Libanon liefert Mitglieder der japanischen RAF aus

Opfer zum Ramadan

Nach Jahren des gemeinsamen Kampfes gegen Israel liefert der Libanon vier Mitglieder der japanischen Roten Armee Fraktion in ihr Herkunftsland aus.

Nur einer darf bleiben: Kozo Okamoto. Für seine Anerkennung als politischer Flüchtling im Libanon setzte sich sogar Premierminister Selim El-Hoss ein. Seine Begründung: Okamoto habe aktiv an den Angriffen gegen Israel teilgenommen. Vier weitere ehemalige Mitglieder der Nihon Sekigun (Japanische Rote Armee Fraktion) wurden hingegen am 17. März vom Libanon über Jordanien an Japan ausgeliefert. Ihnen werden terroristische Straftaten wie Geiselnahme, versuchter Mord und Passfälschungen Mitte der siebziger Jahre vorgeworfen.

Nach der polizeilichen Zerschlagung der japanischen StudentInnen- und ArbeiterInnenbewegung 1968/69 und der Zersplitterung der Linken war auch in linken Kreisen Japans über den bewaffneten Kampf diskutiert worden. Nihon Sekigun nannte sich eine Gruppierung, die rasch mit Banküberfällen in ganz Japan bekannt wurde. Nach zahlreichen Festnahmen bei Schießübungen ging ein Teil der Gruppe ins Ausland, um von dort den Kampf weiterzuführen. In den Ausbildungslagern der Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PFLP) um George Habash ließen sich die JapanerInnen in eine aus nicht-arabischen Antiimperialisten bestehende »internationalistische Gruppe« integrieren.

Weltweit bekannt wurden sie im Mai 1972, als ein aus drei Personen bestehendes Kommando auf dem Flughafen Lod in Tel Aviv wahllos mit Handgranaten und Maschinenpistolen ein Massaker veranstaltete: 26 Menschen, darunter zwei Kommandomitglieder, starben. Kozo Okamoto war einer drei Attentäter, er überlebte schwer verletzt und kam in ein israelisches Gefängnis.

Flugzeugentführungen, Geiselnahmen in Botschaften und Bombenanschläge zur Unterstützung des vietnamesischen Befreiungskampfes folgten. Über ein Dutzend Gefangene aus japanischen und europäischen Gefängnissen konnten so befreit werden. Die politische Relevanz von Nihon Sekigun bei der Linken in Japan ging gleichzeitig gegen Null.

Parallel dazu hatten in Japan gebliebene AktivistInnen die Rengoo Sekigun (Vereinigte Rote Armee) gegründet, die in den schwer zugänglichen Bergen Ausgangsbasen für den bewaffneten Kampf errichten wollte. Nach einer Belagerung mit anschließenden Festnahmen 1972 entdeckte die Polizei ein Massengrab mit über 20 Leichen - Rengoo Sekigun hatte Mitglieder als Abweichler und Verräter liquidiert. Diese interne Gewalt führte in der japanischen Linken zu einer nachhaltigen Diskreditierung des bewaffneten Kampfes. Obwohl sich Nihon Sekigun offiziell distanzierte, wurde die Organisation immer wieder mit Rengoo Sekigun gleichgesetzt.

Die letzte größere Aktion der Nihon Segikun war eine Flugzeugentführung eines japanischen Flugzeugs nach Dhaka in Bangladesh im September 1977. Noch einmal konnten sechs Gefangene aus japanischen Gefängnissen geholt und sechs Millionen Dollar Lösegeld erpresst werden. Danach wurde es still um Nihon Segikun. Bis zu 30 ihrer Mitglieder kämpften weiterhin in arabischen Staaten an der Seite der PFLP gegen Israel. Zeitweise lebten sie offen im Libanon und gaben japanischen Medien Interviews. Sogar Kozo Okamoto kam 1985 im Rahmen eines Gefangenenaustausches zwischen Israel und den PalästinenserInnen frei.

Der Umgang mit den JapanerInnen änderte sich Mitte der neunziger Jahre: Verschiedene arabische Staaten stellten ihre Unterstützung für die »internationalistischen Gruppen« ein, da sie von der Schwarzen Liste der USA - eine Aufstellung aller den »internationalen Terrorismus« unterstützenden Staaten, die mit Sanktionen zu rechnen hätten - kommen wollten. Mehrere ehemalige Mitglieder von Nihon Segikun wurden nur wenig später in Peru, Rumänien und Nepal verhaftet.

Im März 1997 traf es auch die fünf JapanerInnen im Libanon. Wegen illegaler Einreise und Dokumentenfälschung zu drei Jahren Haft verurteilt, saßen sie bis zum 19. März dieses Jahres im Beiruter Knast Roumieh. Die JapanerInnen versuchten noch im Gefängnis, ihren Kampf gegen Israel mit der »Selbstbestimmung der Völker und der internationalen Solidarität« zu begründen. Selbst das Attentat auf dem Flughafen Lod sei ein wichtiges Beispiel der wirklichen Solidarität zwischen den Völkern gewesen, erklärten sie.

Wer gegen Israel kämpft oder gekämpft hat, darf sich in der libanesischen und arabischen Öffentlichkeit einer breiten Unterstützung erfreuen. Das libanesische Kabinett verkündete öffentlich, es plane keine Auslieferung der Gefangenen nach Japan. Stattdessen sei man auf der Suche nach einem sicheren Drittland, in dem die JapanerInnen Asyl bekommen würden. In japanischen Medien wurde sogar Deutschland als mögliches »sicheres Drittland« genannt.

Wie die japanische Tageszeitung Yomiuri jüngst berichtetete, gab es aber auch Geheimverhandlungen zwischen dem Libanon und Japan über eine mögliche Auslieferung. Hinzu kam die Drohung aus Tokio, die finanzielle Unterstützung für den Libanon einzustellen. Und so wurden die vier JapanerInnen direkt nach dem Ende ihrer Haftstrafe nach Jordanien geflogen - dort warteten schon japanische Regierungsbeamte samt Flugzeug.

Der Zeitpunkt dieser Aktion war von libanesischer Seite gut gewählt: Das islamische Opferfest zum Ende des Ramadans ist ein offizieller Feiertag, zahlreiche Zeitungen erscheinen an diesem Tag nicht. Dennoch demonstrierten mehrere Hundert Menschen vor dem Beiruter Innenministerium.

In Japan erwarten die Mitglieder der Nihon Segikun schwere Strafen, selbst die Todesstrafe ist nicht ausgeschlossen. Japanische Medien, die sich auf Justizkreise berufen, vermuten, dass sich die Prozesse gegen sämtliche Mitglieder der Nihon Segikun noch bis ins Jahr 2015 hinziehen werden - zumal viele Aktivisten noch immer auf der Flucht sind.