Fahndung gegen Rote Brigaden

Einer für alle

Die Verhaftung von Alessandro Geri ermöglichte der italienischen Polizei einen Rundumschlag gegen unliebsame Milieus.

Was verbirgt sich hinter der Verhaftung von Alessandro Geri, dem angeblichen Attentäter von Massimo D'Antona? In Italien machen die wildesten Spekulationen die Runde. Denn Geri scheint vor allem ein Bauernopfer in dem Krieg der Intrigen zwischen den Carabinieri und der Polizei sowie dem Innenministerium zu sein.

Geri wurde verdächtigt, an dem Anschlag auf Massimo D'Antona, einem Berater des Arbeitsministers, vor einem Jahr beteiligt gewesen zu sein. Es hieß, er habe nach dem Mord bei römischen Tageszeitungen angerufen, um sich im Auftrag der Roten Brigaden zu dem Attentat zu bekennen.

Durch eine undichte Stelle in den italienischen Sicherheitsapparaten waren Informationen über den Stand der Ermittlungen an die Presse durchgesickert. Der Polizei blieb nichts anderes übrig, als Mitte Mai Geri in einer überstürzten Aktion festzunehmen. Nun wird spekuliert, ob die vertraulichen Informationen von den Carabinieri kamen, die der politischen Polizei den Ermittlungserfolg nicht gönnen wollten. Möglich ist auch, dass es sich um eine Intrige gegen Innenminister Enzo Bianco handelt. Schließlich hatte Bianco angekündigt, die gerade erst erhaltene Autonomie und territoriale Hoheit der Carabinieri erneut einzuschränken.

Welche Interessen auch immer hinter der Enthüllung standen, die übereilte Verhaftung Geris endete für die Polizei als Flop. Nach drei Wochen wurde der 27jährige Informatiker Anfang Juni bereits wieder freigelassen. Die gewagte, fast willkürlich konstruierte Beweiskette der Polizei erwies sich als nicht haltbar. Denn die Indizien, die auf Alessandro Geri als mutmaßlichen Anrufer hinwiesen, waren mehr als fadenscheinig. Die Polizei erhielt bei ihren Ermittlungen freundliche Unterstützung von der italienischen Telekom, die alle Telefonkarten identifiziert und jedes damit geführte Gespräch registriert.

So konnte die vermeintlich von den Roten Brigaden benutzte Telefonkarte zurückverfolgt werden: Eine Spur führte zu einem Elfjährigen, der, unmittelbar vor dem Anruf der BR, aus derselben Telefonzelle seine Eltern angerufen hatte. Das Kind behauptete, Geri auf den Polizeifotos als den Mann wiedererkannt zu haben, der damals vor der Telefonzelle ungeduldig gewartet hatte.

In Geri schienen die Staatsschützer einen idealen Verdächtigen gefunden zu haben. Er ist der Polizei seit Anfang der neunziger Jahre bekannt und wird der automomen Szene in Rom zugerechnet. Die Polizei hat sogar ein Foto, das ihn bei einer Antikriegs-Demonstration zeigt.

Bei der Festnahme konnte die Polizei in Geris Wohnung allerdings außer einem Che-Poster und einer Dokumentation über Prospero Gallinari, einen Rotbrigadisten der ersten Stunde, nichts finden, was auf eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung hindeutet.

Verdächtig erschien den Ermittlern dagegen, dass Alessandro Geri bei einer Computer-Kooperative tätig ist, die auch die Webseite der Metallarbeitergewerkschaft Fiom gestaltet hat. Denn in der Kommandoerklärung der Roten Brigaden zu dem D'Antona-Attentat war man auf Wendungen gestoßen, die eine intime Kenntnis innergewerkschaftlicher Diskussionen zu verraten schienen. Demnach müßten die Roten Brigaden also Maulwürfe in den Gewerkschaften haben.

Bei solchen Mutmaßungen stört nur wenig, dass sich jeder des gewerkschaftlichen Jargons bedienen kann, der sich auch nur halbwegs mit dem Operaismus und den Verhältnissen der Arbeiterklasse auskennt - einschließlich der Polizei und der Carabinieri, die nach Angaben der Tageszeitung il manifesto noch immer 70 Millionen Personalakten über italienische Bürger, Parteien und Bewegungen verwahren.

Wenn mutwillig subversive Verbindungen konstruiert werden, geraten eben auch Gewerkschaften in das Schussfeld der BR-Ermittler. Paranoide Verdächtigungen sind gefragt, wenn es darum geht, störende gesellschaftliche Räume einzuschränken.

Dass in diesem Fall auf die Fiom der Schatten eines Verdachts fällt, ist vielleicht kein Zufall: Diese traditionell kämpferische Gewerkschaft konnte gerade, nach langer Apathie, Tausende von Metallarbeitern gegen das Referendum mobilisieren, durch das Entlassungen erleichtert werden sollten. Die offiziellen Gewerkschaftsvertreter empörten sich und forderten gründliche Ermittlungen gegen die Extremisten in den eigenen Reihen.

Ein besonderer Glücksfall für die Polizei war auch, dass sich der Wehrpflichtverweigerer und Pazifist Alessandro Geri in dem Centro Sociale Zona Rischio im römischen Bezirk Casalbertone engagiert hat. Dort beschäftigt man sich mit Antirassismus, Umweltzerstörung und bekämpft den nuklearen Brennstoffkreislauf.

Die Ermittler trauen den Brigadisten jede Tarnung zu. Zudem sind Staatshüter auf die Centri Sociali nicht gut zu sprechen: Sie sind in Italien die einzigen kontinuierlichen Einrichtungen, die etwas aus dem emanzipatorischen Diskurs der siebziger Jahre herübergerettet haben. Über sie organisiert sich die praktische Solidarität mit den Immigranten in Italien. Auch die rebellischen »Kids von Seattle«, die durch die Medienlandschaft geistern, werden in den Centri vermutet.

Die Verhaftung Geris war eine willkommene Gelegenheit, unliebsame Gewerkschaften und Centri sociali einzuschüchtern - ganz abgesehen von allen Intrigen im Sicherheitsapparat. Mit den Roten Brigaden hat das alles jedoch nichts zu tun.