Tanz den Van der Bellen

Drinnen tanzt Schwarz-Blau einen Walzer, draußen demonstriert die außerparlamentarische Opposition gegen die FPÖVP-Regierung.

Der Opernball. Alljährlich und unvermeidlich. Aufgetakelte Menschen winden sich aus den Limousinen, gehen ein paar Schritte durch die Kälte der Nacht, rein ins Vergnügen. 6 400 an der Zahl. Sie sehen so unecht aus, dass dem Billeteur am Eingang der weiße Rolls Royce kaum verdächtig erscheint, der kurz vor dem Eintreffen des Bundespräsidenten anfährt.

Heraus klettert der Führer. Er gestikuliert wild und lautstark. Der Mann am Entrée scheint ein wenig verwirrt, lässt den Herrn in Nazi-Uniform aber doch passieren. Der Auftritt dauert wenige Sekunden, dann ist alles vorbei. Adolf Hitler ist festgenommen, wird abgeführt. Eigentlich heißt Hitler Hubsi Kramer und ist von Beruf Schauspieler und Regisseur - nun hat er einen Prozess wegen NS-Wiederbetätigung am Hals. Sein Chauffeur ebenfalls.

Da trifft es sich, dass die internationale Politprominenz heuer nur vom kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und von der Gattin des ukrainischen Präsidenten, Ludmilla Kutschma, vertreten wird. »Respekt«, würden die bayerischen Politiker sagen, die ebenso wie zahlreiche deutsche Wirtschaftsvertreter - von Siemens bis DaimlerChrysler - dabei sind. Alle anderen hatten abgesagt, allen voran der portugiesische Präsident Jorge Sampaio. Aus seinem Land stammen nur die Orchideen und der Wein - die waren schon früh bestellt worden.

Lange bevor drinnen die Polonaise abgetanzt wurde, ging es auf den Straßen um die Oper bereits heiß her. Kurt Lanzerstorfer, Sprecher des Aktionskomitees gegen Schwarzblau, freute sich über 16 000 Teilnehmer, die sich rund um das von der Polizei hermetisch und weitläufig abgeriegelte Areal eingefunden hatten. »Antifaschistischer Karneval« war das Motto - »mit unserer Lebenslust die Dekadenz wegfegen«, das wollte nicht nur Lanzerstorfer. »Spott und Hohn« für die Regierung gab es jedenfalls genug, es war die größte Opernball-Demo aller Zeiten. Zu Zwischenfällen kam es nicht, die Sicherheitskräfte waren mit den unorganisierten Massen überfordert. Permanent die Richtung wechselnd, brachten sie die Beamten mit ihren Absperrungsgittern an den Rand der Verzweiflung. Offizielle Ansprachen gab es keine.

SOS-Mitmensch beteiligte sich diesmal nicht an dieser unangemeldeten Kundgebung, rief jedoch auch nicht zum Fernbleiben auf. »Das ist ja gar keine Opernball-Demonstration«, meinte Madeleine Petrovic vor Ort etwas schnippisch zu einer Radio-Journalistin. Die Klubobfrau der Grünen und frühere Vorsitzende wollte sich deutlich von den vergangenen Opernball-Demos distanzieren, bei denen es immer wieder zu Ausschreitungen gekommen war. Auch zum linken Flügel der diesjährigen Demonstration gingen die Grünen merklich auf Distanz.

Die Grünen sind eindeutige Haider-Gewinner. Ihr Bundessprecher, Alexander van der Bellen, spricht mittlerweile offen davon, mitregieren zu wollen. Deshalb wäre das Sympathisieren mit »Randgruppen« jeglicher Art für sie derzeit nicht sehr nützlich. Grün geht, so scheint es, schnurstracks in Richtung Mitte. Bei den Nationalratswahlen im letzten Oktober mit 7,1 Prozent der Wählerstimmen bedacht, schnellten sie in Umfragen kurz nach dem Bekanntwerden der FPÖVP-Koalition auf 16 Prozent. Zu verdanken haben sie das größtenteils der Popularität ihres Chefs.

Van der Bellen, Wirtschaftsprofessor aus Tirol, wurde 1997 als Quereinsteiger auf den Posten des Bundessprechers gewählt. Seither hat er es geschafft, die internen Differenzen in seiner Partei klein zu halten. Aus den Kampfhähnen von einst machte er - zumindest nach außen hin - gefügige Mitstreiter. Von der grün-alternativen Basis, die in den achtziger Jahren vor allem durch aktionistische Politik (Bürgerinitiativen, Kraftwerk Hainburg, Kraftwerk Lambach, Friedensbewegung) für Aufsehen sorgte, ist nicht mehr viel übrig.

Besser gesagt: gar nichts. Wählerpotenzial gewinnen van der Bellens Grüne längst schon aus bürgerlichen Kreisen. Eine Folge davon war zum Beispiel das Verschwinden des Liberalen Forums, das im Oktober aus dem Nationalrat flog. Die neoliberale Linie, die den Grünen offenbar sehr gut bekommt, gefällt auch der SPÖ. Das Buhlen um die grüne Gunst hat bei den Sozialdemokraten bereits begonnen, und auch van der Bellen ist einer möglichen rot-grünen Koalition nicht so abgeneigt, wie er das manchmal anklingen lässt. »Das werma uns noch gut anschaun«, erklärt der Grünen-Chef immer wieder: Er versteht es, sich nicht zu früh festzulegen.

Doch Rot-Grün avanciert immer mehr zum Gegenpol der momentanen Regierung. Für diese hat die Opposition lediglich die Begriffe »instabil« und »indiskutabel« parat. Nur van der Bellen punktete öffentlich, als er in der parlamentarischen Diskussion um das Budgetdefizit den FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser öffentlich angriff, er kenne den Unterschied zwischen brutto und netto nicht.

Sollten sich die Meinungsforscher in ihren Umfragen nicht getäuscht haben, so sind die Grünen längst nicht mehr das »Zünglein an der Waage«. Neuwahlen in diesem Jahr könnten der Alpenrepublik eine neue Wende bescheren, denn für eine absolute Mehrheit im Parlament würden zur Zeit 48 Prozent ausreichen - und auf die würden SPÖ und Grüne allemal kommen. Dann allerdings dürften sich die grünen Parteifunktionäre wie Madeleine Petrovic auf unangemeldeten Opernball-Demonstrationen nicht mehr blicken lassen.

Aber auch andere werden wohl Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Regierung in Zukunft fernbleiben. Oder sie werden zumindest vorsichtiger sein: Denn es wird immer deutlicher, wie brutal die Wiener Polizei gegen missliebige Personen vorgeht: Wer zu lange demonstriert, verliert. Die öffentlichen Erklärungen und Fax-Rundbriefe der Rechtshilfe Wien informieren über ein Sammelsurium an rechtswidrigen Übergriffen. Leute wurden mit gezogener Waffe aus Taxis gezerrt, niedergeschlagen und in unbekannten Wachzimmern festgehalten.

Während Polizeipräsident und Einsatzleiter im TV regelmäßig von mustergültiger Kooperation zwischen Beamten und Demonstranten sprechen, erhärten sich nun die Vorwürfe, hinter den sich häufenden Übergriffen stecke System. Wie blank die Nerven im Innenministerium tatsächlich liegen, wird sich schon bald zeigen: Denn die Termine für die nächsten unangemeldeten Demonstrationen gegen Schwarz-Blau sind längst bekannt.