Öko-Strom

Welche Farbe hat dein Strom?

Umweltverbände und Grüne erklären dem Citoyen 2000, warum böser Strom gelb und guter Strom grün ist.

Neoliberale Politik hat dazu geführt, dass alte Gewissheiten ins Wanken geraten und neue Fragen am Horizont aufgetaucht sind. Zum Beispiel: Welche Farbe hat dein Strom? Ist Atomstrom wirklich gelb? Und kommt Sonnenenergie grün aus der Steckdose?

Die Liberalisierung des Strommarktes setzte Ende 1996 mit der europäischen Binnenmarktrichtlinie Elektrizität ein. Ziel war die Öffnung der nationalen Stromversorgung, um einen europaweiten Markt zu etablieren. Ihre Erwartungen an liberalisierte Energiemärkte hatte die EU-Kommission schon 1993 im Weißbuch »Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung« beschrieben: »Offene Märkte und Deregulierung führen zu mehr Wettbewerb und damit zu einer höheren Energieeffizienz. Dies stärkt insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie.« Die neoliberale Rechnung geht also so: Wettbewerb = sinkende Strompreise = bessere Standortbedingungen europäischer Unternehmen = höhere Energie-Effizienz. Unter Energie-Effizienz versteht die EU vor allem reduzierte Kosten für die Energiebereitstellung. Deshalb wurde auch eine beträchtliche Anzahl von Arbeitsplätzen in der Stromwirtschaft gestrichen. Die Zahl der Beschäftigten sank in der BRD zwischen 1991 und 1998 von 218 000 auf 160 000.

Die Vorgaben der EU wurden in Deutschland mit dem Energiewirtschaftsgesetz vom April 1998 in einer radikalisierten und beschleunigten Version umgesetzt: Der Strommarkt wurde übergangslos und vollständig geöffnet, obwohl nach der EU-Regelung ein allmählicher stufenweiser Prozess möglich gewesen wäre. Die Gebietsmonopole der Energieversorgungsunternehmen wurden abgeschafft, die Netzzugangsbedingungen in einer industriellen Verbändevereinbarung geregelt, die vom Bundesverband der deutschen Industrie, der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke und dem Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft ausgehandelt wurde. Eine Regulierungsbehörde wie das britische Offer (Office of Electricity Regulation) ist nicht eingerichtet worden. Auch die rot-grüne Regierung hält an diesen Bedingungen fest.

Dass es jetzt im Strombereich heißt: »Preise vergleichen!«, ist der Öffentlichkeit durch den erfolgreichen Werbefeldzug von Yello-Strom bewusst geworden, der in den Köpfen die Annahme implantierte: »Strom hat eine Farbe«. Dieses Fehlurteil wollen Umweltverbände wie der BUND, der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) oder Eurosolar nutzen, um nun »grünem Strom« zum Durchbruch zu verhelfen. Die Definitionen für »grünen Strom« sind unterschiedlich. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass »grüner Strom« mit Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und mit erneuerbaren Energien produziert wird. Bei der KWK wird die Verbrennungswärme, die bei der Stromproduktion aus fossilen Energieträgern entsteht, gleichzeitig zur Heizung von Gebäuden genutzt. Dies führt zu einer besseren Ausnutzung der Energie und reduziert den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid. Bei erneuerbaren Energieträgern wie Sonne, Wind und Wasser fallen überhaupt keine Emissionen an.

Umweltverbände und Bündnis 90/Die Grünen haben sich entschlossen, den Kauf von »grünem Strom« zu promoten. So kündigte die energiepolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Michaele Hustedt, auf der Konferenz »Energiewende: Jetzt!« an: »Die Grünen werden offensiv dafür werben, dass viele Menschen für sich den Sofortausstieg aus der Atomkraft vollziehen und grünen Strom kaufen.« Auch die Energie-Campaignerin des Bundesvorstands, Brigitte Linke-Lotz, nimmt im Mitgliedermagazin schrägstrich die KundInnen in die Pflicht: »Jetzt entscheidt jedeR VerbraucherIn, welcher Strom marktfähig ist: Die Stromsorte, die nachgefragt wird, wird auch angeboten und verkauft.« Abschließend fordert sie: »...alle Macht den Ökostromern!« So soll sich in der alternativen Angebot-und-Nachfrage-Welt der Grünen der Citoyen 2000 nicht als politisches Subjekt konstituieren, sondern als Subjekt des aufgeklärten Konsums, das korrekt auf dem Strommarkt einzukaufen gelernt hat.

Auch der Umweltkonzern Greenpeace sieht Chancen für einen »grünen Strommarkt«. Um in das Geschäft einzusteigen, gründete die Öko-NGO die Genossenschaft Greenpeace energy. Während der Aktion »Stromwechsel« hatte die Organisation 1999 60 000 Interessenten geworben. Entschieden haben sich allerdings nur 6 000 Haushalte, ihren Strom zukünftig direkt von der Umweltorganisation zu beziehen.

Die Handelbarkeit der Ware Strom wurde in der BRD mit der juristischen und ökonomischen Fiktion der »Durchleitung« ermöglicht. Dieser Sprachgebrauch legt nahe, dass der Strom vom Punkt der Einspeisung direkt zu den KundInnen wie Öl durch eine Pipeline durchgeleitet würde. Physikalisch ist das vollkommener Nonsens. Die Stromversorgung erfolgt immer verbrauchsnah vom nächstgelegenen Kraftwerk. Die Analogie eines »Stromsees« ist angemessener. Strom wird in diesen See an vielen Punkten eingeleitet und an vielen anderen Orten wieder entnommen.

Das Märchen vom »grünen Strom« stützt sich auf die Fiktion der Durchleitung. Wird von KundInnen »grüner Strom« bestellt, erhalten sie weiterhin den gleichen Strommix aus der Steckdose. Nur der Geldstrom wird vom alten Anbieter zum »grünen« Stromanbieter umgeleitet. Die KundInnen zahlen einen Aufschlag - im Durchschnitt sind das acht Pfennig pro Kilowattstunde -, ohne dafür eine direkte Gegenleistung zu erhalten.

Für die Durchsetzung erneuerbarer Energien ist diese Fiktion schädlich. Ein besonderer Vorteil regenerativer Energien ist, dass sie in hohem Maße vom Stromnetz unabhängig sind. Mit Fotovoltaik-Zellen auf dem Dach oder in der Fassade kann Strom für ein jeweiliges Gebäude produziert werden. Ein Blockheizkraftwerk, in dem Biomasse verbrannt wird, kann Häuser mit Elektrizität und Wärme versorgen. Nur die Überschüsse werden dabei ins Netz eingespeist. Die Vorstellung von der »Durchleitung« wird vor allem dazu genutzt, erneuerbare Energien an den Kosten des Verbundnetzes zu beteiligen. Nach Angaben von Hermann Scheer, Präsident der europäischen Sonnenenergie-Vereinigung Eurosolar, fällt »mehr als die Hälfte der Kosten einer Stromversorgung für den Bau, den Unterhalt und den Betrieb von Stromnetzen« an. Um erneuerbare Energien durchzusetzen, ist es wesentlich, die bestehenden Versorgungsstrukturen den regenerativen Energieträgern anzupassen. Das lokale und regionale Netz könnte ausgebaut, ein Großteil der Hochspannungsmasten abgebaut werden.

Die Wahrscheinlichkeit für einen Durchbruch solarer Energie hat sich durch das im Februar vom Bundestag verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz erhöht. Es tritt am 1. April 2000 in Kraft und verpflichtet die Netzbetreiber, Strom aus regenerativen Energien abzunehmen und mit einem gesetzlich bestimmten Satz - für Strom aus Fotovoltaik beispielsweise 99 Pfennig je Kilowattstunde - zu vergüten. Ziel des Gesetzes ist die Verdopplung des Stromanteils erneuerbarer Energien auf 10 Prozent bis zum Jahr 2010.