Lukaschenko und seine Opposition

Gerangel am Runden Tisch

Mal lockt er, mal lässt er zuschlagen: Belorusslands Präsident Lukaschenko hält sich die Opposition vom Leib. Und die verspricht sich einiges von Deutschland.

Die Miliz konnte sich so richtig austoben. Einige Tausend Demonstranten hatten es bei einer Protestaktion gegen den belorussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko am vorletzten Samstag gewagt, statt am zugewiesenen Ort am Stadtrand in der Innenstadt zu demonstrieren. Die Stadtverwaltung von Minsk jedoch hatte die Manifestation im Zentrum verboten. Begründung: Der städtische Nahverkehr werde dadurch behindert. Etwa 400 Personen wurden festgenommen, darunter polnische OSZE-Beobachter, Mitarbeiter russischer Fernseh-Teams und ein AP-Reporter.

Schon der erste »Freiheitsmarsch« im November 1999 mit rund 15 000 Teilnehmern hatte mit Straßenschlachten und Verhaftungen geendet. Und vor der mit 20 000 Teilnehmern größten Protestaktion seit 1991, die am 15. März stattfand, hatte Lukaschenko angedroht, »Späne« aus der Demo zu machen. Dazu aber kam es nicht. Überwiegend Studenten und neuer Mittelstand brachte das unter Mühen geschlossene Anti-Lukaschenko-Bündnis auf die Beine. Das forderte den Rücktritt des Präsidenten - und alles verlief friedlich.

»Ein sehr schöner Frühlingsanfang«, freute sich der Vizepräsident der oppositionellen Belorussischen Nationalen Front, Wiaczeslau Siwczik, danach in Anspielung auf die neue Einigkeit der belorussischen Opposition von rechten Nationalisten, bürgerlich-liberalen, sozialdemokratischen bis hin zu kommunistischen Parteien. Ihr gemeinsamer Nenner heißt »Unabhängigkeit« - entgegen Lukaschenkos Versuch, Belorussland über eine Union enger mit Russland zu verbinden - und eine Öffnung nach Westen. Die Vorstellungen der Opposition fasst der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Narodnaja wolja (Wille des Volkes), Nikolai Statkewicz, in der Zeitschrift Wostok zusammen: Belorussland liege auf der Grenze zwischen westlicher und slawischer Kultur. Lukaschenko orientiere sich zu stark an Russland. Dieser Einfluss müsse »konfliktfrei zurückgedrängt« werden. »Dies ist nur für ein Land in Europa möglich, nämlich für Deutschland.« Konkret: »Man muss den Westen dazu bringen, in die Industrie und das Verkehrsnetz zu investieren. Dann können wir unsere Industrie modernisieren und eigene konkurrenzfähige Produkte auf unseren traditionellen östlichen Märkten absetzen.«

Zu freien Wahlen hat auch die Opposition ein eher instrumentelles Verhältnis. Da der Westen auf ihnen zu bestehen scheint, nimmt man sie in die Liste der Forderungen auf. Auf Initiative der OSZE setzen sich die verhandlungsbereiten Teile der Opposition mit Vertretern der Exekutive an runde Tische, um für den Herbst dieses Jahres Parlamentswahlen vorzubereiten.

Doch die letzte internationale Organisation, die dauerhaft in Belorussland präsent ist, hat einen schlechten Ruf. Nachdem Lukaschenko 1996 per Referendum mit der Verfassung auch gleich den Obersten Sowjet entmachtet und stattdessen eine »Nationalversammlung« mit ihm genehmen Leuten inthronisiert sowie seine Amtszeit eigenhändig verlängert hatte, organisierte der illegalisierte Oberste Sowjet im Mai 1999 eine Präsidentenwahl. Der als Sieger hervorgegangene Vorsitzende des Obersten Sowjets, Semen Sareckij, flüchtete nach Litauen und erklärte sich dort im vergangenen August zum amtierenden Präsidenten. Doch weder die OSZE noch die litauische Regierung oder irgendeine westliche Macht bestätigten Sareckijs Legitimität. Daraufhin lehnten hochrangige Oppositionspolitiker die Vermittlungsbemühungen der OSZE ab, da sie den Präsidenten unterstütze. Noch Ende Februar riefen einige Oppositionsparteien zum Boykott der Wahlen im Herbst auf. Inzwischen sind die Verhandlungen am Runden Tisch wieder angelaufen.

Die verhärteten innenpolitischen Fronten weichen derzeit etwas auf. Nicht nur, weil die Opposition sich langsam formiert, sondern auch, weil Lukaschenkos Machtbasis bröckelt. Der 1994 mit überwältigender Mehrheit (81 Prozent) gewählte Präsident regierte bis vor einigen Monaten weitgehend unangefochten auf der Grundlage »materielle Sicherheit statt demokratischem Prozedere«. Er lehnt West-Öffnung und Privatisierungen ab und setzt auf Staatskapitalismus. Bisher verhinderte er mit diesem Entwicklungsweg Massenarmut und -arbeitslosigkeit, wie sie beispielsweise im Nachbarstaat Ukraine eingetreten sind. Menschenrechtsorganisationen, die sein autoritäres Regime kritisierten, verwies er auf die freie medizinische Versorgung, an der sich der Westen ein Vorbild nehmen könne.

Die wirtschaftliche Lage hat sich in den letzten zwei Jahren jedoch zusehends verschlechtert - und damit auch die Position Lukaschenkos. Zur Russland-Krise 1998, die auch Belorussland erreichte, und der anhaltenden Schwäche der Staatsfinanzen traten immense Schulden bei dem russischen Gas-Lieferanten Gazprom und eine Missernte. In den Geschäften fehlen häufig Grundnahrungsmittel. Die Staatsbetriebe können immer öfter die Löhne nicht auszahlen - ein im Gegensatz zu Russland oder der Ukraine relativ neues Phänomen - und rufen damit den Unmut von Lukaschenkos Basis hervor. Minsker Fabrikarbeiter organisierten Streiks und forderten neben der Lohnauszahlung auch noch Lohnerhöhungen sowie verbesserte Arbeitsbedingungen. Die staatlichen Werksleitungen gingen auf die Forderungen ein - offenbar werden die Arbeiter als größere Gefahr für die Regime-Stabilität betrachtet als demonstrierende Studenten und Mittelschichtler.

Auch der zweite Pfeiler von Lukaschenkos Macht ist nicht so stabil wie erhofft. Zwar wurde im Dezember mit Russland der so genannte Unions-Vertrag geschlossen, jedoch enthält er über die bisherigen Vereinbarungen hinaus nur Absichtserklärungen. Insbesondere eine von Lukaschenko angekündigte gemeinsame Armee scheint nicht zustande zu kommen. Nachdem die Pläne im Osten sich als zunehmend unrealistisch herausstellen, sucht Lukaschenko wieder Kontakt in Richtung Westen. Er zeigt sich gegenüber der OSZE-Initiative für Neuwahlen aufgeschlossener und schickt Delegierte zu den Runden Tischen.

Welche Clique das Rennen machen wird, hängt nicht zuletzt vom Westen ab. Die USA haben sich offenbar dafür entschieden, die Opposition zu protegieren. Erst in der vergangenen Woche traf sich der stellvertretende US-Außenminister Strobe Talbott mit belorussischen Oppositionellen, um das US-amerikanische Eintreten »für Demokratie und Unabhängigkeit« zu demonstrieren.

Weniger eindeutig verhält sich Deutschland. Kurz vor seiner Kanzlerwahl 1998 traf sich Gerhard Schröder als niedersächsischer Ministerpräsident mit Lukaschenko. Das Rendezvous kam auf Initiative großer deutscher Industriekonzerne zustande, die Geschäftsinteressen in Belorussland haben. Auch war Deutschland Vorreiter in der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Minsk. Entgegen dem üblichen Verfahren, mit den Bündnispartnern gemeinsam zu handeln, zog der deutsche Gesandte ohne Absprache mit seinen US-Kollegen zurück in die belorussische Hauptstadt.