Europa-Rede von Joseph Fischer

Fischer im Zentrum

Quer durch alle Parteien erntet der deutsche Außenminister Zuspruch für seine europapolitischen Ideen. Lob kommt auch aus Kerneuropa.

Die Schaffung eines »Gravitationszentrums als Avantgarde für die Vollendung der politischen Integration« hatte Bundesaußenminister Joseph Fischer gefordert. Im Interview mit dem Spiegel erläuterte er: »Das deutsche Interesse ist im europäischen aufgehoben. Genau deshalb sind wir doch die großen Gewinner der europäischen Integration.« (Jungle World, 21/00) Dass die Aufhebung des deutschen Interesses in Europa im dreifachen Sinne zutrifft, zeigen die Reaktionen auf Fischers Auftritt.

Da war zum einen der alle Fraktionen umfassende Fischer-Jubel-Chor, der im Bundestag angestimmt wurde. Nicht nur Vertreter der Regierungskoalition, sondern auch Wolfgang Gehrcke (PDS), Guido Westerwelle (FDP) sowie Karl Lamers und Peter Hintze (beide CDU) zollten Fischer ihre Anerkennung. Das Patent auf die Idee vom »Gravitationszentrum« wollten die Unionspolitiker nicht dem grünen Minister überlassen: Schon 1994 hätte die CDU/CSU-Fraktion in einem von Lamers und dem damaligen Fraktionschef Wolfgang Schäuble vorgelegten Papier ähnliche Ziele formuliert. Gemeint ist das berühmte »Kerneuropa»-Konzept.

In den europäischen Hauptstädten hingegen stieß Fischers Entwurf auf grundsätzliche Reaktionen. Der deutsche Außenminister hatte es offen gelassen, welche Staaten von Beginn an dem Kern Europas angehören sollten - die sechs Gründungsmitglieder, die elf Euro-Staaten oder »noch eine andere Gruppe«. In den Staaten, deren Club-Mitgliedschaft von Fischer nicht garantiert wurde, reichten die Reaktionen von Skepsis bis Ablehnung.

So sagte der finnische Außenminister Erkki Tuomioja: »Es ist vollkommen klar, dass wir eine Aufteilung der EU in ungleiche Ländergruppen ablehnen«, obwohl »pragmatische Lösungen« wie beim Schengen-Abkommen nicht ausgeschlossen seien. Der Staatssekretär im griechischen Außenministerium Elissavet Papozi erklärte, man unterstütze jedes Verfahren, das zur Vertiefung der europäischen Einheit führe, lehne es aber ab, wenn »willkürliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten« eingeführt würden.

Kritik kam auch aus Portugal, Irland, Österreich und Großbritannien. In diesen Staaten befürchtet man einen Ausschluss aus dem anvisierten exklusiven Club und damit den Verlust der Gleichberechtigung.

Positiv fielen die Reaktionen in den Staaten aus, die sich zum auserwählten Kreis zählen dürfen. So begrüßte der italienische Außenminister Lamberto Dini die Fischer-Initiative, da diese seinen eigenen Vorstellungen entspreche. Eine Vertiefung der EU sei notwendig, damit alle EU-Staaten »mit einer einzigen Stimme als Protagonisten innerhalb des Weltszenariums sprechen«. Anerkennend meinte sein belgischer Amtskollege Louis Michel, Fischer habe die Probleme vorweggenommen, mit denen die EU in Zukunft konfrontiert sein werde.

Die größte Zustimmung erntete Fischer aber in Frankreich. Außenminister Hubert Védrine sprach vom »bislang ehrgeizigsten« Beitrag in der Debatte über die Zukunft der EU. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Fran ç ois Hollande, bestätigte die »essenzielle« Bedeutung des deutsch-französischen Motors für die »Schaffung eines föderalen Europas«. In einem offenen Brief in Libération feierte eine Gruppe von Grünen-Politikern einen »Sprung nach vorne« für Europa.

Und sogar aus den Reihen der gaullistischen RPR kam Beifall: In Le Monde schrieb der Abgeordnete Pierre Lellouche, dass er Fischer in den meisten Punkten zustimme, selbst wenn er damit einige seiner Parteifreunde schockiere. Dieser Vorstoß müsse vor dem Hintergrund einer durch die Erweiterung drohenden »verwässerten Union« betrachtet werden.

Begeistert reagierte die französische Presse: In Deutsch titelte Le Monde mit »Danke schön, Monsieur Fischer«. Le Figaro kommentierte: »Fischer dopt den Dialog zwischen Paris und Berlin.« Aus französischer Sicht sei zu begrüßen, so die konservative Zeitung, dass Berlin auf die durch die Erweiterung veränderte EU reagiere und zugleich die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen unterstreiche.

Das Konzept eines asymmetrischen Ausbaus der EU ist in Frankreich nicht neu. Bereits vor der Veröffentlichung des »Kerneuropa»-Papiers von Schäuble/Lamers hatte der damalige französische Premier Edouard Balladur ein »Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten« gefordert und darauf verwiesen, dass in einer erweiterten EU nicht alle Staaten gleich eingebunden sein könnten.

Was damals die französischen Vorstellungen von den deutschen unterschied, war zum einen der Ton: Balladur bediente sich diplomatischer Wendungen und vermied es, Zugehörigkeiten einzelner Staaten offen zu benennen. Schäuble und Lamers zogen klare Grenzen: Kerneuropa sollte sich auf Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten beschränken.

Zudem stand die damalige Diskussion vor dem Hintergrund der noch unklaren Ost-Erweiterung. In Paris befürchtete man, angesichts der von Deutschland vorangetriebenen Ausdehnung der EU gen Osten nicht nur geografisch, sondern auch politisch an den Rand gedrängt zu werden. Die französische Antwort auf die Erweiterung war die Vertiefung der EU.

Gleichzeitig enthielt das CDU/CSU-Papier eine an die in Fragen der Ost-Erweiterung zurückhaltenden Nachbarn adressierte Warnung: Wenn es der EU nicht gelinge, die osteuropäischen Staaten zu integrieren, drohe »Deutschland wieder in seine alte Mittellage« versetzt zu werden.

Nicht zuletzt diese deutschnationale Drohung hatte damals zu heftiger Kritik geführt. Fischer aber betont heute die Gemeinsamkeiten: Von der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl über die Schaffung des Binnenmarkts bis zum Euro habe in allen Stadien die Entwicklung »auf der deutsch-französischen Interessenallianz« beruht.

Vor allem Deutschland verspricht sich von der Ost-Erweiterung ökonomische Vorteile, und Berlin und Paris betreiben die Gründung einer von den USA unabhängigen militärischen Einsatztruppe. Auch möchte man verhindern, dass die zwölf Bewerberländer der EU beitreten und in den EU-Gremien das gleiche Stimmrecht haben wie die jetzigen Mitglieder. Schließlich kann es nicht angehen, dass mit einem Vetorecht ausgestattete Esten, Bulgaren oder Malteser wichtige Entscheidung blockieren können.

Noch am Wochenende wurden auf dem informellen deutsch-französischen Gipfel in Rambouillet Fischers »Ideen mit Wohlwollen« aufgenommen. Nur einer wollte bei so viel Harmonie nicht mitmachen: der französische Innenminister und Chef der linksnationalistischen MDC (Mouvement des Citoyens), Jean-Pierre Chevènement, erklärte in einem Fernseh-Interview, der Plan Fischers entspreche »einer Tendenz Deutschlands, das sich für Europa eine föderale Struktur vorstellt, die seinem Modell« entspreche. Im Grunde träume »Deutschland noch immer vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation«.