Bretonischer Nationalismus

Bombige Folklore

Der bretonische Nationalismus schlägt jetzt mit anti-kapitalistischen und ökologischen Themen zu.

Der Tod der jungen McDonalds-Angestellten Laurence Turbec war vermutlich ein Versehen. Die 28jährige war vor zwei Wochen umgekommen, als in der McDrive-Filiale im bretonischen Quvert eine Bombe explodierte. Die Bombe sollte nachts um vier detonieren, wenn die Filiale menschenleer ist, und lediglich materiellen Schaden anrichten. Doch dann versagte die Zündvorrichtung, und der Sprengsatz ging erst morgens um zehn in in die Luft.

Alles deutet darauf hin, dass bretonische Separatisten der Revolutionären Bretonischen Armee (ARB) die Bombe legten. Damit hat der bretonische Nationalismus ein erstes Todesopfer gefordert. Denn die Attentate der bretonischen Unabhängigkeits-Kämpfer zielten in den vergangenen drei Jahrzehnten nie darauf ab, Menschen umzubringen.

Die ARB ist eine militante Kleingruppe, die heute vermutlich nicht mehr als 15 oder 20 aktive Mitglieder umfasst. Sie entstand 1971 aus der sehr viel breiteren Bewegung des bretonischen Nationalismus. In den achtziger und neunziger Jahren war die ARB kaum nach aktiv. Doch seit eineinhalb Jahren tritt sie erneut in Erscheinung mit teilweise spektakulären Anschlägen, die sich in der Regel gegen staatliche Institutionen richten.

Gute Verbindungen unterhält die ARB zur baskischen Eta: Das bei dem Bombenanschlag verwendete Dynamit stammt aus einem Diebstahl im September 1999, in den sowohl Aktivisten der baskischen Eta als auch der ARB verwickelt waren. Die Zusammenarbeit zwischen baskischen und bretonischen Nationalisten ist nicht neu: 1938 siedelte der französische Staat vor Franco fliehende baskische Aktivisten in der Bretagne an, wo sie unter Hausarrest gestellt wurden. So kam es zu ersten Kontakten mit bretonischen Aktivisten. In den achtziger Jahren zogen sich baskische Flüchtlinge in die Bretagne zurück, um der vom spanischen Staat unterstützten Konterterror-Gruppe GAL zu entgehen: Die GAL töteten zwischen 1983 und 1987 mindestens 27 Flüchtlinge im französischen Baskenland.

Der bretonische Nationalismus entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Republik mit strikten Methoden regionale Eigenheiten zu unterbinden suchte. Im Zuge einer sprachlichen Assimilationspolitik wurden in den Ämtern Schildern angebracht: »Auf den Boden spucken und Bretonisch sprechen verboten.«

In der dreißiger Jahren organisierte sich der Parti nationaliste breton (PNB). Seine Geschichte allerdings

ist nicht sehr glorreich. Während der deutschen Besatzung kollaborierten zahlreiche bretonische Autonomisten-Führer mit den Nazis. Sie sahen in der Okkupation eine willkommene Gelegenheit, sich von Paris unabhängig zu machen. Die bretonische Brigade Bezen Perrot, die der SS angegliedert war, kämpfte gegen französische Partisanen.

In den sechziger Jahren entdeckten linke Aktivisten die Autonomie-Bestrebungen der Region als Motor für eine soziale Mobilisierung. Daraus entstand 1971 die bewaffnete ARB, zu dieser Zeit eine kuriose Mischung aus Pfarrern, Ärzten, Dorfschul-Lehrern und Landwirten. Rund 250 Anschläge gingen im Laufe der siebziger Jahre auf das Konto ARB.

Parallel zu dieser Bewegung gewann eine 1964 gegründete gemäßigte autonomistische Partei an Einfluss, die Union Démocratique Bretonne (UDB). Die UDB, auf regionaler Ebene eine Fünf-Prozent-Partei, steht insbesondere der französischen Sozialdemokratie nahe. Daneben hat es immer auch einen rechtsextremen, »keltischen« Nationalismus gegeben, der jedoch keinen nennenswerten organisatorischen Einfluss erlangte.

Eines der Hauptmerkmale des bretonischen Nationalismus ist die Kluft zwischen einer wachsenden kulturellen Breitenströmung der Bretonen einerseits und ihrer marginalisierten politischen Gruppen andererseits. So nahm in den vergangenen zehn Jahren die Besucherzahl zu »bretonischen« Kultur-Veranstaltungen, von Folklore bis zu riesigen Konzerten mit »keltischer Rockmusik«, stetig zu. Bis in die staatstragenden großen Parteien hinein wächst so etwas wie »bretonisches Selbstbewusstsein« heran. Das Regionalparlament der Bretagne wechselt derzeit sein Emblem zu Gunsten eines »authentisch bretonischen« aus. Doch auf der anderen Seite vegetiert der bretonische Nationalismus in Kleinparteien und gesellschaftlich eher randständigen Publikationsorganen vor sich hin.

Dieser vermeintliche Widerspruch erklärt sich einerseits daraus, dass die Kollaborations-Vergangenheit die organisierten Gruppen des bretonischen Nationalismus bis heute bei der Bevölkerung nachhaltig diskreditiert hat. Zum zweiten ist die Region der Gewalt müde - denn nicht nur die Autonomisten wenden mitunter handfeste Mittel an. Auch die mächtigen Lobbys der Fischer und der Großbauern machen des Öfteren durch gewalttätige Übergriffe auf sich aufmerksam, wenn der französische Staat die gewünschten Subventionen kürzt.

Schließlich distanzieren sich in der Bretagne auch andere oppositionelle Gruppierungen von den bretonischen Nationalisten. Dies gilt für die linken Bauern-Aktivisten der Confédération paysanne um José Bové, die die industrialisierte Landwirtschaft bekämpft und in der Bretagne weite Unterstützung findet. Kritik kommt auch von der anarcho-syndikalistischen Bewegung, die vor allem im Umland von Nantes eine ihrer Hochburgen hat.

Dazwischen hat sich in den letzten Jahren eine jüngere, radikalisierte Generation von Aktivisten herausgebildet, die die »bretonische Sache« mit einem scharfen anti-staatlichen und anti-kapitalistischen Kritik verbindenWichtigster Vertreter dieses radikalen Linksnationalismus ist die kleine Organisation »Emgann« (Der Kampf). Offenbar hat diese Gruppe sich in den letzten Jahren zum legalen Arm der ARB entwickelt. »Emgann« bestreitet offiziell jede Verbindung zur ARB, zumal die Organisation deswegen selbst ins Visier der staatlichen Sicherheitskräfte geraten ist.

Das Tankerunglück der »Erika«, die im Dezember 1999 vor der bretonischen Küste eine Öl-Pest auslöste, und die Probe-Bohrungen für die Versenkung von Nuklearmüll in der Bretagne haben dem bretonischen Nationalismus zu neuem Zulauf, vor allem von Jugendlichen, verholfen. Beispielhaft für den Tonfall der Linksnationalisten ist ein Flugblatt, das im Februar auf einer Großdemonstration in Nantes verteilt wurde. Darin heißt es zur jüngsten Ölpest: »Es ist klar, dass die Bretagne nichts von Frankreich und seinen Führenden zu erwarten hat, die stets dazu bereit sind, die Interessen der Kapitalisten zu verteidigen, aber nie die Bestrebungen des bretonischen Volkes. Was wir brauchen, ist die Errichtung einer bretonischen politischen Autorität.«