Politische Morde in Serbien

Vier Kugeln aus dem Skorpion

Die Serie der politischen Morde in Serbien reißt nicht ab.

In einem Land, wo das öffentliche Leben in fast allen wichtigen Bereichen, vor allem aber in der Politik, schon längst zum Stillstand gekommen ist, beschleunigt sich nur eines unaufhaltsam: die Gewaltförmigkeit der Unterwelt. Davon zeugt die nicht abreißende Serie der Mord-Anschläge auf politische und wirtschaftliche Prominenz in der Bundesrepublik Jugoslawien: Kaum wird ein Opfer zu Grabe getragen, berichten die Belgrader Tageszeitungen schon von neuen Attentaten.

Anfang letzter Woche wurde der Milosevic-Vertraute und Direktor der staatlichen Fluggesellschaft JAT, Zika Petrovic, erschossen. Der Täter lauerte Petrovic gut versteckt in der Nähe seiner Wohnung auf und jagte ihm aus einer Skorpion - der beliebtesten Waffe des Belgrader Untergrunds - vier Kugeln in den Kopf. Niemand aus der Nachbarschaft will etwas gesehen oder gehört haben. Vom Täter fehlt, wie es offiziell heißt, jede Spur. Während man zwei Tage später im Belgrader Sava-Zentrum des toten JAT-Direktors mit großem Pathos gedachte (»Ein Schuss kann nie das Lebenswerk unseres Zika zunichte machen«), spielten sich draußen bereits von neuem Wildwest-Szenen ab.

Mitten im Stadtzentrum wurde mit Schnellfeuerwaffen aus zwei fahrenden Autos ein regelrechtes Feuergefecht ausgetragen. Zwei andere Verkehrsteilnehmer und ein Mädchen, das gerade die Straße überquerte, wurden dabei verletzt. Am Ende zog man aus einem von Kugeln durchsiebten Audi zwei Leichen hinaus. Einer der Toten war Zoran Uskokovic Skole, ein bekannter serbischer Geschäftsmann, der Restaurants in Griechenland und Schweden besaß und gerade ein Hotel in Barcelona baute. Seinen luxuriösen Lebensstil finanzierte sich Uskokovic serbischen Presse-Berichten zufolge aus einträglichen Geschäften wie Zigaretten- und Benzinschmuggel und dem Handel mit Drogen und gestohlenen Autos. Angeblich hat er außerdem Schutzgelder in Westeuropa eingesammelt. Der zweite Tote war sein Leibwächter, ein Polizist, der gerade nicht im Dienst war. Gerüchten zufolge ist Uskokovic die Person, die hinter der spektakulären Ermordung des berüchtigten Freischärler-Kommandanten und mächtigsten Mafiosos Serbiens, Zeljko Raznjatovic alias Arkan, steht.

Der Mord an Petrovic ist in dieser Hinsicht exemplarisch: Zuverlässige Informationen über die Hintergründe der Attentate gibt es selten. Dafür überschlagen sich die Spekulationen. Das Milieu, in dem die Mord-Anschläge stattfinden, betrifft die Regierungskreise ebenso wie die Opposition und reicht von kleinen Drogen-Dealern bis zu hochrangigen Offizieren; von kleinen Schwarzmarkt-Händlern bis zu Spitzenmanagern. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Im Februar wurde der Verteidigungsminister Pavle Bulatovic ermordet, einen Monat später Branislav Lainovic, Führer einer paramilitärischen Gruppe.

Während der Nato-Luftangriffe wurde der unabhängige Journalist Slavko Curuvija auf der Straße erschossen. Im Herbst starben bei einem geplanten Autounfall vier Aktivisten der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) des Nationalmonarchisten Vuk Draskovic. Zu den Attentatsopfern der letzten Jahren gehören auch engste Vertraute von Präsident Slobodan Milosevic: Radovan Stojcic Badza, ein Stellvertreter des Polizeiministers, starb bei einem Mordanschlag ebenso wie Zoran Todorovic, genannt Kundak (der Gewehrkolben), ein guter Freund der Familie Milosevic und Geschäftsführer der Jugoslawischen Vereinigten Linken (JUL), der Partei von Mirjana Markovic.

Die Logik, die hinter der Terrorwelle in Jugoslawien steht, ist nur schwer zu fassen. »Chicago auf dem Balkan«, »Wildwesten in Europa«, formulieren die westlichen Medien. Mit diesen Begriffen wird jede politische Dimension bei der Erklärung der Zustände ausgeschlossen.

Dennoch gelingt merkwürdiger Weise gerade mit diesem Deutungsersatz das, woran der Westen bisher gescheitert ist - nämlich Serbien als einen Teil der eigenen Problemwelt anzuerkennen. Nachdem Jugoslawien vom Westen bombardiert und politisch ausgeschlossen worden war, findet das Land hier ganz unten auf der Werteskala wieder einen Anschluss an die westliche Welt. So benehmen sich die Serben nach westlichen Maßstäben zwar »unmöglich«, passen damit aber immerhin in die typisch westliche Kategorie des outlaw. Wurde die so genannte Balkanisierung bislang als spezifisch jugoslawisches Problem gesehen, werden nun westliche Begriffe für die heutige Lage in Belgrad gefunden. Jugoslawien rückt damit wieder ein Stück näher.

Die Gewalt auf den Belgrader Straßen legt aber nicht nur das derzeitige Stadium der politischer Dekadenz in Jugoslawien offen: die letzten Atemzüge eines noch nicht demokratisierten, ehemals kommunistisch-nationalistischen Regimes. Sie ist vielmehr Ausdruck einer politischen Sackgasse. Kein Nationalstaat, auch keine dem Konzept des Nationalen verhaftete liberale Demokratie könnte die aussichtslose politische Lage verkraften, in der Serbien sich derzeit befindet. Die Serben sind dabei nicht die Einzigen, die keine Lösung für dieses Problem haben. Niemand und am wenigsten die so genannte internationale Gemeinschaft, die den Krieg gegen Jugoslawien geführt hat und die jetzt den »Frieden« im Kosovo simuliert, hat einen politisch brauchbaren Plan für das serbische Problem. Die Welle der Attentate und Schießereien ist bloß ein Symptom dieser politischen Aussichtslosigkeit.