Einkaufsparadies »Girl Heaven«

Mädchenhölle in Pink

»Girl Heaven« hat nicht nur eine Marktlücke entdeckt, sondern zugleich eine neue Konsumentin erschaffen: das »preteen girl«.

Die Mädchenhölle liegt direkt im Paradies. Blue Water, der größte Einkaufskomplex Großbritanniens, ist eine Welt für sich, die ganz dem Konsum gewidmet ist. Hier verstreicht der Tag im Nu. Auf zwei Etagen reiht sich Geschäft an Geschäft, und Girl Heaven ist eines davon.

In hohen Regalen flimmern bunte Kleinigkeiten, Mädchen und Mütter mit Kinderwagen bahnen sich ihren Weg durch den Laden. Es gibt viel zu sehen: Silbersandaletten mit pinkfarbenem Flausch, glitzernde Feenflügel, Unterwäsche mit appliziertem Prinzessinnengesicht, Schirme, »Hello-Kitty»-Plastikportemonnaies, Nagellackfläschchen in Bärenform, »Yippeh Bubble Bath« und Barbies, Prinzessinnenkleider, Diademe. In einer Ecke des Ladens der Thron, hier ist das Prinzessinnen-Studio, wo sich Mädchen in Prinzessinnen, Engel oder Elfen verwandeln lassen. Dann wird ein Foto gemacht, auf dem Thron, als Erinnerung.

Welt in Pink, auch die Verkäuferinnen tragen Kleidung in dieser Farbe. Damit der Kauf zum Erlebnis wird, sorgen sie für die »Party-Atmosphäre«, wie es heißt, und regelmäßig wird vor dem Geschäft getanzt zu den aktuellen Top Ten.

Girl Heaven eröffnete im April letzten Jahres. Seine Gründerinnen, Vivienne Pringle und Judy Lever, arbeiten bereits seit 1985 zusammen. Damals entstand Blooming Marvelous, eine High-Street-Kette für Umstandsmode und Babykleidung. Das Marktsegment, das Girl Heaven bedient, wird in Großbritannien auf immerhin 1,4 Milliarden Pfund (2,3 Milliarden Euro) geschätzt. Die Konkurrenz ist groß, aber vor Girl Heaven hatte sich niemand auf die Zielgruppe der Mädchen spezialisiert.

Angus Jenkins, der für das Unternehmen arbeitet, will über das Konzept von Girl Heaven nichts sagen. Wegen möglicher Konkurrenz. Immerhin sind sie die ersten mit der Idee, und der Bedarf scheint groß: Zwanzig neue Filialen sollen innerhalb der nächsten drei Jahre in Großbritannien eröffnet werden. Ein »Verkaufs-Theater für kleine Mädchen« sei das. Girl Heaven, das sei alles, wovon kleine Mädchen träumen, versammelt in einem Geschäft. Wovon träumen kleine Mädchen?

Die ideale Kundin ist sieben Jahre alt, die Zielgruppe umfasst Mädchen im Alter von zwei bis zehn Jahren. Dass der Kontakt zu einer Zweijährigen nur bedingt möglich ist, wenn es darum geht, ihr das Produkt näher zu bringen, muss Jenkins zugeben. Das sei schon ein »sehr junges Mädchen«. »Kleinkind« könnte man natürlich auch sagen. Girl Heaven hat nicht nur eine Marktlücke entdeckt, sondern zugleich eine neue Konsumentin erschaffen, das preteen girl, das Mädchen unter zehn, das aus der Blooming Marvelous-Welt herausgewachsen ist und jetzt geradewegs in den Mädchenhimmel kommt.

Neben den Prinzessinnenkleidern, die mit rund 150 Mark nicht ganz billig sind, liegen die taschengeldgerechten Kleinigkeiten: Haarspangen, Make-up, Portemonnaies.

Die Kleinen kommen in Begleitung der älteren Schwestern oder der Mutter, und es ist schwer zu entscheiden, wen der Feenzauber mehr entzückt, die Frauen oder deren Töchter. Konsum muss gelernt werden, und die Hilfe der Mutter ist gefragt. »Sieh-mal-hier»-Rufe hört man andauernd. Begeisterung in der Stimme und Sehnsucht. »Hätte es das doch früher gegeben«, sagt eine Frau mit Blick auf ein Feenkleidchen.

Mit den Kostümen und dem Schmuck von Girl Heaven sei es ein Kinderspiel, die Mädchen wirklich an ihre Phantasien glauben zu lassen, heißt es im Info-Material. Wenn ein Mädchen in der Ecke dieses viel besuchten Geschäftes sitzt und geschminkt wird, stellt sich dann das Feengefühl ein? Und woran erinnert das Erinnerungsfoto auf dem Thron, das den Prinzessinnenlook forever festhält?

Girl Heaven ist weniger ein Verwandlungsparadies für Mädchen als vielmehr ein Trainings-Camp für Konsum und Gender. Hier lernt die kleine Käuferin nicht nur, dass ein bestimmtes feeling durch den Besitz eines Produkts herstellbar ist, sondern auch, welche Anstrengungen sie unternehmen muss, um ein richtiges Mädchen zu werden. Girl Heaven verspricht die ganz besonderen Momente von Intensität.

Immer mehr aber wird der Akt des Kaufens mit Bedeutung aufgeladen. Dem Info-Material über Girl Heaven zufolge wollen kleine Mädchen vornehmlich eines: Shoppen. »Girl-Heaven-Girls finden Vergnügen an femininer Phantasie. Bisher haben sie geshoppt, bis ihre Eltern umfielen, wegen all der sehr speziellen Wünsche. Girl Heaven ist ein Cocktail aus Pink, Glam und Spaß; ein Paradies für girly Girls, in dem sie ihre Phantasien ausleben können in einem Shopping-Trip.«

So verbindet Girl Heaven »spielerisches Verkleiden und ernsthaftes wildes Einkaufen« miteinander. Spaß verspricht beides. Mehr und mehr wird das Geschäft zum Ort des Sozialen. Als »Verkaufstheater mit der besonders pulsierenden Atmosphäre und glitzerndem Design, in dem lebhafte, trendy Angestellte mit den Kundinnen interagieren«, so lädt Girl Heaven die Mädchen zum Verweilen ein. Hier finden Feen-Contests statt und Geburtstagsfeiern. Man verbringt Zeit im Geschäft, einfach so.

Das Erlebniskauf-Center Blue Water kennt kein Außerhalb mehr, die Geschäftswelt ist total, der Einkaufskomplex hat keine tauschfreie Zone. Das ist das richtige Ambiente, um Stunden damit zu verbringen, aus den bunten Kleinigkeiten irgendwas auszusuchen. Natürlich geht im Mädchenhimmel alles ganz freundlich zu, weil alle Spaß haben und gut drauf sind. Die Selbstdarstellung des Gender-Supermarkts bedient sich so energisch eines Jargons der Superlative, dass jedes Wort eine Stufe ist, stairways to heaven. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens, so scheint es, schreibt sich ganz von selbst. Weil es lediglich das anbietet, was kleine Mädchen ganz natürlich wollen.

»Wir sind mit Angeboten zur Eröffnung einer weiteren Filiale überschwemmt worden. Unsere Erweiterung ist durch außergewöhnliche Kundennachfrage angetrieben worden«, erklären die Gründerinnen. »Die Geschäfte sind weitaus erfolgreicher als wir vorraussehen konnten.« Obwohl Girl Heaven längst ein Großunternehmen ist, betonen die Gründerinnen den familiären Charakter des Projekts. Die Erzählung über die Entstehung des Unternehmens betont dies. »Die Idee entstand aus einem Gespräch in der Familie am Abendbrot-Tisch«, so Jenkins. Da habe der Sohn einer der Managerinnen festgestellt, dass es kein Geschäft gäbe, in das seine kleine Schwester gehen könne.In der Privatheit des Familienkreises entstanden, atmet das Projekt noch immer etwas von der unschuldigen Fürsorge des großen Bruders. Kleine Mädchen sollen glücklich gemacht werden, die Tochter, die Schwester und deren Freundin. Und Freundinnen sind überall. Auch über einen Internet-Vertrieb wird nachgedacht, wie auch über die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen. Chancen rechnet man sich vor allem in Deutschland, Japan und den USA aus. Nach Kinderladen, Spielzeugtausch und Unisex in den letzten Dekaden scheint jetzt die Zeit gekommen, wieder ganz deutlich zu definieren, was ein Mädchen ist.

Während sich Gender Studies an den Universitäten etablieren konnte und Identität als performativ begriffen wird, taucht in der Warenwelt das kleine Mädchen als girly girl wieder auf. Girl Heaven-Gründerin Judy Lever und Queer-Theoretikerin Judith Butler verbindet nichts, und doch berühren sich die Gender-Theorie der einen und die Unternehmenskonzeption der anderen in gewisser Weise. Wenn Identität und Geschlecht in einem kulturellen Prozess hergestellt werden, dann sind sie veränderbar, und auf diesen Herstellungsmechanismus setzt Girl Heaven.

Die Kritik der siebziger Jahre am Versprechen der Warenwelt erscheint antiquiert. Und um ein Glücksversprechen geht es auch gar nicht mehr, eher um die Abwendung von Unglück und sozialer Ächtung: Wenn Sie nicht wollen - so lautet die Botschaft an die Mutter -, dass sich ihre Tochter in der Schule zum Hühnchen macht, dann tun sie besser daran, ihre Out-of-date-Jeans durch die neue Girlie-style-Kollektion zu ersetzen.