Israelische Truppen im Libanon

Abzug als Anfang

Nach dem Scheitern der USósyrischen Gespräche zum Friedensprozess im Nahen Osten droht nun ein neuer Konflikt um den Libanon.

Endgültigen Frieden mit der arabischen Welt« zu schließen, hatte Israels Premier Ehud Barak versprochen, als er im vergangenen Jahr gewählt wurde. Nicht allein wollte er dieses Ziel erreichen, sondern zusammen mit politischen Freunden und Gegnern. Mit dem USóPräsidenten William Clinton und dem syrischen Präsidenten Hafis elóAssad trafen sich zwei von Baraks Wunschkandidaten nun Ende März in Genf, um den Friedensprozess im Nahen Osten voranzubringen ó und scheiterten.

Wie die israelische Tageszeitung Ha'aretz analysierte, hatte sich Barak auf Syrien verlassen: »Er war der festen Überzeugung, dass er Assad in der Tasche hat und dass im Moment eines Friedenschlusses Israel den Libanon verlassen könnte und auf einen Schlag alle anderen sozialen, politischen und ökonomischen Probleme gelöst wären.« Nach dem Scheitern der Gespräche stehe er nun außenpolitisch vor »einem Scherbenhaufen«. Es bleibe nur noch der für Juli dieses Jahres angekündigte israelische Abzug aus der Sicherheitszone im Südlibanon ó auch ohne Friedensschluss.

Vordergründig scheint es sich dabei vor allem um eine militärische und diplomatische Herausforderung zu handeln: Die israelischen Soldaten müssen unbeschadet »nach Hause« gebracht werden. Anschließend soll die Uno bescheinigen, dass die UNóResolution 425 aus dem Jahr 1978, die den Abzug aller fremden Truppen von libanesischem Territorium fordert, vollständig erfüllt worden sei.

Zum ersten Mal nach zwei Jahrzehnten zeigt Israel Interesse an dieser Resolution: Nachdem die USA ihre Unterstützung zugesagt hatten, besuchte Außenminister David Levy letzte Woche UNóGeneralsekretär Kofi Annan, um den Willen Israels zu verdeutlichen, den Libanon wie vorgeschrieben zu räumen. Im Gegenzug erwarte man, dass eine internationale Truppe unter UNóAufsicht auf der libanesischen Seite der Grenze stationiert werde. Übergriffe auf israelische Grenzsiedlungen sollen so verhindert werden.

Annan stimmte dem israelischen Plan zu, verwies aber zugleich darauf, dass Blauhelme im Libanon nur mit dem Einverständnis der dortigen Regierung stationiert werden könnten. Und es sei äußerst fraglich, ob Beirut dem israelischen Anliegen in dieser Form zustimme. Denn die libanesische Regierung und vor allem die Syrer, die de facto die Außenpolitik Beiruts kontrollieren, haben sich bisher mit allen Mitteln dem angekündigten israelischen Abzug widersetzt.

Syrien befürchtet, dass der israelische Abzug Konsequenzen für die eigene militärische Präsenz im Libanon haben könnte: Geht es doch in der UNóResolution um den Abzug aller fremden Truppen aus dem Land. Zudem weist man in Damaskus darauf hin, dass ohne israelische Soldaten im Libanon auch die bewaffneten Gotteskrieger der von Syrien unterstützten Hisbollah an Bedeutung verlieren würden. Deshalb könnte ein Truppenabzug die Position Israels in zukünftigen Verhandlungen, so sie überhaupt stattfinden sollten, erheblich stärken.

Obwohl Syrien die libanesische Politik weitgehend kontrolliert, ist die Lage im Libanon auch zehn Jahre nach Beendigung des Bürgerkriegs instabil. Somit trägt auch Israel ein großes Risiko. Ein einseitiger Rückzug drohe Kräfte freizusetzen, so fürchtet zum Beispiel der USóWissenschaftler Michael Eisenstadt in der Jerusalem Post, Kräfte, die sogar einen neuen Krieg im Nahen Osten auslösen könnten.

Der seit Jahren andauernde Konflikt zwischen Christen, Sunniten, Schiiten, Drusen und Palästinesern könne, so Eisenstadt, jederzeit wieder bewaffnet ausgetragen werden. Man müsse sich bewusst sein, dass Israel immer wieder in libanesische Bürgerkriege hineingezogen worden sei, weil alle ungelösten Konflikte des Nahen Ostens im Libanon als Stellvertreterkriege ausgefochten worden seien.

Besorgnis löste auch ein offener Brief von Jubran Tueni, dem Herausgeber der libanesischen Tageszeitung AnóNahar, an Assads Sohn Bashir aus. Tueni hatte es erstmalig seit 1990 öffentlich gewagt, die syrische Truppenpräsenz im Libanon zu kritisieren und den Abzug der Soldaten zu fordern. Dabei sprach er nur laut aus, was einflussreiche Kreise im Libanon, die eine größere Distanz zu Syrien wünschen, seit langem denken.

Vor allem die christliche UpperóClass im Libanon verspricht sich von einem syrischóisraelischen Friedensschluss mehr Unabhängigkeit und bessere Handelsbeziehungen mit dem Nachbarland. Bleibt der Friedensvertrag aus, so muss das christliche Estabishment fürchten, dass eine demobilisierte Hisbollah ihren politischen Einfluss im Libanon weiter ausbauen wird. Solange die Gotteskämpfer gegen Israel und dessen Verbündete der Südlibanesischen Armee (SLA) kämpften, stellten sie keine unmittelbare Bedrohung für die gesellschaftliche Stellung der Christen dar.

Aber nicht nur die Ausbreitung der Hisbollah, auch die Anwesenheit von 350 000 palästinensischen Flüchtlingen ó unter ihnen viele militante Gegner des Friedensprozesses ó gibt Anlass zur Sorge. Denn auch sie werden aus Syrien beeinflusst. Wenn Assad den Konflikt mit Israel eskalieren lassen will, muss er nur palästinensische Guerillaverbände im Südlibanon mobilisieren, um so das Gebiet einmal mehr zum Schauplatz israelischópalästinensischer Kämpfe machen. Eine im Libanon ansässige Abspaltung der PLO unter Munir Maqdah hat bereits erklärt, es würde »keinen Frieden mit den zionistischen Besatzern geben« und keine Armee der Welt, auch nicht die UN, könne die Grenze effektiv absichern.

Solche ó wohl von Syrien abgesegneten ó Äußerungen können als ernsthafte Option oder als Drohgebärde verstanden werden. Beides läuft auf das gleiche Ziel hinaus: Israel einzuschüchtern und Reaktionen zu provozieren. Und die blieben nicht aus: Sollten palästinesische Milizen grenzüberschreitende Aktionen gegen Israel unternehmen, erklärte jüngst Außenminister David Levy unmissverständlich, so würde »die libanesische Erde brennen«.

Dass die Syrer bereit sind, den Konflikt eskalieren zu lassen, ist unwahrscheinlich. Wenig spricht deshalb auch für die Umsetzung einer vom libanesischen Verteidigungsminister Ghazi Zaiter vorgeschlagenen Alternative. Der hatte geäußert, nach einem israelischen Abzug die syrische Armee zu bitten, an die Grenze vorzurücken, damit »Tel Aviv in Reichweite syrischer Raketen« komme.

Solche Stellungnahmen libanesischer Politiker werden auch von der libanesischen Tageszeitung AnóNahar kritisiert. Die libanesische Armee sollte lieber zusammen mit einer internationalen Truppe die Sicherheit an der Südgrenze garantieren: »Die Welt darf nicht den Eindruck haben, dass der Libanon gegen die Resolution 425 oder einen israelischen Abzug ist.«

Präsident Emile Lahoud hatte schon einen Tag zuvor Verhandlungsbereitschaft gezeigt und eine multinationale Schutztruppe nicht mehr kategorisch abgelehnt. Mit dem UNóBeauftragten Terje Roed Larsen diskutierte er über die libanesischen Bedingungen: Eine solche Truppe müsse alle palästinensischen Milizen innerhalb des Libanon entwaffnen und garantieren, dass es keine Übergriffe auf israelisches Territorium gebe. Will sie nicht selbst zum Kombattanten werden, so kann die Uno auf solche Vorschläge nicht eingehen.

Das weiß auch Lahoud. Seine Offerte deutet denn auch mehr darauf hin, dass die libanesische Regierung mit aller Härte gegen palästinensische Flüchtlinge vorgehen will. Bisher wurden sie als »unliebsame Gäste« bezeichnet und entsprechend behandelt: Palästinenser erhalten in der Regel keine Arbeitserlaubnis, sie sind nicht sozialversichert und dürfen nicht außerhalb der Flüchtlingslager wohnen. Nach Schätzungen der Hilfsorganisation UNRWA leben 60 Prozent dieser Flüchtlinge unter dem Existenzminimum.

Schon vor geraumer Zeit hatte die libanesische Regierung erklärt, der Libanon sei »keine Halde für Menschenmüll»; man wolle die Palästinenser innerhalb der nächsten zehn Jahre loswerden ó egal wohin. Auch ein Aufnahmeangebot liegt schon vor: Der irakische Staatschef Saddam Hussein hat sich bereit erklärt, 50 000 palästinensische Flüchtlinge in den Irak zu lassen.