Hool-Demos

Wir sind das Volk

Gefährliche Orte XCVII: Wenn Fußball-Fans das Stadion verlassen, um für Reisefreiheit zu protestieren, mag das berechtigt sein. Besonders sympathisch ist es deswegen noch lange nicht.

Es ist fast wie früher. Wie vor etwas mehr als zehn Jahren. Demonstrierend zieht eine Menge durch Ostberlin. Ihre Forderungen: »Reisefreiheit für alle«, »Polizeistaat? Nein danke« und der Erhalt von Bürgerrechten. Ihr Treffpunkt: der Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte - wegen der Freiheit der Andersdenkenden und so.

Man fühlt sich ausgegrenzt und appelliert an alle Umstehenden: »Solidarisiert euch mit uns« und »Reiht euch ein«, heißt es aus dem Lautsprecherwagen. Denn, so erfährt man, es geht um die »Rechte von uns allen«. Um die von Atomkraft-Gegnern beispielsweise - ja eigentlich sogar die von allen Bundesbürgern. Und dann stimmt man ein fröhliches Lied an: den in Ostberlin so beliebten FDJ-Titel »Bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend, bau auf« - mitgesungen vom größten Teil des Zuges.

Die Anwohner betrachten das ungewohnte Treiben auf der Straße eher mit Argwohn: So mancher bringt schon einmal sein Auto in Sicherheit. Ein Westauto natürlich - Made in Wolfsburg. Warum? »Deren Ausreisefreiheit wird doch eingeschränkt, weil sie im Ausland immer alles kaputtschlagen. Dann machen die das hier bestimmt auch.« Und dann sagt der etwa 50jährige, was in Ostberlin zwingend folgen muss: »Früher hat es sowas nicht gegeben.«

Damit meint er natürlich den Demonstrationszug, nicht etwa die Einschränkung der Reisefreiheit. Das Böse kommt also wieder einmal aus dem Westen. Tatsächlich gibt es einige Anzeichen für diese These: Den Lautsprecherwagen ziert ein Nummernschild aus München, der Sprecher selbst ist durch seinen Zungenschlag eindeutig als Anwohner der Nordseeküste zu identifizieren, für die verteilten Flugblätter zeichnet ein Bremer verantwortlich, und so mancher Neonazi-Kader ist extra aus dem Ruhrgebiet zur Demonstration angereist. Ohne in der Menge aufzufallen freilich: Der Zug, der seinen Forderungen nach eine Nachhut der DDR-Bürgerrechtsbewegung sein könnte, ähnelt vom Erscheinungsbild her einem Neonazi-Aufmarsch.

Was am vergangenen Samstag durch Berlins Mitte zieht, ist nämlich überwiegend kurzhaarig auf und national unter der Schädeldecke: Hooligans, die gegen eine Gesetzesneuerung protestieren. Es geht um Reisebeschränkungen und Meldeauflagen für die Fußball-Anhänger. Damit soll verhindert werden, dass sich die Deutschen - wie zuletzt bei der Fußball-Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Frankreich - im Ausland austoben. Einträge im Reisepass und die Verpflichtung, sich an bestimmten Tagen bei seiner Meldestelle einzufinden, sollen den Hooligans die kommende Europa-Meisterschaft in Belgien und den Niederlanden verderben: Wer in der Vergangenheit bereits aufgefallen ist, für den gibt es in Zukunft keine Reisefreiheit mehr - zumindest nicht dann, wenn Deutschlands sportlicher Stolz im Ausland auftritt.

Recht so, mag man sich denken: Wer sich nur auf Grund der Nationalität mit elf blöden Fußballspielern und ihrem lahmen Gekicke identifiziert und so etwas Spaßiges wie Sport mit dem schauerlichen Begriff Heimat verbindet, der hat es nicht besser verdient, als dass man ihn lebenslang in diesem Lande einsperrt - bis ihm seine geliebte Nation zum Halse raushängt. Bedauerlich allerdings: Die meisten Hooligans ließen sich wohl kaum mit solch obrigkeitsstaatlichen Mitteln von ihrer nationalen Selbstüberschätzung abbringen. Außerdem geht es SPD-Innenminister Otto Schily auch gar nicht um den Versuch einer späten Reeducation - dazu wäre er auch alles andere als geeignet. Schily geht es um das, was deutschen Innenministern immer besonders am Herzen liegt: Law and Order.

Und da sind die Hooligans bestimmt nicht die einzigen, die nicht ganz den Vorstellungen der Bundesregierung entsprechen. Gerade in der Hauptstadt kennt man das zur Genüge: Der Hauptfeind ist nicht, wer sich mit dem eigenen Land identifiziert, sondern der Hauptfeind steht links. Die Berliner Polizei braucht dafür auch keine Sondergesetze, die ihnen Meldepflicht und Passeinträge gestatten. Am 1. Mai vergangenen Jahres empfahlen Staatsschutz-Beamte mehr als 20 jungen Leuten, sie hätten sich von der alljährlichen Demonstration der linken Szene fernzuhalten. Bei Zuwiderhandlung drohe Festnahme. Damals war das noch nicht legal. Aber wenn es gegen den Hauptfeind geht, ist Order auch ohne Law denkbar.

Von den Hooligans hatte das sogar der eine oder andere begriffen. »Heute wir, morgen ihr« heißt es auf dem Westimport-Flugblatt aus Bremen. Die Mehrheit des demonstrierenden Mobs führt sich aber genauso auf, als befände sie sich im Stadion: »Zick, Zack, Zigeunerpack«, »Deutschland - Hooligans« oder - noch anspruchsvoller - »Uffta, uffta, Tätaträ«, schallt es aus mehreren Hundert alkoholbenetzten Männerkehlen. Unterbrochen von einer Durchsage der Demo-Leitung: »Kann mal jemand Bier zum Lautsprecherwagen bringen!«

Bei der Polizei sorgt das für Erheiterung. Überhaupt ist dieser Aufzug von jenen, die aus Angst, davon betroffen zu sein, gegen die Gesetzes-Neuerung demonstrieren, in den Augen der Beamten eine gute Idee. Bietet er doch die Möglichkeit, die bestehenden Polizei-Karteien durch Videoaufnahmen zu ergänzen. Aber wozu überhaupt? Der gemeine Hooligan ist ohnehin nicht zu verkennen: In der rechten Hand das Handy, links die Bierbüchse, die Stimme tief und vor allem laut, grundsätzlich breitbeinig durch die Gegend marschierend, der Haarschnitt deutsch und die Gesinnung noch deutscher.

Grundsätzlich aber geben sich die Beamten freundlich. In Zusammenarbeit mit den Fußball-Clubs Hertha BSC, FC Union und BFC Dynamo hat man kleine Zettelchen (»Hallo Fußballfans«) vorbereitet. Die Message ist simpel: Fußball ist super, Gewalt nicht. Gerade nicht, wenn man sich als Deutscher auf dem Feldzug ins Ausland befindet - was Hooligans bekanntermaßen gerne tun. Warum? Die Polizei erklärt's nochmal: »Geschehnisse wie bei der WM in Frankreich schaden unserem Sport und dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Das muss doch jedem Hooligan einleuchten.

Und tatsächlich bleibt der Zug - abgesehen von einer anfänglichen Rangelei untereinander - friedlich. Ist ja auch logisch, wie ein Polizeisprecher betont: »Das wäre ja deren Zweck gar nicht dienlich, wenn die hier Radau schlagen.« Dabei wussten die Beamten, dass sich manche Grüppchen anschließend verabredet hatten, um Krawall zu schlagen. Aber die Polizei hat sich natürlich längst darauf vorbereitet, wie der Behördensprecher grinsend erklärt: »Ich verspreche, es wird nichts mehr passieren.«