U-Beschäftigungsgipfel

Alle müssen arbeiten

Ein Begriff wird wieder aufpoliert: Vollbeschäftigung. Jahrelang höchstens von Historikern benutzt oder von Gewerkschaftern, denen es nichts ausmachte, sich lächerlich zu machen, ist er plötzlich wieder da. Ganz egal, um welche Jobs es dabei geht, Vollbeschäftigung scheint nichts von ihrem Glanz verloren zu haben. Diesen Eindruck hinterlassen zumindest die Veröffentlichungen von EU-Kommission und Ratspräsidentschaft zum demnächst stattfindenden EU-Sondergipfel.

Am 23. und 24. März treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten in Lissabon. Das Motto: »Beschäftigung, Wirtschaftsreformen und sozialer Zusammenhalt - Für ein Europa der Innovation und des Wissens.« Nicht gerade bescheiden wird dabei das strategische Ziel für die nächsten Jahre definiert: »aus der Europäischen Union weltweit den dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum zu machen.« Daran, dass das wohl ein Traum bleiben wird, sind die Vereinigten Staaten mit ihrem gewaltigen wirtschaftlichen Vorsprung schuld. So werden die USA zum Vorbild.

Eine kollektive Euphorie muss die Wirtschaftsstrategen in Brüssel erfasst haben, als letztes Jahr die Meldung von der Vollbeschäftigung über den Atlantik kam. Eifrig wurden Statistiken verglichen, und plötzlich entdeckte die europäische Kommission ein Beschäftigungspotenzial von zusätzlich 30 Millionen Arbeitsplätzen in Europa. Das Doppelte der Zahl der momentan gemeldeten Arbeitslosen.

Erhöht werden soll vor allem der Anteil der Frauen und der über 55jährigen an der arbeitenden Bevölkerung, außerdem der Anteil der in der Diensteistungsbranche Beschäftigten und der Anteil der Wissensarbeiter. Ziel ist die Integration möglichst aller in den Arbeitsmarkt, denn Unterbeschäftigung und Armut »sind Krebsgeschwüre im Herzen der europäischen Gesellschaft - eine Verschwendung von Ressourcen, die förmlich auf eine produktivere Verwendung warten«. So sieht es zumindest die EU-Kommission.

Aus dieser Haltung leiten sich auch die verschiedenen Vorschläge zu Reformen des Arbeitsmarktes ab. Der Mensch solle sich stärker an die Bedürfnisse der Arbeitsmärkte anpassen. So wird es auf dem Sondergipfel über weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Verlängerung der Beschäftigung ins Alter hinein und die fortlaufende Anpassung durch lebenslange Umschulungen gehen. Senkung der Steuern und steuerähnlichen Abgaben, vor allem auch für minderqualifizierte Beschäftigte, sollen für neue Jobs im Niedriglohnsektor sorgen. Damit einher geht die Forderung nach einer Umgestaltung der Sozialsysteme. »Aktive Sozialsysteme« sollen geschaffen werden, die Anreize zur Arbeit bieten sollen.

Gut angekommen sind die Vorschläge der EU-Ratspräsidentschaft bei den Regierungen Europas, vermeldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ein Streitpunkt wird sicherlich die konkrete Ausformulierung von Zeitplänen und Zielsetzungen werden. So kommt aus Portugal, das gerade einen Wirtschaftsboom erlebt, der Vorschlag, ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von drei Prozent anzustreben. Ablehnend verhält man sich dazu in Berlin. Realistische Ziele wolle man setzen, keine Superlative. Im Land der Wirtschaftswunderkinder scheint man sich des Wirtschaftswachstums nicht so sicher zu sein.