Alternative Lebensformen

Plaudertaschen

Was eigentlich hat man unter »zionistischem« Besitz zu verstehen? Jüdisches Eigentum, das rechtzeitig der nationalsozialistischen Arisierung entzogen werden konnte und später einem Anschlag der Revolutionären Zellen (RZ) zum Opfer fiel? Vielleicht aber hat sich die Maschinenfabrik Korf, »die zu 3/4 in 'zionistischem' Besitz ist«, auch einfach erst nach 1945 in Deutschland angesiedelt? Am Ende konnte niemand erklären, warum solche Sätze ganz selbstverständlich in einen Reader »Geschichte und Widersprüche der Revolutionären Zellen/Rote Zora« zu lesen sind, den die Organisatoren einer Veranstaltung über die »RZ-Verhaftungen« in der Humboldt-Universität verteilten. Die Zeit drängte, die Frage blieb unbeantwortet.

Umso genauer konnte man am Donnerstag vergangener Woche erfahren, was den meisten der rund 400 Besucher und Besucherinnen im Saal ohnehin nicht ganz neu gewesen sein dürfte: Etwa die Funktion der Anti-Terror-Paragrafen 129 und 129 a oder die fragwürdige Kronzeugenregelung, wie sie Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck auf dem Podium kritisierte.

Zweifellos spielen diese Aspekte aus dem Giftschrank der Bundesanwaltschaft eine Rolle, wenn es gilt, die Bedeutung der Polizeiaktion einzuschätzen, bei der im vergangenen Dezember Harald G., Axel H. und Sabine E. verhaftet wurden. Schließlich wird den Dreien nach Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli vorgeworfen, sie hätten sich an militanten Aktionen der RZ gegen imperialistische Flüchtlingspolitik Mitte der achtziger Jahre beteiligt. Dennoch haben die Veranstalter nach gut zweistündiger Beredsamkeit ungewollt, aber erfolgreich verhindert, was sie selbst zu Beginn eingefordert hatten: eine Diskussion. Die in der Mehrheit von Insidern besuchte Veranstaltung wurde so zu einer Aneinanderreihung von Themen, die »irgendwie« mit den Verhaftungen zu tun haben: Repression, Asylbewerberleistungsgesetz, anstehende Actions.

Und so blieben nicht nur die unterschiedlichen Einschätzungen innerhalb der Soli-Szene außen vor. Mit dem dezenten Verweis auf eine vermeintlich »dünne Aktenlage« wurde kein Wort über Mouslis konkrete Aussagen verloren, obwohl diese Verschwiegenheit seit Monaten eine Debatte über die Einordnung der Aktion und die Entwicklung des Autonomen Mousli zur Plaudertasche Mousli erschwert. Dabei wissen nicht nur die Bundesanwälte, dass sich mit der »dünnen Aktenlage« reichlich dicke Bretter bohren lassen. Der 40jährige, der nach eigenen Angaben selbst bei den RZ organisiert war, hat nicht nur weitere angebliche Mitglieder der militanten Gruppe schwer belastet, sondern den Ermittlern zudem umfangreich Auskunft über Westberliner Autonome gegeben.

Was davon stimmt, ist freilich offen. Unbestritten dagegen ist, dass jeder Tag, mit dem diese Aussagen der linken Öffentlichkeit vorenthalten und folglich nicht offen in eine Debatte einbezogen werden, mehr Futter in die Szene-eigene Gerüchteküche bringt. Doch darüber wollte man am Donnerstag lieber kein Wort verlieren. Dabei kann nur eine offensive Beschäftigung mit den Hintergründen von Mouslis Verhalten einen Weg aufzeigen, um den Kronzeugen dazu zu bringen, seine Angaben zurückzuweisen - ein Ziel, an dem auch den Veranstaltern vom Bündnis zur Freilassung von Axel, Harald und Sabine gelegen sein dürfte.

Vielleicht wäre dann beim nächsten Mal auch mehr Platz, über weitergehende Hintergründe zu diskutieren. Etwa über die Frage, warum noch heute im Reader formuliert werden kann, bei der Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe durch ein von RZ-Mitgliedern unterstützes PLO-Kommando seien 1976 »israelische und ein paar französische Fluggäste von den anderen Passagieren separiert« worden, »was später innerhalb der Linken zur Kritik und Ablehnung der Selektion von Juden und Jüdinnen führte«. Denn schenkt man Mousli nur ein wenig Glauben, dann war es gerade seine Gruppe, die an der Auseinandersetzung um diese »Selektion entlang völkischer Linien« (RZ) und weitere antisemitische Elemente in der RZ-Geschichte zu Grunde ging.