»Das Geschlecht des Kapitalismus«

Flexi & Zwang

Roswitha Scholz versucht eine Neubestimmung des Verhältnisses von Geschlecht und Arbeit im postmodernen Kapitalismus.

Wie jeder andere Diskurs der Postmoderne auch, lässt die Debatte um die Zukunft der Arbeit erstaunlich kritische, wenn auch folgenlose Einsichten zu: Arbeit, bzw. das, was wir in der Moderne darunter verstehen, sei eine soziale, hierarchische Konstruktion. So viel Geschichtsbewusstsein von der Arbeit entbehrt auch nicht des Blickes auf ihre Durchsetzung, an die heute nichts mehr zu erinnern scheint, obwohl sie doch »mit Zügen von Blut und Feuer in die Annalen der Menschheit eingeschrieben« ist, wie bereits Marx wusste.

Diese Geschichte kennt aber nicht nur die gotteszornige Gewalt protestantischer Arbeitsethik oder die schwarze Pädagogik Foucaultscher Arbeitshäuser. Sie kennt auch jede Menge Akteure und Reformbewegungen, die in ihrem Kampf um Rechte und Anerkennung stets auf die Respektabilität ihrer Tätigkeiten setzten. Nicht die Kritik von Form und Inhalt der Arbeit sondern ihre gerechte Verteilung und Entlohnung im Verbund mit staatsbürgerlicher Anerkennung stand fortan auf dem Programm gesellschaftlicher Reform- und Modernisierungsbewegungen. So gelesen ist die Geschichte der Arbeit auch die Geschichte des Kampfes um die jeweils bessere Arbeit: Schmarotzertum war der Vorwurf zuerst des Bürgers gegen den Adel, dann des Arbeiters gegen den Bürger.

Roswitha Scholz führt diesen Gedanken weiter und reiht das Gros der feministischen Theoriebildung in diese Verinnerlichungsgeschichte der Arbeit ein. Indem nur die Nicht-Bezahlung und die Geringschätzung der weiblichen Haus- und Reproduktionsarbeit, nicht aber die Arbeit an sich kritisiert wird, zolle der Feminismus der abstrakten Arbeit unweigerlich Tribut. Am Ende steht die vernichtende Kritik des feministischen Reformismus - egal ob er nun altbacken essenzialistisch das Weibliche verklärt oder diese Kategorie hip zu dekonstruieren vorgibt - und dessen Geschichts- und Begriffslosigkeit gegenüber dem Zusammenhang von Lohnarbeit und den nicht entlohnten, unsichtbar gemachten Haus- oder Reproduktionstätigkeiten.

Ausgehend von einer fundamentalen Wertkritik und dem Begriff des Nicht-Identischen von Adorno, reformuliert sie ausführlich ihr bereits 1991 entwickeltes Theorem der »Wert-Abspaltung« und konfrontiert es mit den globalen Verhältnissen im so genannten Postfordismus. Ohne diese Perspektive sei der blinde Fleck der nicht zufällig männlich dominierten Kritik an Wert- und Tauschgesellschaft - das widersprüchliche Moment der patriarchalen Abspaltung - nicht zu erfassen. Die »weibliche« Hausarbeit ist folglich kein dem Wert äußerliches Moment im Sinne eines Nebenwiderspruchs, sondern mit diesem dialektisch vermittelt. Als Illusion erweist sich somit die dem Reformfeminismus zu Grunde liegende Vorstellung, die Aufspaltung könne auch im bestehenden, warenproduzierenden System aufgehoben werden.

Gleichzeitig - und das ist die Herausforderung von Scholz' Theorie - dementiert sie dadurch jenes Denken, welches die Gesellschaft als eine primär durch den Wert konstituierte betrachtet. Das paradoxe Verhältnis von Wert und Abspaltung verkörpert somit nichts anderes als den Wahnwitz der kapitalistischen Vergesellschaftung selbst und ist deshalb für eine emanzipative Gesellschaftkritik so interessant.

Scholz beschreibt das Verhältnis zwischen abstrakter Arbeit und Reproduktionstätigkeit als ein dynamisches. Das Eindringen von Frauen in die abstrakte Arbeit - nicht zuletzt auch Resultat einer zähen gesellschaftlichen Auseinandersetzung - steht also keinesfalls im Widerspruch zur Wertabspaltung, wie Thesen vom Ende des Patriarchats nahelegen. Das plakative Bild der beruflich erfolgreichen Ex-Hausfrau, an deren Stelle die schlecht bezahlte Migrantin tritt, verdeutlicht vielmehr drastisch die Verfestigung der patriarchalen Wertabspaltung. Die Ambivalenz dieses Fortschritts macht aber auch vor den berufstätigen weißen Frauen nicht halt. Denn längst sind sie »nun nicht mehr bloß formal 'doppelt vergesellschaftet' - als Hausfrau und Berufstätige, sondern sie sind es heute auch dem offiziellen Leitbild nach und in ihrem eigenen Selbstverständnis«. Wo postmoderne Theorien alle möglichen Freiheiten erblicken, spricht Scholz von »Flexi-Zwangsidentitäten« und von einer »Edel-Individualisierung« eines Teils der Frauen in den westlichen Metropolen. Der aufmerksame Blick von Scholz auf die globalen Bedingungen und Veränderungen von Arbeit ermöglicht es ihr somit, von einer »Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats« zu sprechen.

Mit Vehemenz richtet sie sich gegen jenes Denken, das in der neuen »Unübersichtlichkeit« allerlei Chancen und Ambivalenzen zu entdecken vermag, allerdings nicht die Totalisierung der waren- und wertförmigen Produktionweise hin zu einer die Produktion überschreitenden allgemeinen gesellschaftlichen Vehrkehrsform, die längst (wieder) die Produktivkraft des »ganzen Menschen« an die Kandare zu nehmen trachtet. Gerade aber angesichts der Tatsache, dass die »neue« Dienstleistungsökonomie die abgespaltenen Bereiche des Emotionalen und (Hetero-) Sexuellen als Produktionfaktoren zunehmend verlangt, wird die Behauptung einer strukturellen Unaufhebbarkeit der Wert-Abspaltung im Kapitalismus neu zu diskutieren sein. Vieles deutet darauf hin, dass es in diesem Zusammenhang zu »Modifizierungen und Verschiebungen« der »Wert-Abspaltung« kommen wird und letztere damit konstitutiv bleibt.

In einer Zeit, in der zunehmend soziale Arbeiten privatisiert und - auf Grund unaufgehobener Geschlechterverhältnisse - wieder den Frauen zugeschoben werden, und, vor allem global betrachtet, eine weitere »Feminisierung von Armut« konstatiert werden muss, wirkt der Einspruch von Scholz gegen die Konzepte der Anerkennung und Bezahlung »weiblicher Arbeit« für viele sicherlich provozierend. Tatsächlich will sie zeigen, dass die diversen Konzepte einer Berücksichtigung »weiblicher« Arbeit als Arbeit genau jene Bedingungen affirmieren, welche die Abspaltung des Weiblichen überhaupt erst möglich machen: Der absurde Selbstzweck der totalitären Wertform Kapitalakkumulation samt ihrer Fetischformen Arbeit, Geld und Staat.

Roswitha Scholz: Das Geschlecht des Kapitalismus. Horlemann, Bad Honnef 2000, 190 S., DM 24