Aufs Gen genau

Die ethische Kritik an der Klonierung hat mit dem High-Tech-Versprechen der Gen-Forscher eines gemein: Wer fragt, ob »genetisch gesunde« Nachkommen geschaffen werden dürfen, legt nahe, dass man es kann.

Gegen die Vorwärts-Logik biotechnischer Rationalität scheint heute nur noch Ethik übrig geblieben zu sein, die diese Rationalität überhaupt als problematisch diskutieren kann. Aber die Frage »Darf man das, Klonen? Einen Menschen formen wie eine Handelsware?« löst zwar ein leises »Nein« aus, aber man ahnt schon: Was wurde nicht alles dem Markt unterworfen, und schließlich beruhigten sich alle mit einem »So schlimm war's doch gar nicht!«.

Die Anrufung von Ethik zur Diskussion neuer biotechnologischer Verfahren ist aber nicht nur deshalb falsch, weil ethische Skrupel keine Chance gegen Markt und Gesundheitsversprechen haben, weil sie nur als Alibi eingesetzt werden, um zu zeigen, dass der technologisch-industrielle Komplex es sich nicht leicht gemacht hat. Es geht noch um etwas anderes: Die ethische Kritik an der Klonierung hat mit den Bio-High-Tech-Profis eine entscheidende Sache gemeinsam, nämlich die undifferenzierte Annahme, dass der Gegenstand der Gentechnologie, das Genom, wirklich der »Schlüssel des Lebens« sei, eine Software in Molekülen geschrieben. Wer fragt: »Dürfen wir genetisch gesunde Nachkommen schaffen?« legt nahe, dass man es kann.

Diese Annahme beruht auf einem wissenschaftstheoretischen Weltbild, das die gentechnologische Forschung grundlegend prägt. Es ist ihre wissenschaftliche Ideologie. Insofern ist diese Annahme ein Politikum, und es ginge darum, sie auch auf wissenschaftlicher Ebene politisierbar zu machen. Die Gegen-These lautete dann, dass Gentechnologie die Zellvorgänge missversteht - nicht in allen Punkten, aber in wesentlichen.

Der fortschrittsfixierte Allgemeinplatz, dass sich Wissenschaft und Fortschritt nicht aufhalten lassen, muss in den Satz umformuliert werden, dass sie die Richtung zu wechseln wissen, wenn das zu bearbeitende Material nicht so recht nachgeben will. Auch der Weltraum sollte einmal erobert werden, Relativitätstheorie und Quantenphysik versprachen die Gewalt über die Materie. Das ging dann doch nicht, und jetzt findet man das Versprechen auf die Überwindung von Raum und Zeit nur noch in der Geschwindigkeit, mit der sich Datenströme um die Welt bewegen lassen. Die Absender-Körper bleiben, wo sie sind, oder nehmen Linienflüge - wie schon seit dem Zweiten Weltkrieg.

Seit der wissenschaftlichen Entdeckung der DNA 1957 häuft die jüngste Erforschungs-Phase biologischen Lebens Erkenntnisse über die Zusammensetzung der »biologischen Maschine« von Lebewesen an. Diese Phase ist von der Entwicklung der Computer nicht zu trennen. Zum einen lassen sich die Datenmengen der Genomanalyse nur von Großrechnern bewältigen. Zum anderen liefert die Informatik eine Art Leitmodell für gentechnologische Phantasmen, weil man bei ihr den sichtbaren Nachweis gewinnen will, dass aus einfachen Elementen wie 0 und 1 hochkomplexe Systeme entwickelt werden können. Im Analogieschluss wird alles getan, um den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass das Genom das »Programm« der menschlichen Zelle sei, das die Entwicklung dieser Zelle verbindlich festschreibe. Alle Rückschläge der orthodoxen Position wie die Entdeckung von Retro-Viren, die doch die Zell-DNA verändern können, oder so genannter springender Gene wurden wieder in eine Theorie der stabilen Funktion des Genoms zurückgeführt.

Die Erfolgsmeldungen von geglückten Klonierungen wie dem Schaf Dolly und die von der privaten Forschungs-Firma Celera angekündigte Entschlüsselung des menschlichen Genoms stellen heute die Updates der Behauptung dar, Gentechnologie sei angewandte technologische Performanz, luzide Beispiele kontrollierter Biomasse. Das geklonte Schaf Dolly ist jedoch keineswegs eine einfache reine Kopie, so wie man ein Bild im Rechner ausschneidet und an anderer Stelle einfügt. Klonierung ist bis heute ein endloses Trial-and-Error-Verfahren. Unzählige gescheiterte Versuche, eine Eizelle zu »entkernen« und mit einer anderen Körperzelle zu verschmelzen, gehen einer geglückten Implantation in ein austragendes Tier voraus. Niemand weiß genau, warum eine Schwangerschaft gelingt. Irgendwie muss die Eizelle, in der auch im »entkernten Zustand« immer DNA-Reste zurückbleiben, erst einmal die dort eingeschmolzene Körperzelle wieder aufbereitet haben, sodass diese zur embryonalen Entwicklung befähigt wird. Fraglich ist dann, warum das Zell-Umfeld und die DNA-Reste der »entkernten« Eizelle für diese Entwicklung nicht ausschlaggebend sein sollen. Völlig aus dem Blick geraten die fehlgeschlagenen Schwangerschaften oder die Lebensunfähigkeit vieler Embryos.

Das strukturelle Fehlen von Transparenz zeigt sich auch bei der endlich geglückten Geburt eines Tieres wie im Fall Dolly. Dass ihr Zell-Kern eine Kopie ist, sagt nur, dass ein Tier geboren wurde, dessen DNA der eines anderen Tieres entspricht, aber es ist nicht geklärt, was das bedeutet.

Die Gentechnologie behauptet, dass Genotyp gleich Phänotyp sei. »Leben«, der Phänotyp, ist aber - wenn man sich auf das herrschende Bild der Zellentwicklung als Buchstabenspiel der Basen einmal taktisch einlassen will - eine »lebendige« Interpretation dieses »Textes«, von dem eine berühmte »kritische Metapher« besagt, dass der Gen-Code über das Leben nicht mehr sagt als der Text des Grundgesetzes über das Leben in Deutschland. Das Genom ist ein Material, dessen sich der Organismus bedient und nicht seine »Software«. In der Interpretation der experimentellen Ergebnisse auf die einfache Logik Genotyp = Phänotyp liegt der verdeckte politische Faktor.

Hinzu kommt, dass selbst ein vollständig »kartografiertes« Genom kein Gegenstand ist, den man sich ansehen und dann beurteilen könnte. Es kann nur durch Tests, die nach bestimmten Elementen suchen, in einen solchen Gegenstand verwandelt werden. Das daraus entstehende Profil definiert dann die angebliche Identität des Lebewesens wie ein elektronischer Ausweis. Solche Ausweise sind jedoch Deutungen des wissenschaftlich-technischen Komplexes, moderne wissenschaftliche Mythen.

Die WissenschaftlerInnen wissen selber, dass die Arbeit im Labor ein endlos komplizierter, uneindeutiger, interpretierbarer Vorgang ist. Diese Einsicht wird mit dem Argument verstellt, die gegenwärtige Genforschung sei noch unfertig. Und so bleibt die Entwicklung eines neuen wissenschaftlichen Paradigmas aus, das endlich die engen Grenzen der Gen-Manipulation beschreiben würde. Immer heißt es: Es klappt eben noch nicht. Entsprechend werden die bisher verschwiegenen Todesfälle bei gen-therapeutischen Versuchen, wie jüngst wieder in Boston, in Noch-Nicht-Erfolge umgedeutet. Der Washington Post liegen 691 Fälle von schwerwiegenden Problemen infolge gen-therapeutischer Verfahren beim Menschen vor, denen bisher keine wirklichen Erfolge gegenüberstehen.

Um überhaupt gesellschaftlich sichtbar zu werden, müssen dissidente wissenschaftliche Theorien in Zusammenhang gestellt und politisch organisiert werden. Diese Theorien gehen davon aus, dass sich das »Funktionieren« der Gene nicht in übergeordneten Gesetzen zusammenfassen lässt. Es ist fallspezifisch und steht in komplexer Wechsel-Wirkung mit anderen körperlichen Prozessen und Umwelteinflüssen. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel die »epigenetische Theorie« des Molekularbiologen Richard Stromann interessant, nach der der Zellkern nicht vom Rest der Zelle zu trennen ist. Gleichzeitig müssen die Unklarheiten der orthodoxen Forschung herausgestellt werden: Die Bedeutung eines Gens kann davon abhängen, wie oft es auf dem DNA-Strang wiederholt wird. Aber die funktionale Bedeutung der Anzahl der Wiederholungen ist von Fall zu Fall unterschiedlich und weitestgehend ungeklärt. Außerdem verändert sich das Genom eines Individuums im Laufe der Zeit. Jacques Testart, einer der französischen »Pioniere« der Verfahren zur künstlichen Befruchtung (IVF) stellt heute die Frage, ob der Versuch, eine so genannte Karte des Genoms zu erstellen, unsinnig ist, weil darin die Veränderung der Gene im Individuum nicht berücksichtigt wird. Was bedeutet es dann, wenn diese Genom-Karte, die für alle Menschen gelten soll, trotzdem erstellt wird? Dann handelt es sich, folgert Testart, um eine Karte normativer Konstruktionen, das heißt im Endeffekt potenziell um Eugenik.