Die Musik der Neuen Deutschen Härte

Gekauft wird, was provoziert

Bands wie Rammstein oder die Böhsen Onkelz sind keine Nazis, man kann sie nur für welche halten. Und das ist das Muster ihres Erfolgs.

In »Rudeboy«, einem Film der Punkgruppe The Clash aus den späten Siebzigern, der rund um ihre Englandtournee die Geschichte eines Clashfans erzählt - eben jenes Rudeboys, eines ständig besoffenen Taugenichts - gibt es eine Szene, wo Joe Strummer, der Sänger der Band, backstage nach einem Auftritt sein berühmtes »Brigate Rosse/RAF»-T-Shirt wäscht. Der Rudeboy steht daneben und fragt Strummer, was denn diese Zeichen eigentlich zu bedeuten hätten und Strummer antwortet, das eine seien Terroristen aus Italien und das andere sei die Rote Armee Fraktion. Scheiß-Kommunisten?, fragt der Rudeboy. Kann nicht sein, sagt Strummer, wenn die auch Kommunisten erschießen. Warum ist das T-Shirt dann rot?, fragt der Rudeboy. Keine Ahnung, sagt Strummer.

Nun waren The Clash tatsächlich eine linke Punkband, nicht nur auf der Ebene ihrer Aussagen, sie öffneten den weißen Punksound auch für schwarze Musik wie Reggae. Und der ganze Film handelt nicht zuletzt davon, ob Schwarze bei dem Clash-Song »White Riot« mitsingen sollen oder nicht, etwas, was dem Rudeboy nicht einleuchtet, was die Band jedoch will. Aber Punk als Genre war nie so eindeutig und ausdrücklich links, wie er gehandelt wurde. Auf der Ebene der persönlichen Biografien war Punk tatsächlich stärker mit linker Politik verbandelt als die meisten anderen Popmusiken. Trotzdem funktionierte Punk vor allem über die Provokationen und Tabubrüche, und es gab nicht wenige Punks, die mit Hakenkreuz-T-Shirts durch London liefen. Selbst dies kann man im Nachhinein noch prima unter links einsortieren, sei es über Hilfskonstruktionen wie die Behauptung, dies oder jenes sei subversiv. Man muss es nur wollen. Die Rechnung Punk pauschal der Linken zuzuschlagen, geht aber nicht auf.

Mit Pop und Politik heißt es vorsichtig zu sein. Und Punk ist nun auch schon mehr als zwanzig Jahre her und das Popuniversum hat sich seitdem rund ein halbes Dutzend mal um sich selbst gedreht und die Mehrdeutigkeiten noch einmal vervielfacht. Bands wie Rammstein, die Böhsen Onkelz oder Sänger wie Joachim Witt sind keine Nazis, man kann sie nur für welche halten. Und genau das ist das Muster, das ihnen zu ihrem Erfolg verhilft.

Etwa die Böhsen Onkelz. »Ein böses Märchen« heißt ihre neue Platte, die, kaum erschienen, Ende April an die Spitze der deutschen Verkaufscharts schnellte. Obwohl - oder gerade weil - die Brachialrocker von weiten Teilen der Musikpresse wegen ihrer rechtsradikalen Flegeljahre in den frühen Achtzigern geschnitten werden und viele Plattengeschäfte, darunter auch die Ladenkette Wom, sie bis heute nicht ins Sortiment nehmen, wollen die Onkelz einfach nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden - im Gegenteil. Dass sie Mitte der neunziger Jahre der rechten Szene öffentlich abschwören mussten und in einem ihrer Songs manche ihrer Mitläufer beiläufig als »braune Scheiße« bezeichneten, hat ihrer Karriere nichts anhaben können. Im Gegenteil: Der Streit um ihre Vergangenheit machte die Frankfurter erst richtig bekannt und ließ ihre Gefolgschaft mit den Jahren stetig anwachsen. Dass sie ihren Namen beibehielten, ist Symbol genug für Kontinuität: böhse bleibt böse. Mit Märtyrermiene genießen sie nun die Sympathie all jener zu kurz Gekommenen, die sich wie ihre Idole als letzte Aufrechte von einer falschen, fragwürdige Konzessionen einfordernden Welt umstellt wähnen. Ein Muster, dem sich auch eine Band wie Weissglut bedient. Sie trennten sich von ihrem Sänger, der durch antisemitische Äußerungen aufgefallen war - weil man sich nicht mehr verstehe -, eine politische Distanzierung gab es nicht. Der Bruder des Sängers blieb in der Band, die nächste Platte wurde herausgebracht. Wer jetzt Alarm ruft, unterstützt nur die Strategie des gezielten Missverständnisses.

Rechtsdrehende Pop-Phänomene bringen Musikjournalisten in Verlegenheit: Soll man über diese Bands berichten und ihnen damit zu noch mehr Aufmerksamkeit verhelfen, oder peinlich betreten über sie hinwegsehen? Das geht schlecht: Wohl in keinem anderen Land dürfte einer ehemaligen Skin-Band wie den Böhsen Onkelz, die sich in ihrer Anfangszeit offen rassistisch zeigten, solch ein Erfolg vergönnt sein. Bleibt als dritte Option: Alarm schlagen und den Durchmarsch der Onkelz als Fanal sehen. Damit kann man allerdings leicht übers Ziel hinausschießen. So warnte der Berliner Tagesspiegel kürzlich allen Ernstes, die neue Platte der Onkelz könnte manchem Fan Anlass geben, Asylbewerberheime anzuzünden. Doch diese Vorstellung ist so nahe liegend wie die Schuldzuweisung an den Schockrocker Marilyn Manson, er sei für das Schulmassaker von Littleton verantwortlich.

Die Böhsen Onkelz bieten heute nicht mehr genug Angriffsfläche: Ihr aggressives Selbstmitleid ist diffus und lässt sich nach Belieben deuten, ihre Musik ist kommerzieller Punkrock von der gleichen glatten Sorte, wie ihn auch die Toten Hosen beherrschen - und es ist längst nicht erwiesen, dass den Onkelz der gleiche kommerzielle Erfolg beschieden wäre, riefen sie immer noch »Türken raus«. Erst mit dem Verzicht auf rassistische Parolen kam schließlich die heutige Popularität. Auch zeigt das Beispiel Weissglut, wie sensibel die Medienöffentlichkeit noch immer auf tatsächlich rechte Sprüche reagiert. Dass sich Bands wie Weissglut und die Onkelz gezwungen sahen, sich von rechter Ideologie zu distanzieren, degradiert sie in den Augen wirklicher Neonazis zu Opportunisten. Echte Nazis hören andere Musik, die mit gutem Grund indiziert ist.

So weit, so gut. Andererseits ist eine bislang rechts angesiedelte Ästhetik in Mode, was unter manchen Beobachtern schon für Beunruhigung sorgt. Ihren Ausgang nahm die Irritation mit dem Erfolg von Rammstein, die, nebst Feuerzauber und Muskelspiel, das rollende »R« zu ihrem Markenzeichen erkoren, in dem für deutsche Ohren stets eine Spur von Reichsparteitag nachhallt. Im Fahrwasser der Berliner Band wählen nun immer mehr Nachzügler Namen wie Richthofen oder setzen ihn in Frakturlettern, geben sich männerbündlerisch und martialisch, taufen ihre Platten nibelungentreu »Bayreuth« (Joachim Witt), schminken sich wie in Fritz-Lang-Filmen oder verkleiden sich als Kostüm-Nazis (Megaherz), machen auf Götterdämmerung oder Mittelalter-Mummenschanz (Subway to Sally, In Extremo).

Aber gerade bei Rammstein lässt sich prächtig beobachten, wie dies eben kein politisches Statement ist, sondern eine Strategie der gezielten ästhetischen Provokation. Einige Wochen nach der Veröffentlichung von »Stripped« - ihrer Depeche-Mode-Coverversion, die Bilder aus Leni Riefenstahls Olympiafilm im Videoclip benutzt - stellten sie sich dem New Musical Express zu einem Interview. Riefenstahls Arbeit sei ein Beispiel für gute Kunst, sagten sie, und daher auch nicht politisch codiert. Der NME überschrieb den Artikel mit »Nazis? Heil No!« und traf genau den Punkt. Rammstein sind keine Nazis, man hält sie nur für welche. Rammstein transportieren kein faschistisches Gedankengut, in ihren Songs lassen sich keine entsprechenden Textstellen finden. Dieses Missverständnis ist allerdings Teil des Konzepts, das die große Geste eines vermeintlichen Tabubruchs vorsieht.

Man kann es geschmacklos finden, wenn Joachim Witt oder Rammstein mit schweren Zeichen spielen - dass hier der unbelehrbare Deutsche sein hässliches Haupt hebt, kann man nicht behaupten. Eher ist es die Rückkehr des Verdrängten als Travestie, vielleicht auch ein Reflex der Banalisierung des Bösen durch Hollywood. Ein Schuss ironischer Selbstethnisierung ist auch stets mit im Spiel: Schaut her, wir sind die, vor denen ihr uns immer gewarnt habt. Der Erfolg von Marilyn Manson in den USA ist nach dem gleichen Muster gestrickt.

Die Kritik am ästhetischen Ärgernis allerdings setzt naiv Form und Inhalt gleich - schließt von Uniformjacken auf die Geisteshaltung - und wirkt in postmodernen Zeiten seltsam antiquiert. Bedenklich ist schließlich weniger, dass manche Bands mit belasteter Symbolik hantieren - bedenkenswert ist allenfalls, dass sie damit mehr Platten verkaufen. Die Ambivalenz, die Rammstein oder Joachim Witt in Kauf nehmen, hätte noch vor zehn Jahren den sicheren kommerziellen Tod bedeutet - heute ist sie das Ticket zum Kassenerfolg.

Viel interessanter als das ständige: »Wie haben sie es denn nun gemeint« ist daher die Frage, wie das Teutonen-Brimborium denn eigentlich verstanden wird. Ist das wirklich der Soundtrack einer Jugend, deren Generationserlebnis die Verhinderung eines Asylbewerberheims ist? Und hier kann man feststellen: Ein Rammstein-Fan muss es nicht als Widerspruch empfinden, Sabrina-Setlur-Poster aus der Bravo zu sammeln. Auch der Frankfurter Rap-Pate Moses P. soll schließlich schon im Onkelz-T-Shirt gesichtet worden sein: Gelobt sei, was provoziert. So funktioniert die mediale Oberfläche. Und das ist etwas, das schon lange keiner »linken« Band in Deutschland mehr gelungen ist. Wenn Campino von den Toten Hosen durch die Talkshows tingelt und als Sozialarbeiter der Nation vor den Böhsen Onkelz warnt, ist es nicht schwer zu erraten, wem die Rebellenpose eher abgenommen wird. So können ausgerechnet die Böhsen Onkelz noch einigermaßen glaubhaft so tun, als stünden sie außerhalb des großen Big-Brother-Verona-Feldbusch-Stefan-Raab-Spaßuniversums, das nur noch Comedy-Claqueure kennt.