Wackersdorf am Narmada

Mit Hilfe von Siemens und der Hypo-Vereinsbank wird in Indien ein Staudammprojekt gebaut, das fast eine Million Menschen obdachlos machen wird.

Wenn das Wasser höher und höher steigt, kommt noch ein Boot, um diejenigen wegzubringen, die Angst bekommen. Doch niemand steigt ein. Die Menschen machen alle einen ruhigen und entschlossenen Eindruck.« Anitha Shavary gerät beinahe ins Schwärmen, wenn sie vom Leben in den Widerstandsdörfern im Narmada-Tal sechs Autobusstunden nördlich der indischen Metropole Bombay erzählt. Mit ihrem Freund Jacob Vadakenchery hat die junge Inderin eine 35stündige Zugreise von ihrer südindischen Herkunftsprovinz Kerala auf sich genommen, um sich an den Protesten im Narmada-Tal zu beteiligen. Die beiden jungen Inder gehören zu der wachsenden Zahl von Menschen auf dem Subkontinent, die sich gegen das ambitionierte Staudammprojekt wehren. Der Widerstand hat sogar noch zugenommen, obwohl der Staudamm streckenweise schon in Betrieb ist. Mit ihm sollen insbesondere die städtischen Zentren mit Strom versorgt werden.

Auf einer Länge von über 50 Kilometern ist das Wasser bereits gestaut, und mehr als 150 Dörfer sind schon in den Fluten verschwunden. In über 30 Großdämmen soll das Wasser des Narmada-Flusses insgesamt gestaut werden. Millionen Menschen mussten im Laufe der Jahre ihre Dörfer verlassen. Viele sind aber mittlerweile in provisorische Behausungen an den Fluss zurückgekehrt und haben das Heer der Widerständler vermehrt. Denn das von der Regierung zugesagte Umsiedlungsland war in der Regel so unfruchtbar, dass die auf die Ernte angewiesenen Bauernfamilien hungerten.

Für die indische Grassroot-Bewegung hat der Staudamm heute eine ähnliche Bedeutung wie für die hiesige Anti-AKW-Bewegung Ende der achtziger Jahre Gorleben und Wackersdorf. Auch Prominente, wie die indische Schriftstellerin Arundhati Roy, haben sich mittlerweile in die Widerstandsschar eingereiht und tragen zur weiteren Popularisierung der Bewegung bei - vor allem im intellektuellen Milieu der indischen Metropolen, wo der bäuerliche Widerstand bisher eher belächelt wurde. Aus ganz Indien werden sich demnächst wieder viele Mitstreiter auf den Weg ins Narmada-Tal machen. Denn dort steht der jährliche Höhepunkt der Proteste unmittelbar bevor: Der 14. März wurde von der Protestbewegung zum internationalen Widerstandstag gegen den Dammbau erklärt. Unterstützer aus der ganzen Welt werden erwartet. Denn die Auseinandersetzung hat längst internationale Dimensionen angenommen.

Schon Anfang der neunziger Jahre sorgte das Projekt weltweit für Diskussionen über Sinn und Unsinn weiterer Großdamm-Projekte und deren Finanzierung durch Entwicklungshilfegelder. Ein internationales Bündnis von NGOs hatte damals den Protest der indischen Dorfbewohner in die Weltöffentlichkeit getragen und damit zumindest auf internationaler Ebene einen Erfolg verbucht: Die Weltbank zog sich aus der Finanzierung des Projekts zurück. Das NGO-Bündnis ist längst auseinander gefallen, doch die indische Regierung setzte das Dammprojekt nun in Eigenregie fort. Ausländischen Druck brauchten sie nun nicht mehr zu fürchten, dachten sich die Verantwortlichen.

Doch dieses Kalkül konnte Rhava Shinvana durchkreuzen. In seinem kleinen Büro in einem Vorort von Bombay koordiniert der Mitarbeiter von Weltorganisation gegen Dämme die Proteste gegen das Narmada-Projekt. Die zahlreichen Plakate an den Wänden dokumentieren die starke Präsenz religiöser und esoterischer Einflüsse in der Protestbewegung. Da wird die unberührte Natur und die heilige Mutter Erde beschworen. Andere wollen das Tal deswegen schützen, weil es zu den heiligen Pilgerstätten gehört und als Tochter des Gottes Schiwa verehrt wird.

Auf den ersten Blick scheint es etwas verwunderlich, dass auch gegen Siemens gerichtete Parolen auf den Plakaten auftauchen. Doch der Konzern ist schon seit Jahren im Visier der indischen Staudammkämpfer. Erst im letzten Herbst produzierte ein Künstlerkollektiv aus New Delhi unter dem Titel »Maheshwar Report« ein Video über den Widerstand gegen das Staudamm-Projekt und schickte es an den Siemens-Vorstand. Denn dort wird ebenso wie in den Berliner Ministerien ein Wörtchen mitgeredet werden, wenn es um die Zukunft des Narmada-Projekts geht. Demnächst muss nämlich die rot-grüne Regierung, die sich im Koalitionsvertrag ökologische und soziale Prinzipien auf die Fahnen geschrieben hatte, über Hermes-Bürgschaften für einen Exportkredit von mindestens 247 Millionen Mark der bayerischen Hypo-Vereinsbank entscheiden. Damit sollen unter anderem Lieferungen von Turbinen und Generatoren abgesichert werden, die für den Maheshwar-Staudamm, ein Teilstück des Narmada-Projektes, bestimmt sind.

Der Haken bei der Sache: Turbinen und Generatoren sollen aus zwei russischen Unternehmen geliefert werden, an denen Siemens eine Minderheitsbeteiligung hält, berichtet der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe. Umfang des Geschäfts: mehr als 100 Millionen Mark. Vorgesehen sind die Hermes-Bürgschaften aber nur für Exporte, bei denen höchstens zehn Prozent der Gesamtlieferung aus dem Ausland stammen. Beim Maheshwar-Staudamm aber soll knapp die Hälfte aus Russland und Indien geliefert werden.

Das ist nicht der einzige Haken bei dem Geschäft. Auch von dem Widerstand vor Ort wussten die Siemens-Manager von Anfang an. Schließlich sind sie erst in das Projekt eingestiegen, nachdem ein nordamerikanisches Konsortium wegen der Proteste kalte Füße bekommen und sich zurückgezogen hatte.

Seitdem versorgt die indische Opposition Siemens ständig mit den neuesten Informationen über die Stärke des Widerstands und die Folgen, die der Staudamm für die dort ansässige Bevölkerung hat. Mehrmals haben Delegationen von indischen Landarbeiterorganisation direkt in der Konzernzentrale vorgesprochen. Aber die Manager gaben sich unbeeindruckt. Für das Argument, dass der bescheidene Wohlstand der Bauern in Gefahr gerät, fand Siemens-Sprecher Mark Derbacher in der Zentrale in Erlangen kein Verständnis. »Die gehen doch noch hinter die Bäume. Wie kann man da von Wohlstand sprechen«, zitierte ihn die Frankfurter Rundschau im vergangenen Herbst.

Doch Medha Patka hat den Optimismus nicht verloren. Erst im Februar tourte die zentrale Figur des Narmada-Widerstands in Sachen Staudamm wieder durch Europa. Diesmal hat sie einige hoffnungsvolle Neuigkeiten zu vermelden. So ist die in das Projekt involvierte Regierung des indischen Bundesstaates Madhya Pradesh mittlerweile auf vorsichtige Distanz zu den Staudammplänen gegangen.

Auch auf internationaler Ebene haben in den letzten Monaten die Proteste Wirkung gezeigt. So haben sich das Bayernwerk und die Vereinigten Elektrizitätswerke (VEW), die ursprünglich 49 Prozent an der am Staudamm-Projekt beteiligten Betreiberfirma halten sollten, nach der öffentlichen Diskussion zurückgezogen. Bayernwerk-Projektleiter Jörn Eric Mantz gibt die fehlende Sozialverträglichkeit des Projekts als Grund an.

Die indische Regierung zeigt sich von den Protesten, die sie als ideologisch motiviert bezeichnet, unbeeindruckt und will das Staudammprojekt in den gegenwärtigen Dimensionen unter allen Umständen durchziehen. Aber allein bei scharfen Worten bleibt es nicht. Der Polizeiapparat in der Staudamm-Region wurde in den letzten Jahren ausgebaut. Immer wieder werden Widerstandsdörfer am Flussufer geräumt, und häufig werden dabei Hunderte Demonstranten festgenommen.

Doch die sind zum Äußersten entschlossen: »Wenn der Dammbau fortgesetzt wird, sind wir bereit, unser Leben zu opfern. Unsere persönliche Lebensplanung geht über den März nicht hinaus«, erklärt Medha Patkar. Die indische Regierung weiß, dass das nicht nur leere Worte sind. Mehrmals griff die Polizei ein und rettete Demonstranten, denen das Wasser schon bis zum Hals stand, aus den von den Fluten eingeschlossenen Hütten.