Michael Gabriel, EM-Fanbetreuer

»Hass spielt keine Rolle«

Am Ende haben die Deutschen bei der Fußball-Europameisterschaft doch noch gewonnen: Während Uefa-Präsident Lennart Johansson die Mitgliedsverbände dazu aufforderte, sich »stärker mit dem Hooligan-Problem« zu befassen, hat der Deutsche Fußballbund im Rennen um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2006 einen Teilerfolg erzielt. Der restriktive Polizei-Einsatz hat sich ausgezahlt: Nicht zuletzt wegen der strengeren Sicherheitsvorkehrungen der Deutschen stufte der Weltfußballverband Fifa Deutschland letzte Woche höher ein als den Mitbewerber England. Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fan-Projekte in Frankfurt/M. nahm als Fan-Betreuer an der EM teil.

Die befürchteten großen Krawalle sind bei der EM ausgeblieben.

Zumindest in den Medien hat der Krawall ja stattgefunden. Die Berichterstattung führte bis zu der Drohung der Uefa gegen England, das Team wegen Ausschreitungen englischer Hooligans auszuschließen. Vor Ort war die Stimmung zwar angespannt, aber passiert ist kaum etwas.

Die ganze Aufregung war also nur ein Medien-Hype?

Die Erwartung der Medien war schon sehr groß. Am Tag des Spiels Deutschland-England etwa waren in Charleroi mindestens dreißig Kamerateams versammelt. Zugleich wurde nichts dafür getan, die Fußball-Fans als Gäste zu begrüßen. Stattdessen wurden alle Fans, die deutschen wie die englischen, völlig undifferenziert als potenzielle Störenfriede behandelt.

In dieser Atmosphäre haben die wenigen Hools, die da waren, ihre Chance genutzt - so kam es zu der bekannten Szene mit den Plastikstühlen. Nicht von ungefähr kommentierte die britische Tageszeitung The Guardian, dass »eine gute Portion des Hooligan-Problems von der Uefa geschaffen« war. Die Hysterie stand auch im Gegensatz zu den Erfahrungen der letzten fünf Jahre. Denn die Entwicklung in Sachen Fußball und Gewalt ist rückläufig.

Rückläufig? Bei der WM 1998 in Lens haben deutsche Hooligans den französischen Polizisten Daniel Nivel fast totgeschlagen.

Kein Widerspruch. So schlimm der Vorfall war, verzerrt aber auch hier die Macht der Bilder den Blick auf die Realität. Die Zahl der Auseinandersetzungen hat abgenommen, ebenso die Zahl der Beteiligten und der Verletzten. Man muss diese langfristige Entwicklung zur Grundlage für weitere Maßnahmen nehmen, nicht einen Einzelfall, wie er sich in Lens zugetragen hat.

Wie konnte es denn zu diesem »Einzelfall« kommen? Waren nicht genügend Polizisten vor Ort?

Die Polizei war dort sehr wohl und in ausreichendem Maße präsent. Aber eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Und Lens hatte mit Hooliganismus, wie er von den Hooligans selbst definiert wird, auch nichts zu tun.

Wie definieren sie sich?

Hooligans verstehen sich als Fußball-Fans, die über das Anfeuern ihres Teams hinaus das Interesse haben, sich mit Gleichgesinnten zu schlagen. Dabei haben sie einen Ehrenkodex: Keine Waffen und auf jemanden, der schon am Boden liegt, wird nicht mehr geprügelt, etc. Nach unserer Beobachtung verlaufen die Schlägereien meistens auch nach diesem Muster.

Das ist vor allem deshalb so, weil in und rund um die Fußballstadien herum fast nichts mehr passiert. Man prügelt sich mittlerweile weit abseits von den Stadien, in Parks oder auf Parkplätzen, zum Teil auch zeitlich völlig abgekoppelt von den Spielen. Eine höhere Verbindlichkeit unter den Hooligan-Gruppen ist damit erforderlich. Das heißt, sie müssen darauf achten, dass die selbstgesetzten Regeln nicht übertreten werden. Bei Spielen der Nationalmannschaft ist das aber oft nicht der Fall.

Ist Hooliganismus immer eine Angelegenheit von rechten Männern, die ihre Gewaltphantasien ausleben?

Man muss auch hier unterscheiden zwischen Länder- und Bundesligaspielen. Bei Auftritten der Nationalelf sind eher rechte Hools anzutreffen, in der Bundesliga gilt das nur für manche Vereine. Aber männerbündlerische Facetten sind in der gesamten Fanszene stark ausgeprägt, ein immenser Sexismus etwa oder eine extreme Homophobie. Auch die Gewaltorientierung der Hools spiegelt ein Attribut von Männlichkeit wider. Die Gewalt der Hooligans ist eine kalte Gewalt: Die Leute organisieren ihre Schlägereien, Hass auf das Gegenüber spielt keine Rolle. Die Gewalt wird um ihrer selbst willen ausgeübt. Wer sich aber über Gewalt von Hooligans beklagt und dabei Ausgrenzungserfahrungen von Jugendlichen ausblendet, wer ausblendet, dass Deutschland einen Krieg geführt hat, der macht es sich viel zu einfach.

Wie sahen die deutschen Polizeimaßnahmen im Vorfeld der EM denn konkret aus?

Es wurden so genannte Gefährder-Ansprachen durchgeführt, bei denen Beamte die Hools zu Hause oder am Arbeitsplatz besucht und ihnen von einer Fahrt nach Belgien und in die Niederlande abgeraten haben. Hinzu kamen Meldeauflagen, vorbeugende Ingewahrsamnahmen, Ausreiseverbote und Grenzkontrollen.

Das Problem dabei ist, dass davon viele Fans betroffen waren, die mit Hooliganismus gar nichts zu tun haben. Das hängt zusammen mit einer Erweiterung der so genannten Polizei-Datei Gewalttäter-Sport. Bis zur WM 1998 richteten sich die Restriktionen nur gegen die in Kategorie C erfassten Personen, also gegen die Hooligans. Im Vorfeld der Europameisterschaft aber sind die Maßnahmen ausgeweitet worden. Damit ist auch der harte Kern der Fanszene betroffen.

Wie hat sich das während der EM ausgewirkt?

Nach Angaben des belgischen Innenministeriums sind bis zum Halbfinale insgesamt über tausend Hooligans festgenommen - und zumeist auch abgeschoben worden, darunter ungefähr 450 englische Fans. Aber als die britische Polizei die Abgeschobenen verhörte, waren die Beamten überrascht, dass sich unter ihnen nur 15 Leute befanden, die zuvor im Zusammenhang mit Fußball negativ aufgefallen waren.

Wir vermuten, dass die meisten dieser Fans sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, außer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. In einem Fall hat die Polizei eine Tränengasgranate in eine vollbesetzte Brüsseler Kneipe geschossen und danach alle, die sich ins Freie flüchteten, festgenommen und ausgeflogen. Dass diese Leute anschließend als Hooligans tituliert wurden, diente allein zur Rechtfertigung des überzogenen Vorgehens der Polizei.

Wie erklären Sie sich das Vorgehen der Sicherheitsbehörden?

Hintergrund ist die Kommerzialisierung, die seit zwanzig Jahren den Fußball überrollt, bzw. der sich der Fußball selbst hingegeben hat. Das Interesse an einem sauberen Event hat Vorrang vor den Bedürfnissen jugendlicher Fußball-Fans. Das fügt sich ein in einen gesellschaftlichen Diskurs, der Jugend als gefährlich klassifiziert. Das Gerede über steigende Jugendkriminalität dient als Begründung dafür, dass Räume für Jugendliche immer enger werden. Öffentliche Plätze werden überwacht, Innenstädte von Gruppen gesäubert, die als störend empfunden werden. Daneben stand speziell das deutsche Vorgehen gegen potenzielle Hooligans im Kontext der Bewerbung für die WM 2006, über die ja diese Woche entschieden wird.

Deutschland scheint es gelungen zu sein, Mitbewerber England damit auszubooten. Trotz schlechten Fußballs zählt Deutschland deswegen zu den Gewinnern der EM.

Richtig. Und den Schuh zieht man sich in England auch an: Warum haben wir so fürchterlich versagt und warum waren die Deutschen so erfolgreich? So wächst der Druck auf andere Verbände, die Maßnahmen der Deutschen - bis hin zu Strafrechtsverschärfungen - zu übernehmen.

Deutschland ist hier Vorreiter?

Ganz eindeutig. Es gibt kein anderes europäisches Land, das in einer ähnlichen Form und einer ähnlichen Gründlichkeit seine polizeilichen Maßnahmen durchgeführt hätte.