Polizeifest im Mauerpark

Feindliche Übernahme

Gefährliche Orte CII: Walpurgisnacht im Mauerpark - präsentiert von Ihrer Polizei. Subkultur lässt sich prima von oben organisieren.

Wo beginnt Willkür? Dort, wo demonstrativ geduldet wird, was normalerweise mit strikter Sanktionierung geahndet wird? Konsum und Vertrieb von Drogen beispielsweise, oder das beschwerliche Ersteigen eines Reststückes der Berliner Mauer, um dann von oben herab pinkelnd die Blase zu erleichtern, den ungenehmigten Vertrieb von Getränken, ja gar das Abbrennen von Feuerwerkskörpern?

Alles Delikte, die normalerweise mit »polizeilichen Maßnahmen« geahndet werden. Aber nur normalerweise. Wenn die Polizei selbst ein Kultur-Event veranstaltet, dann ist alles anders: Es rückt keine der berüchtigen Berliner Einsatz-Hundertschaften an, um vermeintliche Straftäter herausziehen, es gibt keine Platzverweise und auch keine Platzwunden. Es ist halt einfach mal okay. Ausnahmsweise.

Denn es ist der Vorabend des 1. Mai. In der Hauptstadt bisher ein Garant für Reibereien zwischen Jugendlichen und der Polizei. Ausgangspunkt des Rituals: Die Überstunden schiebenden Beamten gönnten den jungen Leuten nicht ein wenig Vergnügen, sondern achteten strikt auf die Einhaltung von Recht und Gesetz nach dem Legalitätsprinzip: keine offenen Feuer im Park, keine Drogen, keine anderen lapidaren Verstöße. Das brachte lange Gesichter, schlechte Stimmung und vor allem Zoff.

Also eine kleine Programmänderung. Künftig präsentiert die Polizei das Hineinfeiern in den Mai. Und ist deshalb außerordentlich tolerant: Alle dürfen, was sie sonst nicht dürfen. Und die Polizei schaut schon mal weg - nach dem Opportunitätsprinzip. Keine gewaltsamen polizeilichen Eingriffe in das Vergnügen mehr.

Im Gegenteil: Die netten Beamten haben sogar eine Menge Geld spendiert, um den jungen Leuten den Abend so angenehm wie möglich zu machen. Und die Berliner Veranstaltungsagentur Trinity hat es geschafft, mit diesem vielen Geld Bands zu engagieren, die bisher keiner kannte. Und nach ihrem Auftritt auf dem Bullenfest bestimmt keiner mehr kennen will: Lunatic, Ars Moriendi, Elvira, Power of Art, FDE, Appulizer und Torchous. Dazu ein paar Bier und ordentlich was zu futtern - wie auf einem ganz normalen Fest. Freibier für gewaltbereite Jugendliche - soweit geht die Fürsorge der Beamten indes nicht. Dafür halten sich die Polizisten demonstrativ von der eigenen Party fern. Ein guter Gastgeber: Er begnügt sich damit, die Stromversorgung aus polizeieigenen Generatoren sicherzustellen. Sonst schlendern nur mal zwei Beamte über den Rasen - betont lässig im Hemd ohne grüne Krawatte. Man will ja die vielen Jugendlichen nicht gleich durch biederes Auftreten verschrecken.

Es sind nämlich tatsächlich etliche gekommen. Nicht wegen dem Polizeifest. Sondern, weil sie ohnehin herkommen - wie 1999 und 1998 und so weiter. 30. April im so genannten Mauerpark im Bezirk Prenzlauer Berg - das war in den letzten Jahren der Insider-Tipp schlechthin. Aber es ist wie mit den Anfängen der Techno-Musik, erst ist der Insider-Tipp, dann kommt die Kommerzialisierung. Der Trick daran: Die Leute kommen trotzdem, sogar zahlreicher als zuvor. Weil sie es eben so gewohnt sind. Und weil ihnen egal ist, wer ihren netten Abend präsentiert. Und sogar in Kauf nehmen, dass der Abend gar nicht mehr so nett war, wie es ohne die polizeiliche Präsentationsform hätte sein können.

Subkultur läßt sich eben hervorragend erstens kommerziell und zweitens von oben organisieren. Zum Beispiel von der Polizei. Denn die ist gedanklich längst ein wenig weiter als einige Vorbereiter der Erster-Mai-Demonstration. Ausgerechnet die verhassten Mannen in Grün schaffen es mit ein bißchen Musike, die Jugend dort abzuholen, wo sie feiert: im Mauerpark. Das Rezept: Die Polizisten verzichten auf affige Distanzierungen zum Jugend-Event Nummer eins, der Love Parade, ebenso auf das demonstrativ vor sich hergetragene Adjektiv »unabhängig«. Und die von den Linken als Zielgruppe anvisierten Rentnerinnen sind ihnen schlichtweg egal, solange es ein wenig - von der Polizei zur Verfügung gestellten - Freiraum zu besetzen gibt.

Es liegt allerdings eine leicht abwartende Stimmung in der Luft: Einige scheinen nur darauf zu warten, dass die fast schon traditionelle Randale doch noch steigt. Die Polizei will lieber einen friedlichen Ausklang und lässt sich deswegen vorsichtshalber gar nicht blicken. Keine Polizei, kein Ziel?

Und man tut total nett: Als sich einige der Festbesucher über die eingesetzten Sicherheits-Wichtigtuer der Firma B.T.B.W. Security ereifern, weil die Männer mit dem breiten Kreuz eher wie der Ordnerdienst eines Naziaufmarsches ausschauen, legen die Beamten ein gutes Wort ein. Ein Aufnäher mit einem Keltenkreuz, dem Zeichen der mittlerweile verbotenen Nationalistischen Front, ist für die Beamten nicht weiter dramatisch, ebenso das Bekenntnis der Security, »stolz und weiß« zu sein. Stolz und weiß sind wir doch alle irgendwie, dachten sich die Ordnungshüter offenbar - und nach dem Opportunitätsprinzip darf man auch mal großzügig über eine SS-ähnliche schwarze Montur hinwegsehen. Die unsympathischen Security-Nazis runden das Gesamtbild aber wenigstens ab: eine Bullenparty fast ohne Bullen, mit Bands, die keiner kennt, und einer subkulturellen Szene, der es egal ist, wer das Event veranstaltet.

Kurz noch flackert in der teilweise ungeduldigen Menge die Hoffnung auf, die Nacht bliebe nicht friedlich. Einige 100 Meter weiter geht's ab - heißt es. Das aber stimmt nicht. Und somit war die Taktik der Ordnungshüter wohl auf ganzer Linie erfolgreich.

Die Polizei hat die Wirksamkeit einer ganz neuen Art »feindlicher Übernahmen« für sich entdeckt. Und daher darf man gespannt sein auf das nächste Jahr: Vielleicht bietet die Polizei dann gar eine eigene Demonstration zum 1. Mai an. Das wäre doch eine Repolizeiisierung der ganz besonderen Art.