen das Investitionsklima im Baskenland zu stören - und die PNV würde sich im Gegenzug verpflichten, politisch stärker für eine baskische Nation einzutreten.

In der Eta-Erklärung zum Ende der Waffenruhe war der Vorwurf des Verrats an PNV und EA der zentrale Punkt. Die beiden bürgerlichen Parteien ihrerseits sahen sich nicht in der Lage, jede Zusammenarbeit mit denjenigen einzustellen, die die Eta als »spanische Kräfte, die Feinde des Baskenlandes sind«, bezeichnet.

Entschieden wies der PNV-Parteivorstand den Vorwurf zurück, die Regionalregierung habe nicht am »Aufbau der Nation« gearbeitet. An die Eta richtete die Partei den umgekehrten Vorwurf, erst jetzt, wo die ihr nahe stehende EH im Parlament mitarbeite, am »nationalen Aufbau« mitzuwirken. EH wiederum hat bei vielen Gelegenheiten Politiker der PNV als »Espa-olistas« dargestellt - als Agenten Spaniens, Verräter. Als sich I-aki Azkuna - der PNV-Bürgermeister von Bilbao, der größten Stadt im Baskenland - im August beim Stadtfest an die Vorschriften halten wollte und neben den Fahnen der Stadt, der EU und des Baskenlands auch die der spanischen Monarchie vor dem Rathaus flattern ließ, protestierten die LinksnationalistInnen tagelang. Auf Plakaten wurde Azkuna als »Espa-olista« beschimpft.

Es war das erste Mal seit dem Eta-Waffenstillstand vom September 1998, dass linke und rechte NationalistInnen derart aneinander gerieten. Denn die Eta hatte es zur Bedingung des Waffenstillstandes gemacht, dass PNV und EA sich öffentlich zu einem Bündnis mit EH und HB verpflichten - mit dem Ziel einer »baskischen Lösung« des Konfliktes um das Baskenland. Am 12. September 1998 unterzeichneten 23 soziale Gruppen, Gewerkschaften und Parteien, darunter PNV, EA und HB, in einer alten Bergstadt in Navarra die »Erklärung von Lizarra«. Nach einer parallelen Zeremonie in der Stadt Garazi im französischen Baskenland heißt das Bündnis mittlerweile »Lizarra-Garazi«.

Das wichtigste Ergebnis der Allianz war die PNV-EA-Regionalregierung, die sich Ende 1998 mit den Stimmen der EH wählen ließ. Am 18. Mai 1999 unterzeichneten Vertreter von PNV, EA und EH sowie der Regierungschef den Vertrag über parlamentarische Zusammenarbeit für die Legislaturperiode 1999 bis 2002. Darin wurden zahlreiche Gesetzesvorhaben aufgelistet, die dem Ziel der »nationalen Konstruktion« dienen sollten. Die spanisch-nationalistischen Parteien - die PP (Volkspartei) und die sozialdemokratische PSOE - schäumten vor Wut: Bis Lizarra hatte jahrzehntelang der so genannte Anti-Terror-Pakt von Ajuria Enea gegolten. Alle Parteien bis auf die HB hatten dort vereinbart, Herri Batasuna und auch ihr Wahlbündnis EH zu isolieren und mit dem Stigma »Terrorpartei im Dienste der Eta« zu versehen. Damit war es Ende 1998 vorbei.

Unter die Räder gekommen ist bei der Polarisation in baskische und spanische nationalistische Parteien die Izquierda Unida (Vereinigte Linke). Das Wahlbündnis rund um die spanische KP hat sich vom spanischen Nationalismus abgesetzt und die Erklärung von Lizarra mitunterzeichnet. Bei den Regionalwahlen im Baskenland am 25. Oktober 1998 sackte sie von 9 auf 5,6 Prozent ab. Zur Zeit tobt innerhalb der IU ein scharfer Konflikt: Julio Anguita, der Sprecher der gesamtspanischen Bundesleitung, hat erklärt, die IU könne nicht länger bei Lizarra-Garazi mitmachen, wenn die Eta nicht wieder zum Waffenstillstand zurückkehre. Anguita hat der regionalen IU im Baskenland die Unterstützung für Lizarra entzogen.

Die widersprach vehement: Lizarra-Garazi sei weiterhin ein wichtiges Bündnis für das Bemühen um Frieden. Der regionale IU-Sprecher Javier Madrazo konnte zunächst nicht glauben, dass die Eta wieder bewaffnete Aktionen durchführen wollte. Nach der Autobombe ist die Stimmung auch in der Vereinigten Linken umgeschlagen: In einer Urabstimmung am 31. Januar stimmten 83 Prozent der IU-Mitglieder dafür, das Bündnis von Lizarra-Garazi zu verlassen. Und auch bei den baskischen NationalistInnen jeder Couleur ist seit dem Eta-Anschlag vom 21. Januar die Einigkeit beim »nationalen Aufbau« dahin.

Die spanisch-nationalen Parteien und Medien hat die erste Autobombe nach 14 Monaten ohne Eta-Aktionen schlagartig in Aktivität versetzt: Sie hatten diesen Tag X offenbar schon sorgfältig vorbereitet. Am Sonntag nach dem Anschlag fanden sich an der Puerta del Sol in Madrid mehrere Hunderttausend unter dem Motto »Nein zur Eta« zusammen. Angeführt wurde der Protest von sämtlichen Ministerpräsidenten, die seit der Demokratisierung 1977 regiert haben. Alle zentralstaatlichen Gewerkschaften waren vertreten. Auch die spanischen Faschisten nutzten die Gunst der Stunde, beteiligten sich mit Parolen wie »PNV und Eta - dieselbe Scheiße!« und riefen nach der Todesstrafe. Die Mehrheit der TeilnehmerInnen lehnte solche Parolen ab, machte sich aber die Sichtweise zu Eigen, dass die Eta nur eine Mörderbande sei, die endlich verschwinden solle.

Es war eine Demonstration des nationalstaatlichen spanischen Konsenses: Trotz der bevorstehenden Wahlen - am 12. März wird das spanische Parlament gewählt - wurde parteiübergreifend nationale Einigkeit demonstriert. Auch die Leitung der Vereinigten Linken gratulierte Polizei und Guardia Civil zu zahlreichen Festnahmen von legal aktiven Mitgliedern der linksnationalistischen baskischen Bewegung: Am 29. Januar nahmen 300 PolizistInnen acht Mitglieder von Herri Batasuna fest. Vorgeworfen wird ihnen, die internationale Logistik der Eta zu managen. In Wirklichkeit handelt es sich um die für den Bereich Internationalismus Verantwortlichen von HB - bekannte Funktionäre. Aber diese Repression wird - außer im Baskenland - weitgehend akzeptiert.