Rot-grüne Steuerreform

Fit für den Fiskus

Der Mittelstand freut sich: Rot-Grün senkt die Steuern. Im Bundesrat wollen die Grünen im Bündnis mit FDP und CDU weitere Entlastungen durchsetzen.

Steuergeschenke an Großverdiener und Unternehmen war man schon unter Helmut Kohls Regierung gewohnt. SPD und Grüne wurden 1998 nicht zuletzt deshalb gewählt, weil sie die von der Politik der konservativen Regierung erzeugte »soziale Schieflage« kritisierten.

Spätestens mit der in der vergangenen Woche vom Bundestag verabschiedeten Steuerreform aber schließt Rot-Grün nahtlos an das neoliberale Vorgängermodell an. »Denn die inzwischen griffig in 'Steuersenkungsgesetz' umbenannte Reform liest sich zunächst wie ein Steuersenkungsprogramm für jedermann«, kommentierte erfreut die Frankfurter Allgemeine.

Kommt das Paket im Juni auch noch durch den Bundesrat, wird der Spitzensteuersatz von 51 Prozent in diesem Jahr bis auf 45 Prozent im Jahr 2005 fallen, der Eingangssteuersatz von 22,9 auf 15 Prozent. Nicht schlecht, »dass eine rot-grüne Koalition den Einkommensteuertarif stärker senkt, als es der alten Regierung gelungen ist«, bilanzierte auch die FAZ.

Betrachtet man nur diese Prozentzahlen, scheinen die Geringverdiener sogar stärker entlastet zu werden als die Großverdiener - um acht statt nur um sechs Prozent. Doch acht Prozent von 10 000 Mark sind nur 800 Mark, sechs Prozent von 100 000 Mark dagegen 6 000 Mark jährliche Steuerersparnis: Wer viel verdient, spart auch mehr Steuern.

Erheblich sparen werden künftig auch die Unternehmen. Die Körperschaftssteuersätze auf ausgeschüttete und auf einbehaltene Gewinne (40 Prozent bzw. 30 Prozent) werden ab 2001 auf einen einheitlichen Satz von 25 Prozent reduziert. Zusammen mit weiteren Unternehmenssteuern ergibt sich eine steuerliche Belastung von circa 38 Prozent - allerdings nur nominal. Die Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen wie auch für Spitzenverdiener sind in Deutschland erheblich besser als in den meisten vergleichbaren Ländern, sodass die real gezahlten Steuern weit niedriger liegen als die nominalen Steuersätze vermuten lassen.

Wer bei der Steuerreform die Zeche zahlt, wird spätestens beim nächsten Sparpaket deutlich werden. Will Finanzminister Hans Eichel (SPD) sein Ziel, die staatliche Neuverschuldung weiter abzubauen, erreichen und gleichzeitig die Steuern weiter senken, dann müssen auch die Ausgaben reduziert werden: Die jetzigen Steuersenkungen schaffen die angeblich unausweichlichen Sachzwänge, die den Politikern in ein oder zwei Jahren keine andere Wahl mehr lassen, als eine erneute Kürzung sozialer Leistungen einzufordern.

Insbesondere die Grünen erweisen sich als Antreiber: Ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Sprecher Oswald Metzger und Christine Scheel forderten in der Bundestagsdebatte zusammen mit CDU- und FDP-Rednern weitere Senkungen des Spitzensteuersatzes. Die Reichen in diesem Land müssen einfach noch reicher werden - diese Botschaft vertreten die Grünen längst so vehement wie ihr liberales Pendant aus der Vorgänger-Regierung.

»Die neoliberale Wende der Grünen in Bund und Land ist irreversibel«, begründete denn auch am Wochenende der ehemalige nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Daniel Kreutz seinen Austritt aus der Partei. Es wäre aber zu kurz gegriffen, wollte man die Entwicklung der Grünen hin zu neoliberalen Positionen nur mit ihrem karrieristischen Führungspersonal erklären oder mit ihrem verzweifelten Festhalten an einer zum Selbstzweck gewordenen Regierungsbeteiligung.

Es hat sich nicht nur die grüne Partei geändert, sondern auch ein großer Teil ihrer sozialen Basis: Viele von denen, die vor über zwanzig Jahren in Grohnde, Brokdorf oder Gorleben auf Demonstrationen gegangen sind, haben sich inzwischen als Lehrer, Sozialarbeiter, Ärzte, Rechtsanwälte oder auch Unternehmensberater etabliert.

Dieser arrivierte Mittelstand fühlt sich bei den Grünen gut aufgehoben. Wehmütig erinnert man sich der Radikalität alter Zeiten, glaubt, dass eine ökologische Verkehrspolitik mit mehr Fahrradwegen anfängt, will keine allzu hohen Steuern bezahlen, und manchmal fragt man sich, ob es nicht doch ein bisschen zu viel Sozialstaat gibt.

Pech nur für die Grünen, dass es bei den jüngeren Wählern anders aussieht: Die biografische Bindung fehlt. Will man die heutigen Yuppies gewinnen, müsste man ihnen schon den besseren Westerwelle präsentieren. Die Grünen arbeiten zwar daran. Ob sich die Mühe aber in besseren Wahlergebnissen niederschlagen wird, ist zweifelhaft: Yuppies sind meist Marken-Fetischisten, und deshalb werden sie eher zum Original FDP greifen als zum muffigen grünen Ersatz.

Ob gelb, ob grün - freuen können sich die Mittelständler durch die Bank. Denn die rot-grüne Koalition hat nicht nur die Steuersätze gesenkt, darüber hinaus wurde den Kapitalgesellschaften noch ein besonderes Geschenk gemacht: Verkaufen sie ihre Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften, bleibt der Gewinn in Zukunft steuerfrei. Damit sollte die Auflösung der vielfachen Überkreuzbeteiligungen von Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen begünstigt werden. Die jeweiligen Gesellschaften sollten sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können und dadurch international konkurrenzfähiger werden.

Doch was zunächst als Subventionierung von Deutscher Bank, Allianz oder anderen leidgeprüften Großbanken und -konzernen durch den Steuerzahler gedacht war, könnte sich bald als Steuerspar-Knüller für die vielen mittelständischen Unternehmen erweisen: Ein Bauunternehmer braucht künftig nicht mehr einfach Reihenhäuser zu kaufen, die er später - mit zu versteuerndem - Gewinn verkauft. Er gründet vielmehr eine Holding und für jedes zu bauende Haus eine eigene GmbH. Anstelle des Hauses verkauft die Holding dann die GmbH, der das Haus gehört. Und schon ist der Gewinn steuerfrei.