Putin legt den Amtseid ab

Pinochet im Kreml

Es war eine prächtige Zeremonie, mit der Wladimir Putin offiziell seine Amtszeit antrat. Der neue Präsident legte seinen Amtseid im Kreml-Palast ab. Dessen Restaurierung mit Marmor und Gold hatte Kreml-Berater Pawel Borodin organisiert. Sie war der Ausgangspunkt des Mabetex-Skandals, der die Jelzin-»Familie« letztes Jahr ins Schwitzen brachte und Borodin einen internationalen Vorführbefehl verschaffte.

»Das ist ein historischer Tag, ein Tag für Russland, und der Tag in meinem Leben, der die Jelzin-Ära beendet«, sagte Boris Jelzin in einer »bewegenden Rede« (dpa), der bei der Zeremonie neben seinem handverlesenen Nachfolger Putin herumeierte. »Ich dachte, ich würde nicht aufgeregt sein, aber ich scheine es zu sein«, menschelte Jelzin. Putin solle »Russland hüten«. Zum ersten Mal in der russischen Geschichte werde die Macht von einem gewählten Präsidenten auf den nächsten übertragen, meinte Putin, der Ex-Chef des Geheimdienstes FSB. Die Grenze zu einem »wahrhaft modernen, demokratischen Staat« sei überschritten. Sein Handeln werde sich ausschließlich am Interesse des Staates orientieren.

Das klingt wie eine Drohung. Denn kurz vor der Inthronisierung Putins hatte der Moskauer Kommersant einen Plan veröffentlicht, der nach Angaben der Zeitung aus der Kreml-Planungsküche stammt. Der hat es in sich. Putins Präsidentenverwaltung solle ein »politisches Direktorat« schaffen - eine Art Orwellsches Wahrheitsministerium -, das das »intellektuelle, personelle und professionelle Potenzial« der Geheimdienste, insbesondere des FSB, anzapfen solle. Zweck der Institution: Material über politische Gegner sammeln, mit den Mitteln der Desinformation dem Kreml schädliche Veröffentlichungen neutralisieren etc.

Der Kommersant gehört dem Tycoon Boris Beresowski, und die Veröffentlichung deutet auf verdeckte Machtkämpfe im Umfeld Putins hin. Ob dieser Plan umgesetzt wird, ist zweitrangig. Der Analyst Vjatscheslaw Nikonow meinte: »Was die Administration schon praktiziert, steht nicht im Widerspruch zum Inhalt des Papiers.«

Auch anderen Bereiche der russischen Gesellschaft geht es an den Kragen. Noch in diesem Monat soll nach Berichten des australischen Wochenblattes Green-left weekly ein neues Arbeitsgesetz durch die Duma gebracht werden. Inhalt: Vorwärts zur 56-Stunden-Woche, kurzfristige, flexibilisierte Arbeitsverträge und einiges mehr. Für den 17. Mai ruft ein Moskauer Komitee zu Gegenaktionen auf.

So nimmt Gestalt an, was als Pinochetisierung Putins bezeichnen werden kann. Bereits in der FAZ vom 6. Januar hatte Zbigniew Brzezinski, ein Falke der US-Außenpolitik, die rhetorische Frage gestellt: »Wird Putin zu einem Pinochet oder einem Milosevic?«, um sie sofort zu beantworten: »Das bisherige Scheitern des demokratischen Experiments in Russland kann daran gemessen werden, dass man schon von guten Wünschen für Russlands Zukunft sprechen kann, wenn die Hoffnung geäußert wird, Putin möge der Pinochet Russlands werden.«

Das lässt sich auch einfacher audrücken. Am 31. März, fünf Tage nach Putins Sieg bei der Präsidentenwahl, outete sich der Chef von Russlands größter Bank, Pjotr Awen, gegenüber dem britischen Guardian als Pinochet-Anhänger. Sein Rezept für Russland: liberale Reformen, durchgesetzt mit totalitärer Macht. Awen gehört zur Alfa-Gruppe im Umkreis Putins, deren Einfluss rapide gestiegen ist.

Nicht nur im russischen Establishment freut man sich. »Wir trauen Putin zu, dass er für Recht und Ordnung sorgt«, meinte Klaus von Menges, Vorstandschef der Ferrostahl AG und Mitglied im Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft, in der Berliner Zeitung. »Wir glauben, dass Putin dabei die Investitionsbedingungen für die deutsche Wirtschaft verbessern wird.«