Rückwärts nach Albanien

Mit der Allianz für die Zukunft des Kosovos bekommt Ex-UCK-Führer Thaci Konkurrenz. Ein anderes Ziel als die Unabhängigkeit haben die anderen nationalistischen Parteien im Nato-Protektorat aber auch nicht.

Ein Zurück wird es nicht geben: Jugoslawien ist nur noch eine hässliche Erinnerung aus der Vergangenheit, die Zukunft aber soll die Unabhängigkeit bringen. Darin sind sich die kosovo-albanischen Führer einig. Die Verwalter der Uno-Mission für das Kosovo, Unmik, und die Befehlshaber der Nato-Streitkräfte Kfor drücken sich zwar nicht ganz so eindeutig aus. Doch ihr Verhalten deutet darauf hin, dass auch sie die Zukunft ähnlich sehen. Und die Uno-Resolution 12 44, die von einer »substanziellen Autonomie« spricht? »Diese Formulierung war lediglich ein Kompromiss, um den Krieg zu beenden. Nun stehen die Türen dazu offen. Wir werden nichts weniger als die Unabhängigkeit akzeptieren, auch wenn das einen neuen Krieg bedeutet«, erklärte erst vor wenigen Wochen der einstige Pazifist Ibrahim Rugova, der bei den heimlichen, von Belgrad aber geduldeten Wahlen 1998 zum Präsidenten der Kosovo-Albaner wieder gewählt worden war.

Die Forderung nach Unabhängigkeit der serbischen Provinz ist inzwischen zu einer Stilübung geworden, der sich die kosovo-albanischen Anführer in regelmäßigen Abständen unterziehen. Eine Alternative zu solchen Äußerungen scheint es im Kosovo nicht mehr zu geben, will man nicht als Verräter dastehen. Doch das gemeinsame Ziel eines unabhängigen Kosovo reicht nicht aus, um die völlig zerstrittene politische Klasse der Kosovo-Albaner zu einen: Man kämpft um die lokale Macht und, nicht selten, um die Kontrolle auf dem Schwarzmarkt. Oft werden die Konkurrenzkämpfe mit Pistolen ausgetragen. Die internationalen Verwalter sehen sich zu Kompromissen und Handschlägen mit mehr als fragwürdigen Personen gezwungen - auch ein Ergebnis des »Befreiungskrieges«.

Doch bei den Auseinandersetzungen auf dem politischen Feld in Pristina ist noch nichts entschieden. Die in der vergangenen Woche von vier Parteien geschlossene Allianz für die Zukunft des Kosovo unter Vorsitz des »Kriegshelden« Ramush Haradinaj, der mit 31 Jahren noch jünger ist als Ex-UCK-Chef Hashim Thaqi, kann über die Rivalitäten nicht hinwegtäuschen.

Haradinaj hatte während des Ende 1997 angezettelten Guerilla-Krieges gegen serbische Polizisten und vermeintliche »Kollobarateure mit dem serbischen Regime« die UCK-Kämpfer im Westen des Kosovos in der Umgebung von Pec angeführt. Vergangenen September ließ er sich - wie viele andere Kämpfer auch - in die leicht bewaffneten, zivilen Sicherheitskräfte des Kosovo-Sicherheitskorps TMK eingliedern. Dort stieg er zum stellvertretenden Befehlshaber auf. Von seinem ehemaligen Vorgesetzten Thaqi hat Haradinaj gelernt, alle Seiten zufrieden zu stellen. Den Westen versucht er zu beruhigen: »Die Allianz bewegt sich in der liberalen Mitte des politischen Feldes und steht allen Nationalitäten im Kosovo offen.« Vor der Bevölkerung ist die Botschaft eine andere: »Ich habe mich dazu entschieden, in die Politik einzutreten, um im Kosovo einen unabhängigen Staat zu errichten mit einer eigenen kosovarischen Armee.«

In seiner Allianz versammelt Haradinaj vier Partei aus dem radikalen separatistischen Spektrum, die öffentlich die Politik von Ex-UCK-Chef Hashim Thaqi kritisieren. Dazu gehört die linksnationalistische Volksbewegung des Kosovo (LPK), die 1981 gegründete, erste nationalistische Partei der Region. Aus dieser Volksbewegung, die sich ursprünglich auf Lenins Selbstbestimmungsrecht der Völker berief, was während der Verhandlungen in Rambouillet das Misstrauen der USA erregte, stammen viele der kosovo-albanischen Anführer, wie auch Hashim Thaqi. In den neunziger Jahren organisierte sich die Volksbewegung des Kosovo neu in der Schweiz und übernahm die politische Kontrolle über die UCK. Im Ausland sammelte die LPK Gelder unter den Immigranten, um den Krieg im Kosovo zu finanzieren. Der Großteil des Geldes ging in Waffen, die die Volksbewegung von Italien über die Adria ins Kosovo schmuggelte - nicht selten unter dem Deckmantel humanitärer Hilfsorganisationen. Weitere Koalitionsmitglieder in der Allianz für die Zukunft des Kosovo sind die Nationale Bewegung für die Befreiung des Kosovo, die Parlamentarische Partei des Kosovo und die Partei der Nationalen Einheit.

Als eine ihrer ersten Handlungen hat die Allianz für die Zukunft des Kosovo Sitze im Rat der Uno-Übergangsverwaltung (Iac) gefordert. In der Proto-Regierung der Provinz unter Vorsitz des Uno-Bevollmächtigten Bernard Kouchner sitzen derzeit nur noch Kosovo-Albaner, da die Kosovo-Serben den Rat boykottieren. Bislang kommen die Minister aus Rugovas Demokratischer Liga des Kosovo und aus Thaqis Partei des Demokratischen Fortschritts, einem direkten Nachfolger der UCK, und zu einem geringen Anteil aus der Vereinten Demokratischen Bewegung von Rexhep Qosja, die die Strömungen der nationalistischen Zivilgesellschaft - unter anderem die Bewegung der albanischen Studenten in Pristina - auf sich vereint.

Sie alle werden an den Wahlen teilnehmen, die die Unmik für den kommenden Herbst angesetzt hat. Die Registrierung der Wähler hat bereits, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, begonnen und soll im Juni abgeschlossen sein. An der Abstimmung sollen auch die Serben und die Angehörigen anderer Minderheiten aus dem Kosovo teilnehmen, die aus der südserbischen Provinz geflohen sind. Da es keine verlässlichen Garantien für eine Rückkehr in ihre Wohnorte gibt, verweigert Belgrad ihnen jedoch die Teilnahme aus dem Exil.

Die serbischen Flüchtlinge in der größten serbischen Enklave Mitrovica stellen noch immer eines der größten Probleme für die politische Zukunft des Kosovo dar. Inzwischen findet auch bei den westlichen Regierungen Gehör, was die Opposition gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic seit langem fordert: Allen, die aus der südserbischen Provinz vertrieben worden sind, müsse eine Rückkehr ermöglicht werden.

Solche Vorschläge stoßen auf Seiten der Kosovo-Albaner auf wenig Verständnis. Ex-UCK-Chef Thaqi erklärte erst Anfang April auf einer Konferenz in Budapest, dass »der Prozess zur Unabhängigkeit des Kosovo nicht Opfer der Demokratisierung Serbiens« werden darf.

Thaqis Partei verfolgt auch weiterhin am radikalsten das Ziel, »ein vereintes Vaterland aller Albaner« zu schaffen. Eine herausragende Figur in dieser Partei ist Bardhyl Mahmuti, ehemaliger UCK-Sprecher in Europa, den die BBC vor dem Krieg als »graue Eminenz« der UCK bezeichnet hatte. Als Vizepräsident der Partei trat er durch besonders scharfe Äußerungen hervor, unter anderem zu Gunsten der albanischen Miliz UCPMB im südlichen Serbien an der Grenze zum Kosovo. Der erklärte Verfechter eines »Großalbanien« ist Mazedonier und gehört zur albanischen Minderheit des Landes.

Das Projekt eines Großalbanien war auch Hintergrund eines Treffens Anfang Mai in Tirana zwischen dem albanischen Premier Ilir Meta, Thaqi und dem Anführer der albanischen Minderheit in Mazedonien, Arber Xhaferi. Offiziell sollte auf der Versammlung eine »gemeinsame Strategie für die Stabilität in der Region« erarbeitet werden. Erst wenige Wochen zuvor hatte der Vorsitzende der albanischen Sozialisten, Fatos Nano, allen albanischen Parteien auf dem Balkan vorgeschlagen, ein »pan-albanisches, politisches Forum für die Stabilität und die Integration in Europa« zu schaffen - ein erster Schritt in Richtung des gemeinsamen Traum eines Großalbanien.

Sicherlich, wer in Washington oder Brüssel den Krieg ausgelöst hat, teilt diese Wunschvorstellungen nicht. Doch ein Jahr nach dem Angriff auf Jugoslawien scheint es dem Westen kaum mehr möglich, die Folgen des Nato-Angriffs einzudämmen, der den gesamten südlichen Balkan destabilisiert hat. Umso mehr, als die Bombardierung Jugoslawiens der islamistischen Bewegung jetzt den Boden zu bereiten scheint, in Albanien und dem Kosovo an Einfluss zu gewinnen, unter anderem mit Hilfe der Hilfsorganisationen.

So durchsuchten im April englische Nato-Soldaten das Lager einer saudi-arabischen Hilfsorganisation in Pristina. CIA-Informationen zufolge soll es Verbindungen zwischen dieser NGO und der Organisation von Osama Bin Laden geben, die Attentate auf Nato-General Wesley Clark und den US-amerikanischen Verteidigungsminister William Cohen während dessen Besuch im Kosovo geplant haben soll.

Die Situation wird also komplizierter und der Westen versinkt immer tiefer in dem von ihm selbst geschaffenen Sumpf. Im Juni könnte die jugoslawische Armee an die Grenze zum Kosovo zurückkehren: Sollten ihre Soldaten die dort eingerichtete Pufferzone überschreiten, stünden die jugoslawischen Truppen direkt der Nato sowie bewaffneten Kosovo-Albanern gegenüber - wohl kaum, um sich die Hand zu geben.