Die Mafia-Soap »Sopranos«

Beim Paten unterm Sofa

Der Mafia-Film ist erledigt, die Mafia-Soap kommt. Bei den »Sopranos« geht's zu wie in anderen Familien auch, nur brutaler.

Wie das Leben eines durchschnittlichen Mafiabosses aussieht, das weiß man als nur halbwegs aufmerksamer Kinogänger natürlich längst: Das Wort des Oberhauptes der verschworenen kriminellen Gemeinschaft ist Gesetz, man tagt in luxuriösen Bars und Restaurants, die als Geldwaschanlagen des Mobs dienen, und Verräter enden automatisch betonbeschwert dort, wo der Fluss am tiefsten ist. Neben der vorbildlich zusammenhaltenden Familie hat der Pate eine teure Freundin, teure Gewohnheiten und extrem viel Zeit, als Autoritätsperson für die Hilfe suchende Nachbarschaft zu fungieren.

Aber das war gestern. »Mit dem Debüt von HBOs 'The Sopranos' hat das Fernsehen den Mafia-Film von gestern erledigt und seinen eigenen kreiert«, urteilte das Atlanta Journal schon kurz nach dem Start der US-amerikanischen TV-Serie 1999 über die Mob-Familie Soprano. Obwohl sie im Pay-TV-Sender HBO vor einem vergleichsweise kleinen Publikum anlief, wurde die Serie in den USA schnell zum Hit. Vielleicht auch deshalb, weil Autor und Produzent David Chase gerade bei HBO die Chance hatte, die Geschichte ohne die bei den großen Networks übliche Selbstzensur und ohne Kompromisse mit der Werbewirtschaft zu entwickeln. Ohne die im Kommerzfernsehen übliche dramaturgische Werbeblocktaktung wird die Story dieses »Mega-Movies« (New York Times) entfaltet, selbst auf Cliffhanger wurde verzichtet, jede Episode für sich ist einer.

Bereits nach der ersten Staffel wurden die »Sopranos« - »seit langer Zeit eine der witzigsten, verwickeltsten und bewegendsten neuen Serien, die daran erinnert, wie gut Fernsehen sein kann« (Philadelphia Daily News) - für 16 Emmys nominiert. Dann bewiesen die Networks wieder einmal ihre Vormachtstellung im US-amerikanischen Fernsehen: Die Serie erhielt nur zwei Auszeichnungen, sehr zum Ärger US-amerikanischer Medienkritiker.

Seit dem 12. März kann man nun auch sonntagabends im ZDF verfolgen, wie es sich heute als amerikanischer Mafia-Boss lebt. Denn Tony Soprano aus New Jersey hat mit dem Mobster, wie ihn der Kinogänger aus Francis Ford Coppolas »Paten»-Trilogie kennt, nur noch wenig gemein. Wurde die Figur des Mafioso von Martin Scorsese (»Good Fellas«, »Casino«) noch respektvoll demontiert, taugen die alten Mafia-Clans für die amerikanische Öffentlichkeit heute nur noch zur Lachnummer. Wie z.B. in der Komödie »Analyse this«, wo ein sich selbst karikierender Robert DeNiro als Mafia-Boss auf der Couch des Psychiaters landet.

Genau dort findet sich nach einigen Panik-Attacken auch Tony Soprano wieder, und das auch noch bei einer italienischstämmigen Psychiaterin. Eine große Schmach für einen Mann aus dem Machismo-geprägten Verbrecher-Milieu, wo Härte und Brutalität zum Berufsalltag gehören. Deswegen muss die Therapie vor Kollegen und Feinden auch unbedingt geheim gehalten werden. Nicht nur Midlife-Crisis und schlechte Geschäfte treiben den fetten, glatzköpfigen Tony in die Depression, auch seine Familie bereitet ihm zunehmend Sorgen.

Seine Frau Carmela, gefangen »in dieser sizilianischen Sache«, neigt zum Katholizismus in Gestalt von Pater Phil, dem Tröster der örtlichen Mafiawitwen. Carmela hat das Outlaw-Dasein gründlich satt und leidet darunter, nicht an den Gesellschaften der legal Reichen teilnehmen zu können. Tochter Meadow, 16 und auffallend attraktiv, sehr begabt und sportlich, kurz: der Traum aller Mittelstandseltern, ist ebenso wie ihre Mutter unglücklich, eine Soprano zu sein. Anthony Jr. dagegen ist ein 13jähriges Ekel. Faul, verstockt und ein bisschen blöd, klaut er mit zwei Kumpeln Messwein, obwohl sich sein Vater doch ein besseres Leben für seine Kinder erträumt.

Aber ganz so vertrottelt wie es zunächst den Anschein hat, ist der Junior dann doch nicht. Obwohl bei den Sopranos nie über den Job des Vaters gesprochen wird, dämmert es dem Jungen allmählich, dass Papa (»There is no Mafia«) sich nicht nur als Geschäftsführer eines Restaurants und nebenher irgendwie in der Abfallwirtschaft verdingt. Schwester Meadow klärt ihn schließlich auf, keine Sekunde zu früh, denn als kurze Zeit später eine Razzia bei den Sopranos stattfindet, kann sie ihren Bruder vorwarnen: »Wirf die Pornos von deinem Rechner, die Bullen kommen.«

Auch Tonys Crime-Family schlägt sich mit den Banalitäten des modernen Mafialebens herum. Die durchaus erfolgreiche Crew besteht aus Tonys engsten Freunden »Big Pussy«, Silvio und Paulie sowie Christopher, dem Nachwuchsmitglied, das davon träumt, sein Leben eines Tages als Drehbuch nach Hollywood verkaufen zu können, und Onkel Junior. Der zickige, misstrauische, ziemlich unfähige alte Mann führt sich als der älteste Bruder von Tonys ermordetem Vater gern als elder chief der Sopranos auf, ist mit dieser Rolle aber völlig überfordert.

Zusätzliche Komplikationen schafft Mutter Livia. Mehr bitch als großherzige italienische Mama, macht sie ihrem Sohn das Leben zur Hölle. Besonders talentiert ist sie darin, ihm Schuldgefühle einzureden. Wenn das nicht klappt, dann hilft garantiert der vorwurfsvolle Satz: »Your daddy was a saint.« Aber Livia ist zu alt geworden, um noch allein zurechtkommen zu können, wie auch Tony irgendwann feststellen muss. Die Mutter ins Altenheim zu verfrachten ist schon in völlig normalen Familien eine enervierende Angelegenheit, bei einer Frau, die ihr Leben in Mafiakreisen verbracht hat und wirklich jeden dirty trick beherrscht, wird sie fast aussichtslos. Denn Livia hat sich auch noch mit Onkel Junior verbündet, beide versuchen, auch noch lang nachdem sie tatsächlich in das Seniorenstift umgesiedelt ist, die alten Zeiten zurückzuholen und ihren Einfluss zu behalten.

Ihren Alltagsrealismus verdankt die Serie ihrem Produzenten und Hauptautor David Chase (eigentlich David DeCesare), der in eben der Gegend in New Jersey aufgewachsen ist, in der seine Serie spielt: »Wenn es an der Zeit ist, gewalttätig zu werden, dann ist die Serie sehr gewalttätig.« Der Zuschauer solle sich nicht der Illusion hingeben, »diese Leute seien schmusige Teddybären«, sagt Chase über die ebenso witzige wie brutale Darstellung des Mob. Diese Gewalttätigkeit lässt das ZDF, das sonst gern in Personalunion mit der ARD gegen das verrohende Privatfernsehen aufschreit, auch in ihrem Presseheft von einem »Risiko« sprechen, das es mit der Ausstrahlung eingehe. Aber was ist das gegen »die Gewissheit, dem deutschen Publikum das beste Programm zu präsentieren, das das amerikanische Fernsehen derzeit und seit langem zu bieten hat»? Manchmal hat sogar das ZDF Recht.