»Daimler ist mitschuldig«

Interview mit dem Berliner Rechtsanwalt wolfgang kaleck über das Vorgehen der argentinischen Militärjunta gegen Gewerkschafter bei Mercedes-Benz

Haben Sie während Ihrer Argentinien-Reise weiteres Belastungsmaterial gegen Mercedes-Benz gefunden?

Seit vergangenem Jahr hat sich in González Catán einiges getan. Bereits am 28. August 1999 fand eine Demonstration vor dem geheimen Haftzentrum Campo de Mayo statt, wo die meisten der verschwunden Gewerkschafter gefoltert und umgebracht wurden. Die Resonanz ist unter den Beschäftigten wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation insgesamt eher gering. Allerdings finden sich mehr und mehr ehemalige Betriebsräte und Gewerkschafter zusammen, um dafür zu kämpfen, dass den alten Kollegen Gerechtigkeit widerfährt.

Wie verhalten sich denn die Gewerkschaften selbst?

Der drittgrößte Gewerkschaftsverband Central de Trabajadores Argentinos (CTA) unterstützt offiziell das Anliegen und will mit uns bei der weiteren Bearbeitung der Fälle kooperieren. Diese Zusammenarbeit ist wertvoll. Nicht nur, weil es die Bedeutung unserer Arbeit für die argentinischen Gewerkschaften von heute hervorhebt. Sondern auch, weil die CTA selbst 1998 bei Ermittlungsrichter Baltazar Garz-n in Spanien eine Klage wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit der argentinischen Militärdiktatur überreicht hat. Dort werden die Beteiligung sowie die Finanzierungen der Militärdiktatur durch die Großunternehmen unter Beweis gestellt.

Die Umstände der Verhaftungen von 1977 legen nahe, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Werksleitung von Mercedes und der Polizei gegeben hat. Damit wäre der Konzern direkt mitverantwortlich für die Ermordungen. Gibt es weitere Details, die diese Vermutung bestätigen?

Hier muss man zunächst den politischen Kontext sehen: Nach unseren Erkenntnissen steht fest, dass die Militärs nicht aus eigenem Antrieb und nicht isoliert am 24. März 1976 die Macht ergriffen und in der Folge über 30 000 Menschen umgebracht haben. Vielmehr sieht es so aus, dass sie sich mit wichtigen gesellschaftlichen und ökonomischen Gruppen zusammengeschlossen haben, um ein polit-ökonomisches Projekt durchzusetzen. Hier sind in erster Linie die Großunternehmen und teilweise multinationale Konzerne zu nennen, die ein klares Interesse daran hatten, dass der kämpferische Teil der Arbeiterbewegung kaltgestellt wurde. Schließlich hat sich die Arbeiterbewegung von 1973 bis 1976 - in einer Periode zwischen zwei Militärdiktaturen - sehr stark engagiert. Von der Repression war vor allem der so genannte Gürtel der Subversion im Norden der Hauptstadt betroffen. Dort, wo die großen Automobilkonzerne wie Ford, Peugot und Mercedes ihre Niederlassungen haben.

Und wer litt unter den Repressalien?

Gewerkschafter aller genannten Unternehmen. Die Umstände legen nahe, dass die Militärs nicht wahllos Arbeiter aus den Fabriken entführt und ermordet haben. Vielmehr haben die Unternehmer die Namen und Adressen der Gewerkschafter genannt. Im Fall Ford wurde das bereits nachgewiesen. Hier hat auf dem Betriebsgelände ein eigenes Folterzentrum bestanden. Bei Mercedes ist man wohl ein wenig diskreter vorgegangen. Trotzdem konnte ein konkreter Fall ermittelt werden, in dem der damalige Werksleiter Juan Tasselkraut dem Militär die Adresse eines ihm bis dahin unbekannten Gewerkschafters übergeben hat. Dieser wurde anschließend, am 13. August 1977, verhaftet. Seitdem gilt er als verschwunden.

Das Vorgehen gegen die Gewerkschaftsaktivisten weist ein Muster auf, das ohne weitere Beweise noch nicht dazu geeignet ist, eine strafrechtliche Verantwortung für einzelne Manager von Mercedes-Benz zu begründen. Die Konzernleitung ist jedoch politisch und moralisch dafür verantwortlich, was mit den Gewerkschaftern passiert ist.

Sie konnten aber bereits weitere Indizien für eine enge Verflechtung zwischen Mercedes und den Militärs herausfinden ...

Ja, nach dem Putsch wurde ein neuer Werkschutz eingestellt, der komplett aus Polizisten aus der Provinz Buenos Aires bestand, die teilweise in Repressionsfälle verwickelt waren. So der Subcomisario Rubén Luis Lavallén. Er war Chef des Werkschutzes und stellvertretender Chef einer Untersuchungseinheit der Polizei in San Justo. Lavallén wurde 1984 als einer der ersten Polizisten und Militärs entdeckt, die während der Diktaturzeit ein Kind zwangsweise adoptiert hatte.

Zum Hintergrund: In ihrem Plan, linke und demokratische Ideen auszurotten, konzentrierten sich die Militärs auch auf die zweite und dritte Generation der Oppositionellen. Schwangere gefangene Mütter mussten ihre Kinder in besonders isolierten Teilen der Folterzentren zur Welt bringen. Anschließend wurden die Eltern umgebracht und die Kinder den Militärs zugeführt. Lavallén wurde deshalb 1984 vor ein Gericht gestellt und zunächst zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Wegen eines Amnestiegesetzes blieb er aber unbestraft.

Wissen Sie, wie lange Lavallén Chef des Mercedes-Werkschutzes war?

Nicht genau, aber wir fordern Mercedes-Benz auf, alle diesbezüglichen Personalakten auf den Tisch zu legen. Wir wissen, dass Lavallén bis 1984 beim Werkschutz gearbeitet hat und anschließend aufhören musste, weil der Prozess gegen ihn große Aufmerksamkeit erregte. Einzelne aus seiner Gruppe haben jedoch noch bis Ende der achtziger Jahre dort gearbeitet. Strafrechtlich verantwortlich ist in diesem Fall außer Lavallén wohl niemand zu machen.

Die Anzeige im Fall der verschwundenen Gewerkschafter nennt neben der Junta und Tasselkraut auch unbekannte Personen aus der Konzernleitung in Stuttgart. Wie hat der Konzern auf diese Vorwürfe reagiert?

Nachdem ich die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Berlin eingereicht habe, wurde sie zwischen den Staatsanwaltschaften in Berlin und Stuttgart hin- und hergeschickt. Stuttgart hat sich schließlich verantwortlich erklärt - und dann die Ermittlungen eingestellt. Dies wiederum nahm die Daimler-Chrysler-Leitung zum Anlass, um in der Aktionärsversammlung vollmundig zu verkünden, dass an dem Verfahren nichts dran sei.

Das ist aber absoluter Nonsens, weil die Einstellung keine Instanz bindet. Wenn ich in drei Monaten Beweise oder weitere Indizien gegen dann namentlich bekannte Verantwortliche habe, dann können wir dies jederzeit vortragen. Welche Staatsanwaltschaft dann auch immer verantwortlich sein wird, sie wird gezwungen sein, diesen Nachweisen nachzugehen.

Mittlerweile wurde mir von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mitgeteilt, dass das Verfahren gegen die Juntachefs sowie gegen Tasselkraut dort bearbeitet wird. Ich hoffe, dass das Verfahren nach nunmehr neun Monaten Dauer mit dem nötigen Nachdruck betrieben wird.