Innere Sicherheit in Großbritannien

Terrorismus neu erfunden

Die britische Terrorism Bill bietet der Polizei ungeahnte Möglichkeiten beim Vorgehen gegen unbequeme Polit-Aktivisten.

Der Besitz eines Spatens könnte gefährlich werden. Ebenso wie die Teilnahme an einem Elternabend oder der Versuch, eine Forschungsarbeit über die burmesische Diktatur zu schreiben. Jedenfalls, wenn man in Großbritannien lebt. Denn unter bestimmten Umständen können diese Aktivitäten demnächst unter die Kategorie Terrorismus fallen und entsprechend bestraft werden.

Das neue Gesetz dazu braucht nur noch das britische Oberhaus zu passieren. Im Unterhaus, wo die Terrorism Bill bereits eine Mehrheit gefunden hat, haben viele Abgeordnete mit ihrer Zustimmung sich selbst zu Terroristen erklärt. Denn prophylaktisch wird »Terrorismus« in dem Gesetz weit gefasst. So bleibt die Auslegung des Gesetzes im Einzelfall dem Innenministerium und der Polizei überlassen.

Bislang gehörte Großbritannien zu den Ländern, in denen es keine speziellen Terror-Gesetze gab. Offiziell galt, dass Terroristen sich nicht von Kriminellen unterschieden. Einzig für Nordirland trat 1974 eine entprechende Regelung in Kraft. Doch selbst diese war nur provisorisch und musste jedes Jahr bestätigt werden. Nun soll das neue Terrorismus-Gesetz Polizei und Innenministerium auch ein Vorgehen jenseits der Schranken des normalen Strafrechts ermöglichen, mit Hinweis auf den Terrorismus-Verdacht. Und was unter Terrorismus zu verstehen ist, bleibt weitgehend offen. Nach der Terrorism Bill ist Terrorismus »der Gebrauch von schwerer Gewalt gegen Personen oder Eigentum oder die Androhung solcher Gewalt, um die Regierung oder einen anderen Teil der Öffentlichkeit aus politischen, religiösen oder ideologischen Gründen einzuschüchtern oder unter Zwang zu setzen«. Das Gesetz lässt dabei offen, was schwere Gewalt ist, ob zum Beispiel das Ausreißen von Gen-Pflanzen oder das Sabotieren von Baumaschinen darunter fallen. Gegen die Kritik, das Gesetz sei zu unbestimmt, verteidigt der Staatsminister im Innenministerium, Charles Clarke, die Bill damit, dass die Geschworenen im Gericht »vernünftig« entscheiden könnten, ob es sich im jeweiligen Fall um Terrorismus handelt.

Doch die Geschworenen sind in den meisten Paragrafen gar nicht vorgesehen. Stattdessen erhalten Polizei und Innenminister erhebliche Entscheidungsgewalt beim Umgang mit Terrorismus. Ein Beispiel ist die neue Bezeichnung »terroristische Vereinigung«. Hier liegt es im Ermessen des Innenministers, ob eine Gruppe verboten wird. Dagegen gibt es immerhin ein schwaches Einspruchsrecht. Dass dabei zuerst eine Verurteilung ausgesprochen wird und erst danach das Verfahren stattfindet, ist wohl nur schwer mit den Prinzipien des Rechtsstaats in Einklang zu bringen.

Ebenfalls strafbar macht sich, wer eine verbotene Vereinigung öffentlich unterstützt oder wer auf einer Versammlung spricht, an der ein Mitglied der verbotenen Vereinigung teilnimmt. So könnte schon die Forderung, die Gruppe nicht mehr zu verbieten, eine illegale Unterstützung bedeuten. Ebenso würde der Elternabend, an dem ein militanter Tierschützer teilnimmt, unter das neue Gesetz fallen. Paradoxerweise geraten auch Journalisten, die mit verbotenen Vereinigungen zusammenkommen, und selbst Regierungsvertreter, die beispielsweise einen Waffenstillstand aushandeln wollen, in Konflikt mit der Terrorism Bill.

Auf heftige Kritik ist auch die in dem Terroristen-Gesetz vorgesehene Umkehr der Beweislast gestoßen. Wer Gegenstände besitzt oder über Informationen verfügt, die unter Verdacht stehen, zu terroristischen Zwecken benutzt zu werden, kann dazu verpflichtet werden, das Gegenteil beweisen zu müssen. Doch wie soll man beispielsweise beweisen, dass ein Autoschlüssel, ein Spaten oder ein Stadtplan des Londoner Bankenviertels nicht für einen terroristischen Anschlag vorgesehen sind? Zudem befürchten Kritiker, dass das neue Gesetz erhebliche Konsequenzen für Journalisten haben könnte. Denn wer Informationen über terroristische Aktivitäten hat und diese nicht an die Polizei weitergibt, kann mit Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren rechnen.

Nun wird die britische Regierung kaum das halbe Land zu Terroristen erklären. Mit dem Gesetz werden vor allem zwei Ziele verfolgt: Zum einen erweitert die Bill die Ermittlungsrechte von Polizei und Innenministerium erheblich: Hausdurchsuchungen, Festnahmen, das Speichern persönlicher Daten können ohne Gerichtsbeschluss durchgeführt werden, ein begründeter Verdacht der Polizei genügt.

Zum anderen erlaubt die Terrorism Bill der Regierung ungeahnte Freiheiten beim Umgang mit der außerparlamentarischen Opposition: Wenn erst einmal alle Aktivisten-Gruppen potenzielle Terroristen sind, kann sich das Innenministerium problemlos auf die stürzen, die politisch unbequem werden. Denn selbst die einstigen ANC-Anhänger im britischen Exil, Greenpeace oder die streikenden Minenarbeiter der Thatcher-Ära würden unter das Terror-Gesetz fallen. Innenminister Jack Straw betont, dass Gruppen wie diese natürlich nicht gemeint seien, und zeigt damit, dass er entweder den politischen Aktivismus auf der Insel oder aber sein eigenes Gesetz nicht kennt.

Zum Beispiel den Paragrafen über Auslandsterrorismus. Wer eine bewaffnete Gruppe im Ausland unterstützt, kann ebenfalls bestraft werden. Darunter fallen Gruppen wie die EZLN, die UCK, die PKK, die Tamil Tigers, die Ogonis in Nigeria oder tibetanische Separatisten. Um aber politisch genehme Freiheitskämpfer von kriminellen Terroristen unterscheiden zu können, wird der Justizminister einen Director of Public Persecutions ernennen, der die ausländischen Gruppierungen einschätzen soll. Vorsichtshalber ist im Gesetz festgeschrieben, dass Personen, die »im Auftrag der britischen Regierung handeln«, sich nicht strafbar machen.