Altersversorgung der Neuen Mitte

Renten killen

Mehr Arbeit, weniger Geld: Rot-Grün hat in der ungerechten Verteilung der Alterssicherung erreicht, wovon Blüm nur träumte.

Rentenpolitik ist spannend. Wo sonst wird das gesamte Repertoire an sozialpolitischen Leitbegriffen so kunstvoll vorgeführt? Soziale Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit, eingeschränkt durch Leistungsgerechtigkeit, geschmückt mit ein wenig Bedarfsgerechtigkeit, umgarnt von Geschlechtergerechtigkeit und - nicht zu vergessen - umhüllt von Generationengerechtigkeit.

Mit Wohlgefühl ins Alter starten - wie Willi S., der ausgewiesene Vorzeigerentner der Bundesregierung. Chefbuchhalter war er, und seine Frau Anneliese hatte, nachdem die Kinder aus dem längst abgezahlten Einfamilienhaus ausgezogen waren, wieder als Verkäuferin gearbeitet. Finanziell geht es ihnen gut. Dank der Rente.

Willi S. hat nicht schlecht verdient und somit auch eine zufriedenstellende Rente. Leistungsgerecht geht es zu, da RentnerInnen nur so viel im Ruhestand essen sollen, wie sie im Erwerbsleben erarbeitet haben. Dass dabei die strukturellen, vor allem geschlechtsbedingten Lohnungleichheiten vom Arbeitsmarkt in die Sozialversicherung übertragen werden, ist Sinn und Zweck des dahinter stehenden Äquivalenzprinzips.

Ein Erwerbsleben lang zahlte Willi S. Beiträge, die inzwischen bei 9,65 Prozent des Bruttolohns liegen. Davon wurden die Renten der damals Alten bezahlt. Willis Rente wird von Personen, die jetzt arbeiten, sowie deren ArbeitgeberInnen über Beiträge und vom Staat über Zuschüsse finanziert. Intergenerationelle Gerechtigkeit mit Hilfe eines Umlageverfahrens hieß die Zauberformel. Die paritätische Finanzierung von Arbeitenden und Unternehmen zählte zu den grundlegenden Merkmalen der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV).

Damit soll jetzt Schluss sein. Die Berliner Regierung will schließlich »Deutschland erneuern« und den Renten einen »Weg in eine sichere Zukunft« bahnen. Unsicherheitsfaktoren sehen RentenpolitikerInnen vor allem im demografischen Wandel und dem dadurch bedingten Ansteigen der Beitragssätze zur GRV. Immer mehr alte stehen immer weniger jungen Menschen gegenüber.

Dass das eigentliche Problem darin liegt, dass die soziale Sicherung auf dem Prinzip der Lohnarbeit basiert und somit an der Arbeitsmarktentwicklung hängt, wird geflissentlich ignoriert. Während 1950 der GRV-Beitragssatz noch zehn Prozent des Brutto-Einkommens betrug, liegt er heute bei 19,3 und würde - ohne Reform und ein Nettostandardrentenniveau von 70 Prozent - im Jahre 2030 auf 26 Prozent steigen. Unternehmen und Arbeitende hätten dann jeweils 13 Prozent zu zahlen.

Ein »Horrorszenario« für die Bundesregierung. Sie will das Rentensystem modernisieren. Zuerst springt dabei die paritätische Finanzierung über die Klinge. Um ein Minimum an Altersgeld zu wahren, ohne die Akzeptanz der Beitragszahlenden zu riskieren, sollen Obergrenzen für die Beitragssätze festgeschrieben werden: bis 2020 auf 20 bzw.bis 2030 auf 22 Prozent. Ab 2001 müssen sich die beitragspflichtigen ArbeitnehmerInnen zusätzlich privat versichern, wobei zunächst 0,5 Prozent, im Jahre 2008 dann vier Prozent des Bruttoeinkommens anfallen. Im Jahre 2030 wird die paritätische Finanzierung dann endgültig der Vergangenheit angehören, da ArbeitgeberInnen Beiträge in Höhe von elf, ArbeitnehmerInnen dagegen elf plus vier Prozent aufbringen müssen.

Sanftmütig warf Horst Schmitthenner, Mitglied des IG-Metall-Vorstandes, Arbeitsminister Walter Riester vor, das Mischsystem aus gesetzlicher und privater Rente belaste einseitig die Arbeitenden.

Tatsächlich hat die rot-grüne Regierung erreicht, was der Unions-Arbeitsminister Norbert Blüm immer wollte: die Einführung einer kapitalgedeckten Alterssicherung, die zudem auf die umlagefinanzierte Rente angerechnet wird. Außerdem wird das Rentenniveau real gesenkt. Heute beträgt die Nettostandardrente rund 2 020 Mark, was 70 Prozent des Durchschnittsverdienstes entspricht. Bedingt durch den »Ausgleichsfaktor« sinkt dieser Anteil weit unter das von der konservativ-liberalen Regierung angepeilte Niveau: statt 64 sollen es im Jahr 2050 nur noch 54 Prozent sein. Nach Berechnungen von Johannes Steffen von der Arbeiterkammer Bremen würde »der Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren zu heutigen Werten nur noch eine monatliche Nettorente von rund 1 560 DM« erhalten. Würden die vier Prozent Privatversicherung als Abzug berücksichtigt, befände sich die Rente mit etwa 1 440 Mark auf Sozialhilfeniveau.

Der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) geht die »Privatisierung« dennoch nicht weit genug. Aber Grund zur Freude bleibt trotzdem: Von einer bedarfsorientierten Grundrente hat sich Rot-Grün endgültig losgesagt. Denn »Renten ohne vorherige Beitragsleistungen bestrafen Arbeit beziehungsweise belohnen Nicht-Arbeit«, wie der Arbeitgeberverband erklärt. Belohnt werden weiterhin erwerbsarbeitsbezogene Normalbiografien.

Auch Anbieter privater Versicherungen können sich freuen: Nach Angaben der Zeit schätzen Experten diesen Markt auf bis zu drei Billionen Mark. Wer sich das alles nicht leisten kann, wird auf die Sozialhilfe verwiesen. Die Rente als »Lohn für Lebensleistung« bleibt, was sie war: eine Absicherung für einen immer kleiner werdenden Teil der Erwerbstätigen. Wer ist heute noch 45 Jahre lang durchgängig erwerbstätig? Ist die Diskussion über das erodierende Normalarbeitsverhältnis nur fiktiv? Wer zahlt die Renten der künftig zunehmenden (zwangsweise) Beschäftigten im angepeilten Niedriglohnsektor?

Die Neue Mitte dereguliert nicht einfach. Sie folgt konsequent dem Leitbild des »aktivierenden Staates«. Mit dem Zwang zur privaten Altersvorsorge vervollständigt Rot-Grün arbeitsmarktpolitische Vorstellungen, in deren Zentrum die »Beschäftigungsfähigkeit« steht: employability bis ins hohe Alter. Wo sonst sollen 45 Jahre Erwerbstätigkeit herkommen?