Wolfgang Ehmke von der BI Lüchow-Dannenberg

Dammbruch im Wendland

Am Wochenende treffen sich die Gruppen der Anti-AKW-Bewegung in Münster zur Bundeskonferenz.

Statt von den im Vorfeld des Bundesparteitags der Bündnisgrünen erwarteten Aktionen der Anti-AKW-Gruppen war in der Presse über Demonstrationen von Beschäftigten aus der Kernindustrie zu lesen. Hat die Anti-AKW-Bewegung den Parteitag verschlafen?

Die Bereitschaft, sich mit Parteien-Politik auseinanderzusetzen, ist in der Anti-AKW-Szene wenig entwickelt. Der Menschenteppich war eindrucksvoll, aber der Protest blieb Randkulisse. Die Inszenierung des Märchens von des Kaisers neuen Kleidern, auf die rot-grüne Ausstiegspolitik gemünzt, interessierte nur die Bildmedien. So nackt, wie einige Aktivisten auf dem Rednerpodium standen, stand symbolhaft die Bewegung da, weil sie - teils aus Ignoranz, teils aus politischer Arroganz gegenüber Parteienpolitik - das Feld für öffentlichen Protest sogar der Gegenseite, den Atom-Arbeitern und -arbeiterinnen, überlassen hat.

Anfang Februar auf dem niedersächsischen Landesparteitag der Grünen in Celle wurde Trittin ausgepfiffen. Zeigen die unterschiedlichen Bilder von Celle und Karlsruhe nicht, dass die Anti-AKW-Bewegung außerhalb vom Wendland kaum mobilisierungsfähig ist?

Celle lag vor unserer Haustür, da war klar, dass Trecker rollen, dass rosa und grüne Schweinchen auf dem Vorplatz, den wir mit Transparenten geschmückt hatten, aus dem Regierungstrog fraßen. Mobilisierungsfähig sind derzeit nur die Standortinitiativen, das sehe ich auch so. Die niedersächsischen Grünen hatten aber auch Rückenstärkung verdient, denn sie organisierten innerparteilich den Protest gegen den Kurs von Trittin und Fischer allein. In der Berichterstattung über Karlsruhe ist übrigens untergegangen, dass diese Linie nur hauchdünn unterlegen war.

Jetzt ist jedoch klar, wie die Grünen gewichten: Ihre Regierungsbeteiligung zählt mehr als der Atom-Ausstieg. Diesen Beschluss werden die Grünen, die auf ihre Essentials verzichten, noch bereuen. Zumal sie die FDP in Sachen Grundwerte nicht beerbt haben und nur noch von Leihstimmen der SPD zehren.

Die Anti-AKW-Bewegung war in den letzten Jahren eher eine Anti-Castor-Bewegung. Wie soll die von Ihnen häufiger prophezeite Bewegungs-Renaissance aussehen?

»Castor stopp« steht symbolisch stets für »Atomkraft stopp«. Unsere öffentlichen Erklärungen zielten stets darauf, klarzustellen, dass es um »das Ganze« geht. Ich sehe auch, dass die Anti-AKW-Bewegung nicht mehr 100 000 Menschen mobilisieren kann, die an den Bauzäunen rütteln. Es gibt auch keine Bauzäune mehr, wir leben im Atomstaat und mit einer - politisch wie ökonomisch bedingten - Ungleichzeitigkeit. 1989 wurde in Neckarwestheim das letzte AKW in Betrieb genommen, während die WAA Wackersdorf, der Schnelle Brüter Kalkar, der Kugelhaufenreaktor Hamm-Uentrop aufgegeben wurden.

Die Castor-Behälter rücken zweierlei ins öffentliche Bewusstsein: die ungelöste Entsorgung und das latent vorhandene Restrisiko, die Gefahr von Havarien beim Reaktorbetrieb. Quasi als Spitze des Atom-Müllbergs rollen Behälter durch die Gegend, die verstrahlt sind, deren Haltbarkeit nicht getestet, sondern errechnet wird. Die Aktionen gegen Castor-Transporte vernetzen die Standorte inzwischen auch international, das ist von großem Gewicht.

Im letzten Jahr versuchte die Initiative X-tausendmal-quer, die Atommeiler mittels einer Verstopfungsstrategie zu blockieren. Muss die nicht mittlerweile als gescheitert angesehen werden?

Prinzipiell befürworten wir die Blockade von Castoren direkt an den AKW. Naiv finde ich die Vorstellung, dass das Versagen der Parteien im Atom-Ausstieg durch direkte Aktionen kompensierbar wäre. Konkret: Hocke ich mich auf das Gleis vor dem AKW Stade, kann ich nicht die Abschaltung erzwingen. X-tausendmal-quer suggeriert aber, dass Tausende sich an derartigen Aktionen beteiligen könnten, dass der Gegenseite und nicht uns die Puste ausgeht.

Die bundesweiten Anti-AKW-Konferenzen der letzten Jahre wurden von Teilnehmern wegen fehlenden Positionsbestimmungen zu den aktuellen Entwicklungen in der Atom-Politik und Unverbindlichkeit kritisiert. Wurde diese Kritik bei der Vorbereitung der Anti-AKW-Frühjahrskonferenz berücksichtigt?

Die Mülheimer Konferenz ist sehr gründlich vorbereitet worden. Es gibt Impulsreferate zu den Themen Energiepolitik im entfesselten Kapitalismus, zu den unterschiedlichen Positionen der Anti-AKW-Bewegung, zu Strateges möglich ist, ob die »Zuspitzung« auf Aktionsschwerpunkte gelingt, wird die Konferenz zeigen. Sagen wir es so: Wir können uns auch verzetteln. Einmal durch permanente Rückschau, einmal durch penetrante Grünenschelte. Wenn es nicht gelingt, sich auf die eigene Kraft zu besinnen und die Rolle außerparlamentarischer Arbeit zu betonen, dümpeln die Bewegungsreste vor sich hin, bis wieder ein Castor rollt.

Die Anti-AKW-Bewegung hat in der letzten Zeit mehr durch innere Streitigkeiten als durch eine Offensive nach außen von sich reden gemacht. Beispielhaft sind die Querelen in der Vorbereitung der bundesweiten Anti-AKW-Demonstration im vergangenen November in Berlin. Zunächst auf einer Anti-AKW-Konferenz beschlossen, wurde sie mangels Interesse abgesagt und dann, so der Vorwurf Berliner Anti-AKW-Gegner und Gegnerinnen, von der BI Lüchow-Dannenberg im Alleingang durchgesetzt. Ist eine verbindliche Aktionsplanung über die Blockade von Castor-Transporten hinaus überhaupt noch möglich?

Der Treck der Bäuerinnen und Bauern nach Berlin ist ein Beispiel, wie man Gelegenheiten vergeigt, Stärke zu demonstrieren. Sicher: Die Vorbereitung lief schlecht, weil die Bäuerliche Notgemeinschaft im Wendland ihr eigenes Süppchen kochte und sich nicht in dieselbe spucken lassen wollte. Ist das nicht auch ein bisschen nachrangig, wenn eine Trumpfkarte wie der Treck gespielt wird? Statt der 8000 hätte die eindrucksvolle Stunkparade mehr Zulauf und Unterstützung verdient gehabt. So haben wir - wie schon in der Vergangenheit - nur unsere eigene wendländische Stärke demonstriert.

In einem in der Bewegungszeitung Anti-Atom-Aktuell veröffentlichten »Offenen Brief« werfen mehrere Initiativen der BI-Lüchow-Dannenberg vor, mit ihrer geplanten Aktion »Tag X - Stoppt die Atommüllflut« unbeabsichtigt tendenziell rassistisch zu argumentieren. Bedient man sich hier im Bestreben, möglichst große Teile der Bevölkerung zu erreichen, populistischer Metaphern?

Eine klitzekleine, politisch saubere »Bewegung»? Das ist dann keine Bewegung mehr. Aber um Populismus ging es gar nicht. Wir hatten nach einer neuen Metapher gesucht, um gegen den nächsten Castortransport zu mobilisieren. Das war kurz nach der Oderflut. Das Bild, solidarisch gegen eine Gefahr zusammenzustehen, mündete in die Idee, ebenfalls Stroh- oder Sandsäcke für dies und das zu benutzen. Die Kritik, dass wegen der Parole »Stoppt die Atommüllflut« auch die »Asylantenflut« assoziiert werden könnte, haben wir akzeptiert und formulieren unser Flugblatt um. Die Unterstellung, eine derartige Metapher sei kein Zufall, sondern Ausdruck unserer Politik, ist jedoch abenteuerlich.

Wie soll die Anti-AKW-Bewegung mit dem Atom-Müll, der demnächst vertragsgemäß aus den französischen Zwischenlagern nach Deutschland zurückgeschickt werden soll, umgehen, ohne Gefahr zu laufen, nach dem St.Florians-Prinzip zu handeln?

Solange die Wiederaufarbeitung nicht gestoppt ist, gibt es nur gute Gründe, auch die verglasten hochradioaktiven Abfälle aus La Hague zu blockieren. Soll ich jetzt Vorschläge unterbreiten, wohin der Strahlendreck soll? Ich werde mich hüten!

Infos über die Anti-AKW-Bundeskonferenz unter www.akw-nee.de