Regelwerk zur Organtransplantation

Mensch oder Schwein

Wunderheilung durch XTP: Transplantationen von tierischen Organen in menschliche Körper sollen den Organmangel beheben.
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Eine Zeitungsmeldung ließ vergangene Woche Raucher aufschrecken. Nach der Vorstellung der Bundesärztekammer (BÄK) sollen sie im Bedarfsfall keine Chance mehr auf ein Spenderorgan haben. Und nicht nur sie: Auch HIV-Infizierte, Alkoholiker und andere so genannte Risikogruppen werden nach den neuen Richtlinien nicht mehr in die Wartelisten für Spenderorgane aufgenommen.

Die geplante BÄK-Direktive, die demnächst veröffentlicht werden soll, versucht in ein Dilemma einzugreifen, das Mediziner schon heute zu Richtern über Leben und Tod macht. Längst nicht für jeden Patienten, der auf ein Organ wartet, ist auch eines verfügbar. Trotz enormer Nachfrage konnten letztes Jahr in Deutschland nur 3 896 Organe verpflanzt werden. Jedes Jahr sterben in der BRD 20 bis 25 Prozent der schwer Herzkranken, weil sie kein geeignetes Herz bekommen.

Die BÄK will nun Medizinern ein verbindliches Regelwerk an die Hand geben, das ihre Entscheidung darüber, wer ein Organ bekommt und wer nicht, vom Verdacht der Willkür befreien soll. Demnach soll abgewogen werden, »ob die individuelle medizinische Gesamtsituation des Patienten einen längerfristigen Transplantationserfolg erwarten lässt«.

Die neuen, für alle Ärzte verbindlichen Richtlinien ergänzen das Transplantationsgesetz von 1997, in dem eine »Chancengleichheit der Betroffenen auf der Grundlage medizinischer Kriterien« gefordert wird. Die BÄK buchstabiert damit aus, was mit »medizinischen Kriterien« gemeint ist, die die Theorie der Chancengleichheit in die klinische Praxis der Selektion verwandeln.

Abgesehen davon, dass der Ausschluss von HIV-Infizierten oder Drogenabhängigen politisch und ethisch nicht im Geringsten zu vertreten ist, verlässt dieser Schritt keinen Millimeter weit den Teufelskreis des Organmangels. In den industriellen Zentren führt dieser Mangel dazu, dass Transplantationsabteilungen jedes Verkehrsunfallsopfer als potenziellen Organcontainer betrachten. Aber je begehrter die Organe auf dem klinischen Markt werden, desto schwerer tun sich Menschen, einen Organspenderausweis auszufüllen. Im Trikont führt diese Logik von Markt und Selektion in einen noch brutaleren Verwertungskreislauf von Organraub und -handel. Die Preise, die in den reichen Industriestaaten für eine Leber, eine Niere, Augenhornhäute, Bauchspeicheldrüsen, einen Darm oder ein Herz gezahlt werden, steigen beständig.

Doch während die BÄK versucht, Kriterien für die Unterscheidung in lebenswerte und lebensunwerte Patienten zu finden, träumen einige Wissenschaftler von Spenderorganen für alle. Das vermeintliche Wunder heißt Xenotransplantation (XTP) und bezeichnet die Transplantation eines tierischen Organs in einen menschlichen Körper.

Jetzt erschien zu diesem Thema ein Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung, das regelmäßig Studien im Auftrag des Bundestages erarbeitet. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Probleme, die im Bereich der Abstoßung, der Physiologie und der Infektionsgefahr bestehen, noch mindestens 15 bis 20 Jahre Forschung nötig machen, bevor XTP in die klinische Praxis eingeführt werden könne.

Der Druck der Industrie steigt aber, sodass es auch wesentlich schneller zu ersten Praxisversuchen kommen könnte. In den Laboren wird vor allem auf die gentechnische Manipulation von Schweineorganen gesetzt, um das Abstoßungsrisiko langfristig entscheidend eindämmen zu können. In der Forschung gehören Gentechnologie und XTP zusammen. Das hat nicht zuletzt die Patentierung transgener embryonaler Stammzellen durch das Europäische Patentamt im Dezember gezeigt, bei der es auch um die Züchtung von Organen und Hautpartien aus genmanipuliertem embryonalem Zellmaterial geht.

Der zu erwartende Gen-Tech-Boom im Zusammenhang mit der XTP-Forschung wird in der Bundestagsstudie nicht erwähnt. Zu einem merkwürdigen Ergebnis kommt sie auch in der Frage nach den Ursachen von Krankheiten und wirkungsvollen Alternativen zu menschlichen Organtransplantationen. Demnach soll keine der bestehenden Forschungsalternativen bevorzugt werden - also weder XTP noch künstliche Ersatzorgane oder etwa neue Heilverfahren.

Plausibel ist diese Einschätzung keineswegs. Denn der Bericht stellt auch fest, dass zum Beispiel bei den Diagnose- und Therapiemöglichkeiten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den nächsten zehn Jahren »deutliche Verbesserungen zu erwarten« seien. Zudem thematisiert der Bericht auch die »Erweiterung des Kreises der menschlichen Organspender«, ohne die jahrelangen Debatten um die umstrittene Regelung, nach der der Hirntod Kriterium für die Zulässigkeit einer Organentnahme ist, auch nur zu erwähnen.

Die XTP führt in der Forschungspraxis zur Gentechnologie. Und sie führt in die Diskussion des Crossovers von Mensch und Schwein sowie des instrumentellen Denkens der Medizinindustrie. Hat der Mensch das Recht, Tiere als Ersatzbank für seinen eigenen Körper zu konstruieren? Welches Verständnis hat die Gesellschaft von einem Menschen mit einem Schweineherzen? Die XTP-Debatte wird von verschiedenen Seiten geprägt: Tierrechtler kämpfen gegen das Projekt »Schweine als Organbank« mit der prekären Gleichsetzung von Mensch und Tier. Moraltheologen verteidigen die Unantastbarkeit der Krone der Schöpfung.

Auch das Büro für Technikfolgenabschätzung wird an diesem Punkt ungewohnt metaphysisch. Im Kapitel »Aufhebung der Mensch-Tier-Differenz« ist von einer »in unserer Kultur tief verwurzelten Überzeugung von der ethischen und religiösen Sonderstellung des Menschen gegenüber dem Tier« die Rede. Ganz so, als wäre diese Sonderstellung ein kultureller Zufall der Geschichte. Außen vor bleibt die Kritik an jeder »Aufhebung der Mensch-Tier-Differenz« aus der Logik des medizinisch-technologischen Komplexes, der von industriellen Interessen, Selektionspraktiken und dem Willen zur Forschung bestimmt ist.

Das wichtigste Problem haben die Autoren allerdings erkannt: die XTP wird den Verteilungskampf auf dem Organmarkt nicht aufheben. So heißt es, es müssten »Kriterien formuliert und angewendet werden, aufgrund deren entschieden wird, welcher Patient ein tierliches Organ (mit geringer) und welcher ein menschliches (mit längerer Lebensdauer) erhält«.

Das ideologische Versprechen der XTP-Forschung lautet: Heilung für alle, jedem ein Organ. Die diskursive Wahrheit aber, ausgedrückt in der geplanten Richtlinie der BÄK, lautet gegenteilig: Selektion entlang einer instrumentellen Definition derer, die ökonomisch und klinisch wert sind, ein Organ zu bekommen. Ist da die Vorstellung nur Science Fiction, dass man Arme oder Drogenabhängige mit Schweineherz und Affenleber als minderwertige Wesen, dem Tier näher als dem Menschen, gesellschaftlich an den Rand drängen wird? Wenn die Verteilungsungerechtigkeit durch XTP nicht abgeschafft werden kann, ist der Zweck der Forschung grundsätzlich in Frage gestellt.