Freihandelsabkommen zwischen EU und Mexiko

Europa in Feuerland

Mit einem neuen Freihandelsabkommen baut die EU ihren Einfluss in den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten weiter aus.

Das Datum für die Zeremonie könnte für den mexikanischen Staatspräsidenten Ernesto Zedillo nicht günstiger liegen. Am 1. Juli 2000 - einen Tag, bevor die MexikanerInnen einen neuen Präsidenten wählen - wird Zedillo auf allen TV-Kanälen zu sehen sein, wie er den europäischen Regierungschefs die Hände schüttelt. Ein symbolträchtiger Akt: Mit den Feierlichkeiten soll das weit reichende Freihandels- und Partnerschaftsabkommen zwischen Mexiko und der Europäischen Union besiegelt werden.

Die »Partei der institutionalisierten Revolution« (PRI) verkauft ihren WählerInnen den im März in Lissabon geschlossenen Vertrag als Symbol des Fortschritts. Sie verspricht neue Jobs, einen expandierenden Handel und eine größere Unabhängigkeit Mexikos von den USA. Regierungskritischen Organisationen haben dagegen den mexikanischen Senat aufgefordert, das Abkommen nicht zu unterzeichnen. Und auch auf der anderen Seite des Atlantiks, im Europäischen Parlament, verweigerten einige Abgeordnete der Vereinigten Linken und der Grünen ihre Unterstützung.

Die Kritiker befürchten, dass am Ende nur eine Seite von den Verhandlungen profitiert: Die europäischen Großunternehmen könnten die niedrigen Löhne und die miserablen Arbeitsbedingungen in Mexiko ausnutzen, während die kleineren mexikanischen Firmen dem Konkurrenzdruck kaum noch gewachsen sind.

Die Befürchtungen sind durchaus berechtigt, übertrifft doch das neue Abkommen alles, was die EU und Mexiko bislang vereinbart haben. Alle handelspolitischen Ziele, die die EU bei der Welthandelsorganisation (WTO) wegen des Widerstandes der Entwicklungsländer bis jetzt nicht durchsetzen konnte, sind in dem bilateralen Abkommen mit Mexiko verankert - wie etwa freier Handel, wechselseitige Anerkennung von Patenten und ein liberalisierter Zugang für öffentliche Aufträge. Auch Investitionsbarrieren und Zölle werden vollständig abgeschafft.

Für die europäische Industrie bringt der Freihandel weit mehr als nur ausgezeichnete Investitionsmöglichkeiten in Mexiko: Das Land südlich des Rio Grande ist Teil der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta, der außerdem die USA und Kanada angehören. Wenn die Handelsschranken zwischen der EU und Mexiko fallen, können europäische Unternehmen, wie beispielsweise Volkswagen, ihre Produkte nicht nur auf dem mexikanischen Markt, sondern in ganz Nordamerika zollfrei verkaufen. Während etwa für den New Beetle, der von VW exklusiv in Mexiko produziert wird, ein riesiger Markt entsteht, können die mexikanischen Beschäftigten kaum auf bessere Arbeitsbedingungen hoffen.

Daneben stehen bereits weitere Märkte in Lateinamerika zur Eroberung an. So soll die Mercosur-Zone, die Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien verbindet, bis 2005 mit einem Handelsabkommen an die EU gekoppelt werden. Damit würde die größte Freihandelszone der Welt entstehen. Die Verhandlungen haben im April dieses Jahres begonnen und sollen schnell abgeschlossen werden. Denn auch Washington plant eine Freihandelszone, die den gesamten amerikanischen Kontinent umfassen und von Alaska bis Feuerland reichen soll. Die EU will sich diese Märkte jetzt sichern und den USA den Rang ablaufen: »Ein Abkommen EU-Mercosur muss vor der Errichtung der amerikanischen Freihandelszone unterzeichnet werden«, verlangte etwa kürzlich die französische Nationalversammlung.

Hinderlich ist nur, dass der Mercosur bis jetzt kaum über funktionsfähige Gremien verfügt. Zudem sind seine Mitgliedstaaten bisweilen in einem solchen Maße über ihre Handels- und Währungsbeziehungen zerstritten, dass ein gemeinsames Vorgehen wenig realistisch erscheint.

Die Europäische Kommission hat deshalb angekündigt, die politischen Institutionen des Mercosur finanziell zu unterstützen, um sie »effektiver« zu gestalten. Der Präsident der parlamentarischen Versammlung des Mercosur, Carlos Raimundi, kündigte sogleich dankbar die Schaffung eines »Mercosur nach dem Modell der EU« an. Sogar über eine Währungsunion wird nun geredet.

Zusätzliche Schwierigkeiten bereiten vor allem die unterschiedlichen Interessen in der Landwirtschaft. Rund ein Drittel der Mercosur-Exporte nach Europa besteht aus Agrar- und Fischereiprodukten. Die lateinamerikanischen Unterhändler verlangen daher seit langem, dass die EU ihren abgeschotteten Agrarmarkt öffnet. So versuchte der argentinische Wirtschaftsminister José Luis Machinea kürzlich, entsprechend Druck auf Europa auszuüben. Er sei »es leid zu sehen, wie Argentinien Käse aus Frankreich importiert, ohne dass es seine Milchprodukte dorthin exportieren kann«, lamentierte er.

Wenn die Zukunft der europäischen Bauern auf dem Spiel steht, gibt sich Europa jedoch unnachgiebig. Der Generaldirektor der Europäischen Kommission für Außenbeziehungen, Guy Legras, hatte schon in seiner früheren Funktion als Generaldirektor für Landwirtschaft davor gewarnt, eine Liberalisierung des Handels mit so wichtigen Agrarproduzenten wie den Mercosur-Staaten anzustreben. Dies würde für die EU nur Nachteile mit sich bringen.

Mittlerweile jedoch weiß die Kommission, wie dieses Problem bei den aktuellen Verhandlungen anzupacken ist. Bevor die Landwirtschaft überhaupt zur Sprache kommen soll, will sie den freien Verkehr für andere Waren, Dienstleistungen und Kapital verbindlich festlegen. Bei Versicherungen, Energie, Banken, Autos und Telekommunikation versprechen sich die Europäer die größten Profite im Mercosur-Raum. Dort sollen entsprechend die ersten Vereinbarungen getroffen werden.

Schließlich haben die europäischen Konzerne vor allem in diesen Branchen bereits Fuß gefasst. Für 17 Milliarden Dollar kaufte der spanische Ölkonzern Repsol das argentinische Unternehmen YPF. Die portugiesische Telecom kontrolliert das Mobilfunknetz Brasiliens. Electricité de France ist in die Energiewirtschaft eingestiegen und Volkswagen sowie Fiat konkurrieren im Automobilsektor.

Der Siegeszug der Unternehmen wird sich durch das Liberalisierungsabkommen zwischen Europa und dem Mercosur nochmals beschleunigen. Waren es bisher vor allem US-amerikanische Unternehmen, die den lateinamerikanischen Markt dominierten, sind es heute zunehmend die Euro-Großkonzerne.