Streit bei der Europäischen Volkspartei

Der Schüssel zum Erfolg

Die Europäische Volkspartei streitet über die ÖVP: Wer wie CDU und CSU die extreme Rechte integriert hat, will die ÖVP umarmen, wer selbst einen kleinen Haider im Lande hat, will sie ausschließen.

Es sollte nur eine »Studientagung« der 233 Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament werden. Dass es das nicht sein würde, stand fest, als die österreichische Mitgliedsorganisation ÖVP Ende Januar eine Regierungskoalition mit der rechtsextremen FPÖ einging. Plötzlich war das Routinetreffen der EVP - in der auf europäischer Ebene die liberalen, christdemokratischen und konservativen Parteien der bürgerlichen Rechten zusammengeschlossen sind - spannend: Wie würde man sich gegenüber den sieben Europa-Parlamentariern der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) verhalten, die zu der Konferenz im Pariser Hotel Intercontinental anreisten?

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, der dem neogaullistischen RPR angehört, und Christian Poncelet, der ebenfalls aus dem bürgerlichen Lager kommende Präsident des Senats, hatten vor der Veranstaltung den diplomatischen Druck erhöht. Sie wollten keine Vertreter des österreichischen Regierungsbündnisses begrüßen müssen, die in ihren Augen Steigbügelhalter Jörg Haiders sind.

Ursprünglich war ein Empfang der 233 EVP-Europaparlamentarier beim französischen Präsidenten vorgesehen gewesen. Doch Chirac erklärte im Voraus, dass die sieben ÖVP-Vertreter im Elysée auf keinen Fall willkommen seien. Als Vorsitzender der EVP-Fraktion im Strasbourger Parlament erklärte sich jedoch der deutsche CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering der »Solidarität« mit seinen österreichischen EVP-Kollegen verpflichtet - und weigerte sich, der Aufforderung nachzukommen, die ÖVP-Leute von dem Cocktail-Empfang auszuschließen. Also ließ Chirac den Termin absagen, und die Tore des Elysée blieben den Teilnehmern der EVP-Tagung verschlossen.

Eine Absage holte sich die EVP auch von Poncelet, der ursprünglich am vergangenen Mittwoch zum feierlichen Abschluss des EVP-Zusammentreffens auf der Tagung hätte auftreten sollen. Es fand sich jedoch hochrangiger Ersatz, der sofort und ohne Zögern bereit war einzuspringen: Der frühere Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing, der Mitte der siebziger Jahre das liberal-christdemokratische Parteienbündnis UDF als zweite große bürgerliche Kraft und Konkurrenz zum übermächtigen RPR aus der Taufe gehoben hatte.

Die UDF, der heute der Christdemokrat Fran ç ois Bayrou vorsteht, war es indessen, die auf der Parlamentarier-Tagung am schärfsten gegen das österreichische Regierungsbündnis mit den Rechtsextremen eintrat. Allerdings ging Bayrou nicht so weit, seine zuvor formulierte Forderung nach dem Ausschluss der ÖVP aus der Europäischen Volkspartei zu wiederholen.

Diese Forderung wird noch einmal am 6. April zur Debatte stehen, wenn das Politische Büro der EVP über einen Ausschluss-Antrag zu Rate sitzt. Angesichts der EVP-internen Kräfteverhältnisse in dieser Frage gilt der Antrag der französischen UDF, der belgischen Christlich-Sozialen Partei PSC und der Italienischen Volkspartei PPI freilich von vornherein als aussichtslos. Denn bei EVP-Mitgliedsformationen, die deutlich mehr Gewicht auf die Waage bringen als die französische UDF mit ihren neun Europaparlamentariern stößt der Ausschluss-Antrag auf Ablehnung. Insbesondere die deutsche CDU/ CSU mit 53 Abgeordneten in Strasbourg und die britischen Tories mit 37 Vertretern fahren in dieser Frage eine harte Linie. Auch die Forza Italia des Medienzaren Silvio Berlusconi, der portugiesische PSD und die Mehrzahl der bürgerlich-konservativen EVP-Ableger aus dem skandinavischen Raum scheinen für eine Schüssel-freundliche Linie zu stehen.

Die Unterschiede in der Haltung der verschiedenen EVP-Fraktionen lassen sich in der Regel aus den innenpolitischen Frontlinien erklären, entlang deren sich das bürgerliche Lager und die extreme Rechte in den einzelnen Ländern gegenüberstehen. So haben die britischen Konservativen und derzeit auch die deutsche Union kaum Probleme mit einer extremen Rechten, die sich jenseits der Ränder ihres eigenen Lagers verselbstständigen konnte. In Großbritannien ist eine solche Entwicklung schon wegen des Mehrheits-Wahlrechts nahezu ausgeschlossen, das ein ultra-stabiles Zwei-Parteien-System zu konservieren hilft.

In Deutschland wurde zwar immer wieder - etwa mit der so genannten Asyl-Debatte - das rassistische Potenzial in der Gesellschaft mobilisiert. Doch auch wenn mehrfach rechtsextreme Parteien mit hohen Stimmenanteilen in Landesparlamente einzogen, behielten Medien und bürgerliche Parteien den Prozess unter Kontrolle. Indem sie selbst der Motor der rassistischen Mobilisierung blieben, verstanden sie es, die Entstehung einer autonomen politischen Kraft auf der extremen Rechten zu verhindern.

In Frankreich hingegen hat sich die extreme Rechte seit Anfang der achtziger Jahre verselbstständigt und ist dem bürgerlichen Block außer Kontrolle geraten. Als nach den Regionalparlaments-Wahlen vom Frühjahr 1998 einzelne Fraktionen der bürgerlichen Parteien - vor allem deren abgehalfterte Lokalbarone - nach Bündnissen mit der extremen Rechten schielten, konnten die nationalen Führungen von RPR und UDF nur mit Mühe den Dammbruch verhindern. Staatspräsident Chirac musste sein gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen, um eine Ausweitung solcher Bündnisse zu verhindern.

Die Spaltung des französischen Neofaschismus in zwei rivalisierende Parteien hat seit dem Jahreswechsel 1998/99 eine gehörige Portion Druck von den bürgerlichen Parteien genommen. In ihrer Mehrzahl haben deren Spitzenfunktionäre und Apparate heute keinerlei Interesse daran, dieses delikate Problem wieder aufleben zu lassen: Die österreichische Koalition soll auf keinen Fall Modellwirkung entfalten können.

Dennoch treten in Frankreichs bürgerlich-konservativem Lager auch heute wieder Risse auf, wenn es um die Frage geht, wie mit dem rechtsextremen Faktor umzugehen sei. Wenig verwunderlich ist es, dass ausgerechnet Giscard wieder den Vorreiter einer Tolerierung macht. Schon in der Krise, die auf die Regionalwahlen vom März 1998 folgte, hatte er indirekt Charles Millon, den Koalitionspartner der Lepenisten im Lyoner Regionalparlament, unterstützt.