Hans Meyer und Borussia Mönchengladbach

Alberne Stellenwerte

»Hans - wer?« fragte man sich in Mönchengladbach, als der neue Trainer sein Amt antrat. Mittlerweile hat man sich an Hans Meyer gewöhnt und hofft auf den Wiederaufstieg.

Am Monatsende wurden aus dem Haufen unbezahlter Rechnungen einige im Lotterie-Verfahren gezogen, die dann beglichen wurden. Kurz gesagt, der Verein war eigentlich pleite«, sagte Helmut Grasshof, Manager und Macher der späteren Fohlenelf, über die ersten Eindrücke, die er gewann, als er 1962 die Geschicke des Oberligisten Borussia Mönchengladbach übernahm.

Grasshof krempelte die Ärmel hoch. Und hatte Erfolg. Fußballer wie Netzer, Heynckes, Vogts wurden unter der Regie des 1964 engagierten Trainers Hennes Weisweiler zu Stars, prägten die Fohlenelf, den Club - und gleich die ganze Stadt. Und so kommt es, dass es nahezu keinen Gladbacher, ob Fußballkenner, -zaungast oder -gegner, gibt, der nicht zumindest eine Anekdote, sei es vom Ferraristi Netzer oder über den mit dem Mofa zum Training tuckernden jungen Berti Vogts, zu berichten weiß.

Von diesen Erinnerungen zehrt man seit Jahrzehnten, schließlich ist am Bökelberg schon sehr lange keine Meisterschaft mehr gefeiert worden. Selbst während des kurzen Zwischen-Hochs, als Trainer Bernd Krauss, Manager Rolf Rüssmann und der als Stinkefinger stigmatisierte Italien-Heimkehrer Stefan Effenberg die Borussia zum DFB-Pokalsieg führte, war man sich durchaus darüber im Klaren, dass die Basis für einen lang andauenden Erfolg in Mönchengladbach schlicht nicht vorhanden ist. Das kleine, veraltete Stadion konnte nur durch Improvisationen einen halbwegs geeigneten Rahmen für das Medien-Spektakel Bundesliga bieten, das ortsansässige Sponsorenpotenzial ist zwar willig, aber wenig zahlungskräftig. Wie auch die Stadt, der oft vorgeworfen wird, vor 25 Jahren die Zeichen der Zeit - schon damals träumte der Verein von einer neuen Arena - verkannt zu haben.

Das Ende des Mythos von der Fohlenelf war so langwierig wie schmerzhaft und endete ausgerechnet, als deren ehemaliges Mitglied Rainer Bonhof scheiterte. Borussia Mönchengladbach musste daraufhin 1999 zum ersten Mal seit dem Aufstieg 1965 absteigen und stand nach vier Zweitliga-Spieltagen mit null Punkten souverän auf dem letzten Tabellenplatz.

Es herrschte Weltuntergangsstimmung rund um den Bökelberg. Rainer Bonhof musste zurücktreten, der Präsident ging gleich mit. Und auch der Glaube an die Realisierung der 300 Millionen Mark teuren Multifunktional-Arena, die bereits unter Ex-Manager Rüssmann geplant worden war und sowohl dem Verein als auch der Stadt einen wirtschaftlichen Schub geben sollte, war erschüttert.

Selbst bei der Trainersuche hagelte es reihenweise Absagen von mehr oder minder namhaften Fußball-Lehrern. Als bekannt wurde, dass ein Mann namens Meyer - die Schreibweise der Gazetten variierte anfangs enorm, was zeigte, wie wenig man von ihm wusste - das Team coachen würde, hob das die Stimmung nicht im Mindesten.

Dabei hatte Meyer bis dahin den niederländischen Ehrendivisionär Twente Enschede trainiert und ihn sogar in den Uefa-Cup geführt. Ursprünglich kommt Hans Meyer jedoch aus der DDR, wo er an der Leipziger Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) sein Diplom erwarb. Meyer trainierte den FC Magdeburg und tituliert sich selbst gern mit dem ihm eigenen ausgeprägten Hang zur Ironie als »Lattek des Ostens«. Und als sich Meyer dann auch noch kurz nach seinem Arbeitsantritt in Mönchengladbach doppelbödig mit den Worten: »Von Hause aus bin ich ja Kommunist« beschrieb, da war für die Ironie-ungeübte Lokalpresse gleich alles aus.

Hatte sich das Präsidium mit Meyer für eine Billig-Variante entschieden und sich innerlich bereits damit abgefunden, dass der VfL auf absehbare Zeit im Fußball-Unterhaus würde kicken müssen? Und noch dazu mit einem Zoni als Trainer?

Gleich das erste Spiel unter Coach Meyer bestätigte alle diese dunklen Ahnungen. Nix war's mit »Neue Besen kehren gut« - im Gegenteil: eine desolate, hilflose Borussen-Truppe verlor im eigenen Stadion ausgerechnet gegen die sonst so gern belächelten Fußballzwerg-Nachbarn aus Aachen.

Nach dem Spiel begann Hans Meyer jedoch, in seinem Team aufzuräumen: »Mit dieser Mannschaft konnte man und kann man nicht aufsteigen. Es ist eine solide Zweitliga-Mannschaft - wenn alles gut läuft.« Und er tat, was all seine Vorgänger so bewusst gemieden hatten. Er griff einzelne Spieler öffentlich an. Zunächst den Abwehrspieler Marcello Pletsch, dem Meyer attestierte, er könne ihm »das Fußballspielen nicht mehr beibringen«.

Wenig später folgte die unvermeidliche Auseinandersetzung mit Toni Polster, der bereits unter Vorgänger Bonhof Dauerthema gewesen war. Doch Meyer schien ein schnelles Ende zu suchen, als er den Österreicher aufforderte, den Job aufzugeben: »Polsters Karriere geht zu Ende, und er ist nicht der Mann, der uns weiterhelfen wird. Es ist für jeden schwer, von sich aus zuzugeben, dass Schluss ist. Ich hoffe, dass der Toni ehrlich gegen sich selbst ist«, sagte er dem kicker. Polster konterte prompt: »Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht. Ich lasse mir nicht mehr alles gefallen. Das hat mit Stil und Respekt zu tun.« Ständig würden ihm »Prügel vor die Füße geworfen«, so Polster weiter.

Unterstützung erhielt Polster dabei von der Boulevardpresse, zu der der Spieler seit seiner Zeit beim 1. FC Köln ein sehr gutes Verhältnis hat. Aber auch ihr gelang es nicht, den Mann wieder ins Team zu schreiben. Hans Meyer zeigte sich von allen Negativ-Schlagzeilen unbeeindruckt, ließ den Ex-Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft auf der Bank schmoren und merkte an: »Der Stellenwert, den hier ein einzelner Spieler besitzt, ist absolut albern.« In der Winterpause schloss Meyer das Kapitel Polster dann endgültig. Er nahm den 35jährigen lauffaulen Stürmer erst gar nicht mehr mit ins Vorbereitungscamp an der portugiesischen Algarve, Polster sollte sich beim Training mit den Oberliga-Amateuren des Vereins fit halten. Der Wiener, der schon mit dem 1. FC Köln abgestiegen war, begriff und wechselte postwendend, wenn auch nur auf Leihbasis, zum österreichischen Erst-Ligisten SV Wüstenrot Salzburg.

Meyer hatte erkannt, dass der Mannschaftsgeist, den zu wecken sein oberstes Gebot sein musste, nicht zu aktivieren war, wenn der Top-Verdiener des Vereins auf dem Platz lediglich Standfußball bot, während die anderen für ihn mitlaufen, mitkämpfen sollten.

Schon früh fand der Trainer dagegen lobende Worte für Polsters Stürmer-Kollegen Arie van Lent, ob seiner mangelnden Torausbeute in der Presse oft gescholten: »Viele sehen gar nicht, wie sehr er für die Mannschaft rackert und für andere mitarbeitet. Manchmal fehlt ihm dann die Konzentration im Strafraum.«

Meyer hatte richtig beobachtet und wurde belohnt. Van Lent avancierte zu einem der wichtigsten Spieler des neuen Teams und zum Torjäger. Dazu hatte Meyer mit Igor Demo einen exzellenten Neueinkauf getätigt. Zusammen mit Peter Nielsen und Marcel Witeczek bildet er das derzeit wohl stärkste Mittelfeld der Liga. Dreizehn Mal verließ das neue hochmotivierte und aggressive Team Meyerscher Prägung inzwischen ungeschlagen den Platz, inklusive des Spiels gegen den Spitzenreiter 1. FC Köln, bei dem Borussia Mönchengladbach ein Unentschieden schaffte.

Und der Trainer hat seither seine Ruhe. Wenn es allerdings mit dem ersehnten Wiederaufstieg nicht klappt, dann könnte die ganz schnell wieder vorbei sein.