Den Haag untersucht Kriegsverbrechen der UCK

Ermitteln ohne Ende

Das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal will jetzt mutmaßliche UCK-Verbrecher vor Gericht bringen. Das Urteil steht schon fest: Freispruch.

Es war der größte Waffenfund im Kosovo seit dem Einmarsch der Kfor-Truppen im Juni letzten Jahres: Vor knapp zwei Wochen stießen britische Kfor-Einheiten im Dörfchen Klecka, einer UCK-Hochburg westlich von Pristina, auf insgesamt vier unterirdische Bunker - voll mit Waffen aller Art. Von gewöhnlichen Pistolen über Minen bis zu Granatwerfern fanden die Briten so ziemlich alles, was Kriege erst am Laufen hält.

Kurz nach dem Fund meinte Richard Shirreff, Kommandant der britischen Truppen, die das Waffenlager ausfindig gemacht hatten: »Das ist eindeutig Material der UCK.« Was Agim Ceku, ehemaliger UCK-General und Chef des Kosovo-Sicherheitskorps TMK, natürlich sofort bestritt: »Ich kann mit Sicherheit sagen, dass die UCK diese Waffen nicht gehortet hat.«

Ceku müsste es eigentlich besser wissen: Nur wenige hundert Meter vom Fundort entfernt hatte er während des Kosovo-Krieges sein Hauptquartier. Was liegt näher, als eines der bedeutendsten Waffenarsenale der UCK an jenem Ort zu platzieren, der fest in der Hand der Separatisten lag?

Das Dörfchen Klecka bietet aber noch in anderer Hinsicht ein lohnendes Areal für Nachforschungen aller Art: Unweit der Waffenlager und des ehemaligen Hauptquartiers von Ceku gruben in den vergangenen Wochen Gerichtsmediziner unter der Leitung der finnischen Pathologin Helena Ranta in der Erde - und wurden fündig. »Wir haben dort 22 Leichen von Serben in einem Massengrab entdeckt - darunter mehrere Frauen und Kinder«, sagte Ranta der Jungle World.

Erst in der vergangenen Woche reiste die Finnin wieder nach Den Haag, um mit dem stellvertretenden Chef-Ankläger des Kriegsverbrecher-Tribunals, James Blewitt, die Einzelheiten der Leichenfunde zu besprechen. Schon jetzt liegt ein Bericht Rantas über die Funde von Klecka und zwei andere Orte möglicher Massaker vor. Schließlich sieht das bislang bei Ermittlungen gegen die UCK immer recht lahme Tribunal plötzlich die Notwendigkeit, auch gegen die ehemaligen Nato-Kampfgenossen von der UCK zu ermitteln.

Als Chefanklägerin Carla Del Ponte Mitte Juni im Kosovo weilte, kündigte sie erstmals Untersuchungen gegen die UCK an. Hashim Thaqi, Chef der kosovo-albanischen Separatisten, nahm ihre Aussage eher gelassen auf: »Wir haben Informationen darüber, dass in insgesamt fünf Fällen gegen Mitglieder der ehemaligen UCK ermittelt wird. Aber es gibt keine Ermittlungen gegen hochrangige UCK-Vertreter«, sagte Thaqi.

Doch da irrt er. Del Ponte bekräftigte noch während ihres Kosovo-Besuches, auch gegen die Chefs ermitteln zu wollen: »Wir untersuchen die UCK-Aktivitäten während des bewaffneten Konfliktes und da sind nicht nur die kriminellen Aktionen von Mitläufern gemeint. Unser Mandat schließt auch ein, eventuelle Kriegsverbrechen der Führungsebene der UCK zu untersuchen.«

Nach Jungle World vorliegenden Informationen aus Den Haag ist damit vor allem Agim Ceku gemeint: Die Nähe seines Hauptquartiers zum Fundort der 22 Leichen in Klecka machen ihn zu einem Verdächtigen. Zumindest muss er von dem Gemetzel gewusst haben.

Eine Anklage oder gar eine Verurteilung Cekus und anderer Chef-Separatisten ist dennoch unwahrscheinlich. Das Tribunal würde mit diesem Schritt immerhin den engsten Verbündeten der Nato vergraulen und damit den Mythos vom Nato-Einsatz als letztem Mittel zur Rettung der Menschenrechte weiter zersetzen.

Aber auch eine andere Angst geht um in Den Haag, die die Ermittlungen nicht unbedingt beschleunigt: Bei einem Prozess gegen einen UCK-Chef könnte eine ganze Menge unangenehmer Details über die Verquickung von Nato-Einsatz und UCK-Aktivitäten zum Vorschein kommen und damit die offizielle Geschichtsschreibung gehörig ins Wanken bringen.

Es sind aber auch ganz schlichte realpolitische Überlegungen, die für ein sanftes Entschlafen des Ermittlereifers sorgen dürften: Gerade erst hat es die Kfor geschafft, die Reste der UCK dem Diktat von Hashim Thaqi und seiner Führungscrew zu unterstellen. Die befürchtete Bandenbildung rivalisierender UCK-Flügel konnte so weitestgehend verhindert werden. Eine Verurteilung der UCK-Führungsmannschaft würde möglicherweise ein politisches Vakuum entstehen lassen, das den internationalen Protektorats-Mächten im Kosovo nicht ins Konzept passen würde.

Angesichts dieser engen Bande zwischen Kriegsverbrecher-Tribunal und Nato erscheint sehr bizarr, was der kanadische Parlamentsabgeordnete Svend Robinson derzeit plant: Der außenpolitische Sprecher der linken New Democracy-Partei möchte den ehemaligen Nato-Oberkommandierenden Wesley Clark vom Tribunal verurteilen lassen. Robinson wirft dem US-Amerikaner vor, mit der Bombardierung des serbischen Rundfunkzentrums im April letzten Jahres fahrlässig 16 Zivilisten getötet zu haben.

Nützen wird ihm das nichts: Einen Tag vor der Bekanntgabe von Robinsons Plänen stellte das Tribunal einen Endbericht über mögliche Nato-Kriegsverbrechen während des Kosovo-Krieges fertig. Auf 16 Seiten wird die Nato - und damit auch Wesley Clark - rein gewaschen.

In dem Bericht heißt es zur Bombardierung des Fernsehzentrums: Weil diese Attacke als »Teil eines Angriffes gesehen werden muss, der zum Ziel hatte, Gebäude zu zerstören, die einen wichtigen Beitrag geleistet hatten, Milosevic die Möglichkeit zu geben, seine Armee (...) zu kontrollieren«, empfahlen die Autoren, »keine Ermittlungen zu beginnen«.

Jene Passage, die als Basis für den Persilschein für die Nato herhalten muss, ist gerade mal 30 Zeilen lang. Als einzige Quelle für den vorauseilenden Freispruch führt das Tribunal eine BBC-Dokumentation an. So einfach ist das.