Wahlkampf in Venezuela

Machtkampf unter Waffenbrüdern

Venezuelas Präsidenten Chávez erwächst bei den Wahlen am 28. Mai ein Rivale aus den eigenen Reihen.

Siebzig bis achtzig Prozent der Wähler hatte Hugo Chávez noch im Dezember hinter sich. Fünf Monate später ist seine Popularität im Schwinden begriffen. Greifbare Erfolge statt Versprechungen erwarten immer größere Teile der Bevölkerung vom Präsidenten - kein Wunder angesichts einer tief greifenden wirtschaftlichen Rezession mit Arbeitslosenquoten von rund 20 Prozent.

Gerade die arme Bevölkerungsmehrheit, rund 80 Prozent der 23 Millionen Venezolaner, hat unter der anhaltenden Krise zu leiden. Die Reallöhne sind geschrumpft, rund 700 000 Arbeitsplätze seit dem Amtsantritt des charismatischen Chávez verloren gegangen. Doch die armen Schichten hatten den 45jährigen Ende 1998 gewählt, damit er ihre Situation in dem von Korruption und einem ineffizienten Staatsapparat geprägten Land verbessert.

Davon ist Chávez weit entfernt. Er hat sich in seiner bisherigen 14monatigen Amtszeit vor allem darum gekümmert, die politischen Institutionen des Landes nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Die neue Verfassung, die dem Präsidenten mehr Macht zubilligt, das Einkammerparlament, dessen Abgeordnete bei den Mega-Wahlen am 28. Mai ebenso wie der Präsident und zahlreiche Bürgermeister gewählt werden sollen, oder die stärkere Einbeziehung der Armee in die Entscheidungsprozesse zeugen davon.

An diesem Punkt setzt die Kritik des einzigen ernst zu nehmenden Gegenkandidaten, Francisco Arias, an. Arias, der gemeinsam mit Chávez den misslungenen Putsch vom 4. Februar 1992 leitete und sich erst im Februar von Chávez' »Bewegung fünfte Republik« (MVR) verabschiedete, wirft seinem ehemaligen Waffenbruder vor, das Land immer tiefer in die Rezession zu treiben. »Der Präsident«, meinte Arias gegenüber der venezolanischen Tageszeitung El Nacional, »hat seine Unfähigkeit, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Venezuelas zu lösen, hinreichend demonstriert. Ihm mehr Zeit zu geben hieße, das Land in Agonie verfallen zu lassen.«

Der 49jährige Ex-Gouverneur des Teilstaates Zulia setzt im Gegensatz zu Chávez auf moderate Töne und auf ein grundverschiedenes Instrumentarium. Während Chávez eine Vorliebe für staatlichen Dirigismus hat und 70 000 Soldaten und 80 000 Staatsbedienstete aufs Land schickte, um Entwicklungsprojekte in Straßenbau, Gesundheitsversorgung, Erziehung und Landwirtschaft voranzubringen, hält Arias wenig davon, die Armee zur Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme abzustellen.

Chávez hingegen setzt auf das kubanische Beispiel. Er betraut, ähnlich wie Fidel Castro Ende der sechziger Jahre, die Armee mit Aufgaben, für die sie letztlich nicht qualifiziert ist. In Kuba führte diese Praxis 1970 zu einem herben wirtschaftlichen Rückschlag. Dort ist die Armee heute zwar ein Wirtschaftsfaktor, der einiges zum derzeitigen ökonomischen Aufschwung beiträgt, doch spricht wenig dafür, dass vergleichbare zivile Einrichtungen diese Erfolge nicht auch vorweisen könnten.

Eine Tatsache, die Chávez in seiner rückhaltlosen Bewunderung für Castro wohl übersehen hat. Bildungs- und Gesundheitssystem Kubas will er kopieren und die Wirtschaft seines Landes stärker kontrollieren. Viele dieser Ansätze sind bereits in der neuen Verfassung fixiert, die jedem Bürger Gesundheitsversorgung, Ausbildung, einen Arbeitsplatz und Rente garantiert. Hehre Vorsätze, nur fehlt es an Konzepten, wie sie realisiert werden können, und vor allem: wie sie finanziert werden sollen.

Über die Einnahmen aus dem Erd-öl-Export allein ist das kaum möglich, und die Unternehmer des Landes lieben den populistisch agierenden Chávez nicht. Investitionen sind zurückgestellt, und seit seinem Amtsantritt sind zwischen sieben und neun Milliarden US-Dollar ins Ausland transferiert worden.

An eine Belebung der Wirtschaft ist unter diesen Vorzeichen kaum zu denken, und Hilfe aus dem Ausland hat Chávez kaum zu erwarten. Den USA ist der auf Bibel und Bol'var pochende Populist seit jeher ein Dorn im Auge. Die Beziehungen zu Kolumbien sind getrübt, seit Chávez Klartext redete, die Paramilitärs als Teil der Staatsgewalt bezeichnete und sich als Mittler zwischen Guerilla und kolumbianischer Regierung anbot. Auch die Vertiefung der Kontakte zu China, Libyen und Kuba wurde im Westen mit Befremden aufgenommen.

Nicht nur die USA würden deshalb den Wahlsieg von Arias begrüßen. Der hat in seinem Wahlprogramm die Armutsbekämpfung und den Aufbau einer modernen Wirtschaft nebst einer funktionierenden Demokratie als zentrale Ziele ausgegeben - allerdings in Kooperation mit den Unternehmern. Zudem gilt Arias im Gegensatz zum alten politischen Establishment als integer.

Diesen Bonus spielt Arias im Wahlkampf geschickt aus. Er hat den engsten Vertrauten von Chávez, Luis Miquilena, ins Visier genommen. Miquilena, Chef des MVR, der wichtigsten Partei des Regierungslagers, und Ex-Präsident der Verfassunggebenden Versammlung, soll sich, so Arias, öffentliche Aufträge in Millionenhöhe zugeschanzt haben. Korruptionsvorwürfe gegen eine Regierung, die sich zum Ziel gesetzt hat, Klientelismus und Selbstbereicherung zu beseitigen, sind Sprengstoff für die Glaubwürdigkeit des Präsidenten. Dies umso mehr, da Miquilena tatsächlich den lukrativen Auftrag erhalten hat, eine Million Exemplare der neuen Verfassung zu drucken.

Dennoch braucht sich Chávez hinsichtlich seiner Wiederwahl den Umfragen zufolge keine ernsthaften Sorgen zu machen. Er führt mit 54 vor Arias mit 37 Prozent der Stimmen. Gleichwohl hat er in bester Tradition am Ostermontag die Beamtenlöhne um 20 und die Pensionen gleich um 44 Prozent erhöht.

Venezuelas »Messias der Armen« scheint nervös geworden zu sein. Dafür spricht auch der Wahlspot des Regierungsbündnisses, der zehn Tage vor den Wahlen mitten in die allabendliche Telenovela geschaltet wurde. Ein Vorgehen, das laut Verfassung der Regierung nur im »nationalen Interesse« erlaubt ist.