Flüchtlingskongress in Jena

Reisen als Risiko

Gegen Residenz-Pflicht, Abschiebeknäste und soziale Ausgrenzung: In Jena ging am Wochenende ein zwölftägiger Marathon-Kongress von Flüchtlingen zu Ende.

Ein weißes Kirmeszelt steht auf dem neu gepflasterten Vorplatz der Universität Jena. Im großen Zelt spielt aber keine Big Band auf, auch gebratene Hähnchen und Bierzapf-Anlagen sind hier nicht zu finden. Die Kochgruppe des Flüchtlingskongresses reicht zum Mittagessen Linsensuppe, Brot mit Aufschnitt und Mineralwasser. In den Pausen wird Fußball oder Federball gespielt. Fast fühlt man sich wie in einem Zeltlager, wären da nicht ringsumher die hohen Bürotürme, die glitzernden Glasfassaden und die Stiefmütterchen, die in runden Betonfassungen wachsen.

Neben dem Freizeitvergnügen wurde aber auch hart gearbeitet: Auf einer Marathon-Tagung vom 20. April bis zum 1. Mai diskutierten die rund 500 Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kongresses »Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung« über Strategien, sich gegen die Menschenrechtsverletzungen bundesdeutscher Behörden zur Wehr zu setzen.

Unterstützt von dem bundesweiten antirassistischen Netzwerk kein mensch ist illegal veranstaltete der Zusammenschluss Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen die zwölftägige Tagung. Es war die erste dieser Art in Deutschland, die Flüchtlinge selbst initiiert und organisiert haben. Vor allem trafen sich dort Migranten und Migrantinnen aus Afrika sowie einige aus Lateinamerika, Asien und dem Nahen Osten. Asylsuchende aus Osteuropa, die eine sehr hohe Zahl der nach Deutschland Geflüchteten ausmacht, waren dagegen nur schwach vertreten.

Flüchtlinge aus über 40 Ländern tauschten ihre Erfahrungen aus und planten Kampagnen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. »Wir alle hier repräsentieren verschiedene Probleme, aber wir fühlen das Gleiche«, so einer der Veranstalter. Und so blieben größere Konflikte und Strategiestreitigkeiten weitgehend aus. Was einem Ziel der Veranstaltung entgegenkommt: Man will künftig mit einer gemeinsamen, starken Stimme in der Öffentlichkeit präsent sein.

Unter der inhaltlichen Vorgabe: »Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört« referierten Gäste aus Afrika, Asien und Lateinamerika über die Situation ihrer Länder und über wirtschaftliche Interessen des Nordens. Sie kritisierten die Zusammenarbeit europäischer Staaten mit den Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden - zum Beispiel mit Sri Lanka, Togo oder der Türkei. Auf eine kritische Debatte über den westlichen Menschenrechtsdiskurs und die Instrumentalisierung von Menschenrechtsverletzungen für die Interessen der Nato, die im »Krieg für Menschenrechte« Jugoslawien bombardierte, wartete man jedoch vergebens.

Die Themen-Palette zu bewältigen und die Übersetzung in fünf Sprachen erforderte Geduld. Für die größten Probleme aber sorgten die deutschen Behörden. Cornelius Yufanyi von der Gruppe The Voice, einer der Veranstalter des Kongresses, schätzt, dass die Hälfte der Asylsuchenden, die nach Jena kommen wollten, an ihrer Reise gehindert wurden. Der Grund: Das Innenministerium Brandenburg hatte die Ausländerbehörden im Land aufgefordert, die Reisen nicht zu gestatten. »Die Teilnahme liegt weder in einem »dringenden öffentlichen Interesse noch stellt die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte dar«, hieß es dort.

Auch in anderen Bundesländern wurde Asylsuchenden die Teilnahme verweigert. Grundlage für das Verbot ist die Aufenthaltsbeschränkung, der Asylsuchende nach dem Asylverfahrensgesetz unterliegen. Demnach dürfen sie den Landkreis, in dem sie gemeldet sind, nicht verlassen. Nur in Ausnahmefällen erhalten sie eine Genehmigung, um den Landkreis zu verlassen. Erst kürzlich hatte das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) diese »Residenz-Pflicht« verurteilt: Die Praxis sei mit internationalem Recht unvereinbar.

Den Asylsuchenden, die ihren Landkreis ohne Genehmigung verlassen, drohen Geldstrafen und Abschiebung. Dies bekam etwa Josemaria Jones, Asylbewerber aus Sierra Leone, zu spüren. Weil Jones dreimal ohne Erlaubnis vom thüringischen Wartburgkreis aus in andere deutsche Städte reiste, um dort über das Karawane-Projekt zu informieren, hat er nun einen Ausweisungsbescheid erhalten. Nach Meinung der Behörde im Wartburgkreis beeinträchtigen die Reisen »die öffentliche Sicherheit und Ordnung maßgeblich«. Die Ausweisung aus »generalpräventiven Gründen, also zur Abschreckung anderer Ausländer, ist nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann gerechtfertigt, wenn andere Ausländer zur Vermeidung der ihnen drohenden Ausweisung veranlaßt werden, sich in der Bundesrepublik Deutschland ordnungsgemäß zu verhalten«.

Die Karawanen-Initiative sieht in dem Bescheid eine Drohung gegenüber allen Flüchtlingen, die sich in der Karawane organisieren und sich gegen die Bedingungen, denen sie hier ausgesetzt sind, wehren. Die rasche Abschaffung der Reisebeschränkung ist ein zentrales Ziel des Kongresses, da im Rahmen der Harmonisierung des Asylrechtes in der Europäischen Union eine Ausbreitung dieser Regelung auf andere europäische Staaten droht.

»Die KongressteilnehmerInnen erwarten von einem zivilisierten, entwickelten Land zumindest die Gewährleistung der grundlegendsten Rechte, wie das Recht auf Bewegungsfreiheit«, heißt es in einer Erklärung. Während der Tagung hat sich ein Ad-hoc-Komitee gebildet, das Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Residenzpflicht, die die Flüchtlinge als Apartheid begreifen, vorbereitet. Das Komitee plant auch einen Marsch der Flüchtlinge nach Berlin und überlegt, juristisch gegen die Beschränkung der Freizügigkeit vorzugehen. Die Flüchtlinge wollen die »Residenz-Pflicht« vor den Europäischen Gerichtshof bringen.

In einem Abschlussmanifest haben die Beteiligten ihre Anliegen zusammengestellt: Neben der grundsätzlichen Forderung nach offenen Grenzen kämpfen sie für einen sofortigen Abschiebestopp und die Abschaffung aller Abschiebegefängnisse. Auch ein generelles Recht auf Asyl und die freie Wahl des Wohnortes steht im Forderungskatalog. Vielfältige Aktionen und Kampagnen sind zudem ins Auge gefasst worden: Die Verstärkung der Kampagne gegen die Lufthansa, Aktionen auf der Expo in Hannover und ein weiteres Grenzcamp, das Ende August stattfinden soll.

Für Cornelius Yufanyi war der Kongress ein »großer Erfolg, aber auch eine große Herausforderung«. Über 1000 Flüchtlinge hätten von dem Kongress gehört oder seien selbst angereist. Auch Osaren Igbinoba, ebenfalls von The Voice, ist überzeugt: Mit dem Kongress ist die Selbstorganisation von Flüchtlingen einen großen Schritt vorangekommen.