Frühjahrstreffen von IWF und Weltbank

Von Seattle lernen

Zum traditionellen Frühjahrstreffen von Weltbank und IWF in Washington wird eine Neuauflage der AntióWTOóProteste erwartet.

Was haben die Provinzstadt Seattle und die Hauptstadt der USA gemeinsam? Seattle liegt in einem USóBundesstaat, der genauso heißt wie der Regierungssitz: Washington. Und: Wenn sich am kommenden Wochenende die Finanzminister aus 40 Ländern zum traditionellen Frühjahrstreffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Washington versammeln, wird es vielleicht zu Szenen kommen, die in Seattle Anfang Dezember zu beobachten waren.

Denn die beiden Finanzinstitutionen werden am 15. und 16. April heftiger Kritik ausgesetzt sein, und das nicht nur von den Regierungsvertretern. Die Stadt erwartet auch zwischen 40 000 und 70 000 Demonstranten. Die erfolgreichen Proteste gegen das Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle haben in den USA eine Bewegung hervorgebracht, die jetzt auch gegen die Weltbank und den IWF vorgehen will.

Schon seit Wochen mobilisieren zahlreiche Gruppen in den USA nach Washington, um gegen die BrettonóWoodsóInstitutionen zu demonstrieren. Die »A16»óKampagne hofft, den Erfolg von Seattle zu wiederholen, wo mehr als 30 000 Demonstranten dazu beitrugen, dass das WTOóGipfeltreffen scheiterte. Die starke Beteiligung überraschte damals sogar viele Organisatoren.

Eine breite Koalition aus Anarchisten, Autonomen, Umweltschützern, Studenten, DritteóWeltóSolióAktivisten, religiösen Gruppen und Friedensaktivisten hat sich zusammengefunden ó nicht nur aus den USA. Scott Nova, der Direktor von Citizens Global Trade Watch ist zuversichtlich: »Wir glauben, dass dies das dickste Ding ist, das dem IWF in seiner Geschichte widerfährt.«

»After Seattle, protest reborn«, titelte die Washington Post und stellte fest: Die »ökonomischen Institutionen rufen bei manchen Leuten so viel Empörung hervor wie der Vietnamkrieg, Bürgerrechte und Atomwaffen es taten«. Rund 100 Gruppen unterstützen die »Mobilisierung für globale Gerechtigkeit«. Vor und während der Protesttage führt diese »Bewegung für wirtschaftliche und Menschenrechte und fairen Handel« in 40 USóStädten Veranstaltungen durch.

Die Verlautbarungen dieses Zusammenschlusses lesen sich wie westdeutsche AntióIWFóFlugblätter aus den achtziger Jahren: Die Washingtoner Institutionen seien »die wichtigsten Instrumente, die die politischen und unternehmerischen Eliten benutzen, um die heutige ungerechte, zerstörerische globale Wirtschaftsordnung herzustellen. Die Weltbank und der IWF haben insgeheim die Regeln geschrieben, die die Welt sicher machen für multinationale Unternehmen, während sie rund um die Welt Milliarden wirtschaftlich benachteiligt«. Auch die Praxisformen erinnern an längst vergangene Zeiten: Volksküchen werden organisiert und eine Schlafplatzbörse ist eingerichtet.

Nicht alle begnügen sich mit den vagen und moderaten Forderungen der Gewaltfreien. 19 anarchistische Gruppen haben ein Manifest für den »revolutionären antikapitalistischen Block« verfasst, in dem es heißt: »Die reformistische Botschaft von 'fairer Handel, nicht freier Handel' und das ganze Gerede von 'beschneiden' und 'vereinbaren', das in den Straßen von Seattle herrschte und das anschließend in die Organisierung der A16óDemo gleichermaßen wie in die allgemeinere AntióGlobalisierungsóBewegung gedrängt wurde, ist inakzeptabel.«

Der Aufruf wird von mehreren rätekommunistischen Zeitschriften unterstützt, die Unterzeichner möchten alle Demonstranten mit revolutionären antikapitalistischen Zielen im gemeinsamen Schwarzen Block einen. Sie fordern eine umfassendere »Kritik, die nicht bei EinóPunktóKämpfen aufhört (...). Wenn aggressive Selbstverteidigung oder die Zerstörung von Eigentum für manche nicht hinnehmbar ist, sollten sie sich nicht daran beteiligen.« Die Anarchisten erwarten zu der Demonstration mehrere Tausend Gleichgesinnte. Derart große Proteste hat es in den USA seit vielen Jahren nicht mehr gegeben.

Auch die Washingtoner Polizei stellt sich auf militante Proteste ein: Seit Januar schickt sie jeden Tag 60 Cops in ein Trainingscenter. Bis zum 16. April sollen 1500 Wachtmeister eine Spezialübung absolviert haben ó die Hälfte aller Einsatzkräfte der Hauptstadt. Mehrere Hundert Officers aus anderen Bundesstaaten werden zur Unterstützung nach Washington verlegt. Für eine Million Dollar wurden neue Helme und Panzerungen angeschafft.

Denn eine Schlappe wie in Seattle wollen die Ordnungshüter auf jeden Fall vermeiden. Obwohl nicht zimperlich mit dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, gelang es der Polizei bei dem WTOóTreffen nicht, die Proteste unter Kontrolle zu halten. Deshalb sehen sich die Washingtoner Kollegen nun Videos über die Riots in Seattle an und trainieren Szenarios wie den Umgang mit 5 000 Demonstranten, die versuchen, die Pennsylvania Avenue, an der sich die Hauptquartiere von IWF und Weltbank gegenüberstehen, zu blockieren.

Wenn die Finanzminister es dennoch schaffen, zum Tagungsort vorzudringen, werden auch viele von ihnen die beiden Institutionen kritisieren. Besonders zum IWF herrscht bei den Regierungsvertretern Einigkeit wohl nur darüber, dass die Kriseninstitution anders arbeiten müsse. Doch wie, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Eine vom USóKongress eingesetzte Sonderkommission zur Zukunft der BrettonóWoodsóInstitutionen hat vor einem Monat ihre Ergebnisse, den so genannten MeltzeróBericht, vorgelegt, in dem sie fordert, dass der IWF sich auf das kurzfristige Finanzkrisenmanagement konzentrieren und die langfristige Krisenprävention und Entwicklungshilfe der Weltbank überlassen solle. Regierungen, die vom privaten Kapitalmarkt Kredite erhalten können, soll der IWF dem MeltzeróBericht zufolge nicht mehr finanziell unterstützen und sich aus Afrika ganz zurückziehen. Die Weltbank soll sich nicht mehr in die Schwellenländer Asiens, Lateinamerikas und Osteuropas sowie in Länder mit einem ProóKopfóEinkommen von mehr als 4 000 Dollar einmischen.

Dies ist aber nur die Meinung der republikanischen Vertreter, die in der Kommission die Mehrheit stellen. Zwar ist auch den Demokraten der IWF in seiner jetzigen Form zu teuer, doch möchten sie den Währungsfonds nicht radikal verändern. Dessen designierter deutscher Direktor Horst Köhler lehnt die strikten Vorschläge des MeltzeróBerichts ebenfalls ab, befürwortet aber eine stärkere Trennung von Weltbank und IWF.

In die entgegengesetzte Richtung gehen die Vorschläge der japanischen Regierung: Ihr Finanzminister will einen keynesianisch ausgerichteten IWF und hat unlängst ausgerechnet Malaysia gelobt. Das Land war während der Asienkrise das einzige Schwellenland, das sich nicht der Washingtoner Behörde unterworfen hatte, sondern per Gesetz den Kapitalabfluss zu stoppen versuchte ó eine Methode, die den IWFóRezepten zuwiderläuft. Der neue französische Finanzminister Laurent Fabius liegt ebenfalls mit den USA im Clinch. Er hat kürzlich erklärt: »Wir wollen starke Finanzinstitutionen, um gegen die Armut zu kämpfen.«

Auch hier sind Parallelen zur WTOóKonferenz in Seattle erkennbar. Deren Bemühungen, den Welthandel weiter zu deregulieren, war nicht nur an den Protesten auf der Straße, sondern auch an den großen Differenzen zwischen den Regierungsabgesandten gescheitert.