Krise der Biotech-Industrie

Gebremste Gene

Die Anbaufläche für gentechnisch manipulierte Pflanzen schrumpft - zum ersten Mal seit deren Einführung vor vier Jahren.

So ein Ärger. »Sojaöl ist das erste Opfer der GenóHysterie«, befürchtete das US Department of Agriculture (USDA) bereits im letzten Jahr. Und mittlerweile trifft die »Hysterie« nicht nur Sojaöl. Die BiotechóFirmen sehen sich in einer Krise. Der diesjährigen offiziellen AussaatóUmfrage des USDA zufolge ist der Anbau von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln stark zurückgegangen. Mehr als zehn Prozent der Flächen, die 1999 noch Genpflanzen trugen, werden

in diesem Jahr wieder konventionell bepflanzt: Die Anbaufläche bei genmanipuliertem Soja wird von 57 Prozent der SojaóGesamtanbaufläche auf 52 Prozent reduziert, bei GenóMais von 33 auf 25 und bei GenóBaumwolle von 55 auf 48 Prozent. Seit der Einführung von BiotechóPflanzen 1996 schrumpft die Anbaufläche zum ersten Mal.

Der Grund dafür ist Druck von außen. Don Roose, Analyst von U.S. Commodities Inc., meint: »Die Produzenten versuchen nur, sich zu schützen. Die Industrie scheint zu sagen, sie möchte weniger BiotechóProdukte.« Die Industrie agiert dabei noch höchst unsicher. SaatgutóProduzenten wie Pharmacia (ehemals Monsanto), Syngenta (ehemals Novartis und AstraZeneca), Aventis oder DuPont möchten natürlich möglichst viel Gensaat verkaufen. Die Abnehmer aber ziehen nicht unbedingt mit. Der große Babynahrungshersteller und Snackproduzent FritoóLay etwa weigert sich, genmanipulierte Organismen (GMO) zu kaufen.

Die weitere Entwicklung hängt in erster Linie von zwei Firmen ab: Archer Daniels Midland (ADM) und Cargill. Sie sind die potenziellen Hauptabnehmer für Gengetreide. Nach Schätzungen kontrollieren die beiden Unternehmen ungefähr die Hälfte des Welthandels für Getreide. Cargill ist mit 82 000 Angestellten in 59 Ländern und einem jährlichen Umsatz von 50 Milliarden Dollar in allen Bereichen der Agrarindustrie aktiv ó von der Saatproduktion über Getreidehandel, Saftproduktion und Ölmühlen bis hin zur Verarbeitung von Fleisch aller Art.

Während beide Firmen offiziell noch fest an die Segnungen der Gentechnik glauben, sind sie in ihren Geschäftspraktiken zurückhaltender geworden. Cargill verstärkt sein Engagement im Gentechófreien Brasilien und lässt über eine Tochterfirma auch in den USA mehr konventionelles Getreide kaufen. Die Firma ADM hat im September verkündet, sie würde in allen Getreidesilos konventionelles und GentechóGetreide getrennt annehmen. Seitdem herrscht in der USóAgrarindustrie Unsicherheit: Die Farmer sehen sich großen Nahrungsmittelkonzernen ausgeliefert, die auf den Markt wechselnd reagieren. Was sollen sie anbauen?

Zudem wächst die Abhängigkeit der Farmer, weil die Agrarfirmen weltweit Allianzen bilden. Cargill kaufte vor zwei Jahren die damals drittgrößte Getreidefirma der Welt, Continental Grain, und kooperiert mit Pharmacia. Zunächst hatte Cargill seine eigene, weitgehend gentechnikfreie Saatgutproduktion an diese Firma, die damals noch Monsanto hieß, verkauft. Kurz darauf gründeten beide das gemeinsame Joint Venture Renessen. Zweck der Aktion: die gemeinsame Erforschung von genetisch verändertem Tierfutter und eventuelle Kooperation in weiteren Bereichen der Nahrungsmitteló und Agrarindustrie.

ADM hingegen kooperiert indirekt mit Syngenta, einem Saatgutproduzenten, der aus den ehemaligen Agrarsparten der Chemiekonzerne Novartis und AstraZeneca entstand. ADM und Syngenta wiederum arbeiten mit einer Anzahl großer FarmóKooperativen mit jeweils mehreren Zehntausend oder Hunderttausend Mitgliedern zusammen.

Das Ziel der Operation ist Kontrolle ó vom Saatgutverkauf bis zur Abnahme des Endprodukts für den Großhandel: Farmer bekommen ihr Saatgut, den Dünger und das Tierfutter von einem der Konglomerate. Haben sie das WetteróRisiko auf sich genommen, sind sie verpflichtet, den Ertrag wieder an das Konglomerat zu verkaufen. Firmen, die nur Saatgut liefern oder nur Getreide bzw. Fleisch abnehmen, laufen schnell Gefahr, aus dem Markt herausgedrängt zu werden.

Und Kontrolle auf dem Markt verheißt Macht. Kein Wunder, dass auch auf die politische Ebene Einfluss genommen wird. Gerade Cargill hat eine lange erfolgreiche Geschichte, was das Einwirken auf die USóRegierungspolitik angeht. Daniel Amstutz, ein früherer hoher Manager der Firma, hat als Berater Ronald Reagans auch in bedeutendem Umfang am Agrarteil der UruguayóRunde mitgewirkt. Ernst Micek, der jetzige Vorstandsvorsitzende, berät die USóRegierung maßgeblich im Hinblick auf die Einbindung von China in die WTO. Zudem war er einer der drei Konzernchefs, die USóPräsident William Clinton auf seiner letzten Afrikareise begleitet haben. Maßgebliches Ziel dabei: die Vorbereitung des African Growth and Opportunity Acts (AGOA). Der AGOA gilt als Nafta für Afrika und hat eine ebenso neoliberale Ausrichtung.

Nun sind GentechnikóPatente für Firmen ein nahezu perfekter Weg, um Kontrolle zu behalten ó wer keine Patente hat, kann nicht auf den Markt einbrechen. Und so konnte nur erbitterter Widerstand in Europa und mittlerweile auch Japan das Vordringen der GMO verhindern. In Großbritannien wurden die großen Supermarktketten durch starke Proteste gezwungen, nur noch gentechnikfreie Nahrungsmittel ins Regal zu stellen. Und selbst die CargillóTochterfirma Sun Valley zieht ihre britischen Hühner mittlerweile wieder mit konventionellem Tierfutter groß.

In offiziellen Pressemitteilungen heißt das natürlich nicht Widerstand, sondern »Unsicherheit bei den Kunden«. Und die kann durch so genannte Aufklärungsarbeit im Sinne der Firmen beseitigt werden. Langsam erlangt die zweite Generation der Genpflanzen Marktreife ó Pflanzen, die nicht mehr nur dem Farmer oder Händler Vorteile bringen, sondern scheinbar auch dem Konsumenten. Am weitesten in der Entwicklung fortgeschritten ist dabei eine Sorte Reis, die zusätzliches Vitamin A enthält.

Und alle beteiligten Firmen sind groß genug, um auch ein paar Jahre der Rückschläge zu verkraften. Auch CargillóChef Ernst Micek weiß das. Und mit aller Sicherheit, die seine Machtposition verheißt, verkündet er hoffnungsfroh: »Es ist ein Langzeitspiel. Der Markt wird am Ende entscheiden. Wir bleiben auch weiterhin der Technologie treu, an deren Oberfläche wir gerade erst gekratzt haben.«