Urteil gegen Volksbegehren in Bayern

Maibäume in Gefahr

Für die CSU ist Direktdemokratie ein Mittel gegen Ausländer, für die bayerische Opposition ein Instrument gegen die Staatspartei. Die aber hat das Verfassungsgericht auf ihrer Seite.

Volksbegehren sind eine feine Sache, findet die CSU - wenn es gegen die Richtigen geht. Als die Ausländerjagd der Union mittels Unterschriftenkampagne im vergangenen Jahr anlief, entdeckte Edmund Stoiber seine Liebe zum Plebiszit: »Was ich früher angesichts der Erfahrungen der Weimarer Republik abgelehnt habe, erscheint mir heute nicht nur als stabilisierende Ergänzung der repräsentativen Demokratie.« Ein Jahr zuvor wollte CSU-Vordenker Peter Gauweiler schon per Volksbegehren durchsetzen, dass die bayerische Verfassung um den Satz »Bayern ist kein Einwanderungsland« ergänzt wird.

Schlimm sind Volksbegehren allerdings, wenn sie den Wünschen der bayerischen Staatspartei zuwiderlaufen. Da kann Edmund Stoiber auch anders: »Die werden uns das Oktoberfest verbieten«, versuchte er 1995 Stimmung gegen mehr Direktdemokratie in Bayern zu machen. Generalsekretär Bernd Protzner sekundierte: »Die werden Maibäume und Kirchenglocken abschaffen.«

Half nichts. Damals votierten 57,8 Prozent der abstimmenden Bayern für die Einführung des Bürgerentscheids in Gemeinden und Landkreisen. Die Initiative Mehr Demokratie hatte den Entwurf durchgeboxt - die CSU dagegen hatte ihn heftig bekämpft. Fünf Jahre später entschloss sich auch der bayerische Verfassungsgerichtshof ganz im Sinne der Regierungspartei: Am Donnerstag vergangener Woche erklärte das Gericht, dass Volksbegehren »zum Schutz des kommunalen Bürgerentscheids« verfassungswidrig sind.

Der Gesetzentwurf der Bürgerinitiative sah vor, dass die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Zudem sollten die Gemeinden nach der Einreichung des Begehrens nicht mehr vollendete Tatsachen in der Angelegenheit schaffen dürfen. Die Verfassungsrichter wollten sich von solchen Ideen nicht beirren lassen und definierten in ihrer Urteilsbegründung kurzerhand neue Prinzipien eines Rechtsstaats.

Demnach dürfen Unterschriften für Bürgerbegehren nicht auf offener Straße, sondern nur im Rathaus gesammelt werden und Bürgerentscheide gelten nur bei einer Mindestbeteiligung von zehn Prozent. Auch dürfe die Verwaltung nicht an das Begehren gebunden werden. Weil solche Voraussetzungen jedoch bei der Initiative nicht vorgesehen seien, erklärten die Richter das Begehren für verfassungswidrig.

Das Urteil war ganz nach Gusto der CSU. Und so konnte sich Alois Glück, der Vorsitzender der Landtagsfraktion freuen: »Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens hätte die Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane massiv beeinträchtigt.« Schon vorab blockierten die Christsozialen, weil sie ihren Status als Staatspartei in Gefahr sahen. Auf der anderen Seite nutzte freilich auch die parlamentarische Opposition die Initiative auf ihre Weise. Nicht zufällig sitzt im Kuratorium von Mehr Demokratie - dem Verein, der fast alle Volksbegehren in Bayern initiiert - neben 38 weiteren Honoratioren ausgerechnet Bayerns SPD-Vorsitzende Renate Schmidt.

Die Initiative geht zwar auf den 1988 in Bonn gegründeten Verein Idee zurück. Dieser tat sich aber vor allem mit Anti-FCKW-Aktionen hervor. Die politische Note kam 1992 mit der Gründung von Mehr Demokratie Bayern. Die Gruppe betrieb, unter anderem unterstützt von der bayerischen SPD und den Grünen, das Volksbegehren für den Bürgerentscheid in Gemeinden, Städten und Landkreisen. Und es wurde ein fulminanter Erfolg: Im Februar 1995 unterschrieben in zwei Wochen 1,2 Millionen Bürger. Im Oktober stimmten dann 57,8 Prozent bei einer Beteiligung von 36,9 Prozent für den Entwurf der Initiative.

Seitdem kann Mehr Demokratie in Bayern auf eine bewährte Unterstützerstruktur bauen: DGB, ÖTV, HBV, BUND, Bund der Steuerzahler, PDS, Bündnisgrüne und bei vielen Volksbegehren auch die SPD. Auch zahlreiche kleinere Verbände und Organisationen sammeln fleißig Unterschriften mit. Da sie alle auf eine feste Mitgliederstruktur zurückgreifen können, ist eine gewisse Unterstützer-Konstanz gesichert.

Dass zu hoher Verbandseinfluss aber auch ungünstig sein kann, zeigte sich im März. Damals scheiterte in Bayern das Volksbegehren gegen die geplante sechsstufige Realschule - vor allem an den Initiatoren des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). Sie hatten es nicht einmal geschafft, die Hälfte der nötigen Unterschriften zu sammeln. Gerade in Großstädten wie München blieb die Unterstützung gering - dies wurde den hier überproportional zahlreich lebenden Singles zum Vorwurf gemacht. Sie hätten keine Kinder und somit auch kein Interesse an Schulpolitik. So dient das Begehren gelegentlich weniger dem innergesellschaftlichen Diskurs oder Meinungsbildungsprozess, sondern der Artikulation der Interessen spezieller Gruppen.

Eine Reihe von der CSU initiierter Verfassungsklagen gegen die Initiative hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Sinne der Christsozialen entschieden. Im August 1997 erklärte er die dreijährige Bindewirkung und das Mehrheitsprinzip beim Bürgerentscheid für verfassungswidrig. Daraufhin erließ die CSU ein neues Gesetz, was strikte Mindestbeteiligungen - Quoren - für die Gültigkeit von Bürgerentscheiden festschrieb. Dagegen wiederum startete die Initiative Mehr Demokratie jenes neue Volksbegehren zum »Schutz des kommunalen Bürgerentscheids«, das zunächst vom bayerischen Innenministerium und jetzt auch vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde.

Die Urteilsbegründung hätten die Richter bei Innenminister Günther Beckstein abschreiben können. Was wenig verwundert, schließlich gelten die Verfassungsjuristen zu Recht als »Geheimwaffe der CSU«. Alle fünf Jahre werden die Kandidaten nach Fraktionsstärke im Landtag vorgeschlagen und mit einfacher Mehrheit gewählt. Die Folge: 32 der 38 Roben sind Kandidaten der CSU. Folgerichtig hatten die Richter auch Ende März das Volksbegehren »Faire Volksrechte im Land« für verfassungswidrig erklärt, forderte es doch mehr direktdemokratische Elemente auf Landesebene.

Auch diese Begründung hätte das Innenministerium nicht besser formulieren können. Zu den Grundgedanken eines Rechtsstaates zählten demnach vor allem das Budget-Recht des Parlaments, die Zehn-Prozent-Hürde bei Volksbegehren und die Vorschrift, dass der Bürger, der ein Begehren unterstützen will, zur Unterschrift ins Rathaus komme.

Ebenso kreativ definierten die Richter die Verfassung Ende März bei einem anderen Urteil im Sinne der CSU um: Über die Volksbegehren »Für eine demokratische Richterwahl« und »Für ein unabhängiges Verfassungsgericht in Bayern« muss getrennt abgestimmt werden. Dabei sollten eigentlich grundsätzlich Begehren gebündelt werden, um möglichst viele Bürger zur Abstimmung zu bewegen.

Warum über die zwei Volksbegehren nicht gleichzeitig entschieden werden soll, ist unklar. Zumal von der CSU bereits ungehemmt gekoppelt wurde: 1998 stimmten Bayerns Bürger über acht Verfassungsänderungen von Todesstrafe über Gleichberechtigung bis hin zu Sportförderung ab.

Die Initiatoren von Mehr Demokratie hoffen jetzt vor allem auf das Volksbegehren »Für ein unabhängiges Verfassungsgericht in Bayern«, das zwischen dem 9. und 22. Mai zehn Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben müssen, damit später bei einem Volksentscheid abgestimmt wird. Setzt die Initiative das Richtervolksbegehren durch, ist die CSU womöglich ihre Geheimwaffe los. Und das wäre schlimmer als ein Bayern ohne Oktoberfest, Maibäume und Kirchenglocken.