Mission Impossible 2

Kein Herz für Terror

In John Woos »Mission Impossible« bekämpfen sich Staat und Ökonomie. Übrig bleibt wenig. Zum Beispiel die Einsicht, dass Gewalt keine Lösung ist.

Eine Handvoll Leute sitzt im riesigen Kinosaal 1 des Berliner Zoopalastes, kein Wunder: Es ist Sonntagnachmittag, und die verlorenen Gestalten - Einzelgänger, ältere Ehepaare - warten auf die 17-Uhr-Vorstellung von Brian de Palmas müdem »Mission to Mars«. Der Werbeblock ist gerade gelaufen, die leicht peinliche Stille wird, crunch, crunch, nur von einem Tacos-knurpsenden Besucher durchbrochen.

Dann strömen Gaswolken in den Saal. Zeit für ein bisschen Modernität. Mit den Schwaden breitet sich allgemeines Unbehagen aus. Es ist erst ein paar Wochen her, da ist der Nachbarsaal 7 mehr oder weniger ausgebrannt. Kann sich das denn so schnell wiederholen? Doch das süßliche Aroma von Trockeneis kündet nur einen Pop-Event an, und es ist ein Event besonderer Art, der dann folgt: Nicht nur, dass der Nebel nun als dreidimensionaler Prospekt für eine reichlich aggressive Lasershow dient - die Strahlen werden in einem Apparat vor der Leinwand generiert und zielen so auch ziemlich sicher in die Augen der Zuschauer, der eingetrübte Kinosaal wackelt unter den schweren Riffs von James Hetfield, Flinkepranke der Band Metallica. Irgendwo im Vorder-Hinter-Übergrund läuft eine merkwürdig stilisierte Zeichentrick-Animation.

Wenn man genau hinschaut, meint man die Silhouette des Schauspielers Tom Cruise zu erkennen. Zehn Minuten dauert der Spuk, dann holt man erst mal Luft. Dass die bald folgende »Mission to Mars« eines der miserabelsten Produkte der Filmgeschichte ist, passt ganz gut zu diesem Kurzfilmchen mit Attacke. Es war der garantiert misslungenste Trailer der Filmgeschichte: der Anreißer von »Mission Impossible«, Teil 2.

Witzige Parallele am Rande: Brian de Palma war Regisseur von Teil 1.

Nun hat der große John Woo die Nachfolge als Partner von Tom Cruise angetreten, 125 Millionen Dollar verbraten - aber schließlich ist Geld immer weniger ein Problem. Werden Sie Filmproduzent, rieten die Hamburger Banken Berenberg, Wölbern sowie Vereins- und Westbank und boten privaten Investoren eine Beteiligung an der Fonds- und Produktionsgesellschaft MFP Munich Film Partners GmbH & Co. MI 2 KG als Kommanditisten oder als Treugeber an. Mindesteinsatz: fast 100 000 Mark. Die setzten sich aus einer persönlichen Anteilsfinanzierung von 52 000 Mark sowie einer Bareinlage von 47 800 Mark zusammen und sind bis zum 14. Dezember dieses Jahres einzuzahlen. So einfach wird man Kollege von Tom Cruise.

Bleibt die Frage: Wann kann man Aktien von Metallica, diesen Scorpions für Börsenmakler-Azubis, kaufen? Dass die Band für diesen Film spielt, scheint beinahe programmatisch. Sie hat in zehn Jahren nur ein gutes Stück hingekriegt, und das heißt auch noch »Erbarmungslos«. Deshalb kloppen Metallica ihre unstrukturierten Gitarrenweisen in den Abspann rein wie die Nato ihre Bomben in das Kosovo. Also: Wer unbedingt was auf den Kopf hauen will, statt Geld für Kinokarten täte es in diesem Fall ein Vorschlaghammer in die eigene Fresse genauso gut. Als hätte der Regisseur seinem Film nicht getraut. Und dazu hätte er auch allen Grund.

Dabei ist die Geschichte schön und die Idee eigentlich eine Zierde für die Drehbuchschreibergilde. Wie auch in Woos letztem Film »Face/Off« liegt der Geschichte eine simple Übertragung zu Grunde. War es dort der wörtlich genommene Gesichtverlust eines angesehenen Bürgers und Cops, so wird hier das allgegenwärtige Phänomen des Computervirus hops genommen. Ein Pharmakonzern hat eine Krankheit designt, an der massenhaft Menschen innerhalb von 30 Stunden sterben könnten. Und das hätte mindestens solche Auswirkungen wie die Outlook-Express-killenden Microsoft-Würmer, von denen wir oft in der Zeitung lesen. Der Konzern wird aber von einer Terroristengruppe erpresst; und zwar nicht um Bargeld, sondern, auch das eine schöne Wendung, um stocks, um Aktien also. In einer Zeit, wo Firmen ihren Mitarbeitern meist nur stock options anbieten, keine schlechte Idee. Mir wäre das nicht eingefallen. Man bedenke: Ein Film über Insidergeschäfte und kriminelle Machenschaften bei Kapitalbeteiligungen, finanziert über private Einlagen.

Geheimagent Ethan Hunt (Cruise, mit Thomas-Anders-Frisur) muss helfen. Und wird vom Chef aus dem Urlaub geholt. Und siehe da: Auch im Film geht der Trend zum Bild. Ein extremes Weilchen sehen wir Cruise, den attraktivsten Schuhe-ohne-Socken-Träger der Gegenwart, beim Freeclimbing im Gebirge. Das sind die 3D-igsten aller 3D-Effekte, die sich das 2D-Kino jemals geleistet hat.

Um die Konzentration - zumindest beim Zuschauer - auf das Geldverdienen im und um den Film herum ein bisschen zu stören, hat Woo die Schauspielerin Thandie Newton in die Geschichte hineindrapiert, man sieht sie mit Cruise beim Kuschelsex. Sie, die man so radikal sah in Jonathan Demmes »Menschenkind« - ein Film, von dem ich mir kaum vorstellen kann, dass ihn außer mir jemand gesehen hat -, hat hier das Privileg, zusammen mit dem Superstar die wirklich unglaubwürdigste Bettszene der Filmgeschichte gedreht zu haben: Fast könnte man glauben, hier seien Lothar Matthäus und seine Maren am Werk.

So lieblos der Sex dargestellt ist, so viel Platz bleibt für Diskussionen: Gewalt ist keine Lösung, so lernt man. Denn hier kämpfen Staat und skrupellose Wirtschaftsanarchie um die Vorherrschaft. Immerhin gibt es bei Hunts Behörde einen Betriebsrat und wahrscheinlich sogar eine Gewerkschaft. Und nicht nur das: In Hunts Leben gibt es nicht nur den Job, so hat er zum Beispiel sein Recht auf Urlaub wahr genommen und niemandem gesagt, wo er ist. Die »MI»-eigenen Gadgets - die Gesichtskopien - müssen eigens bemüht werden, um ihn in eine brenzlige Situation zu bringen. Sowas kennen der wirtschaftskriminelle Unternehmer, der Global Player, und sein Alter Ego, der Globalterrorist, nicht.

Hunt, das ist die alte Ordnung, und auch wenn er, den dramaturgischen Gesetzen gehorchend, am Ende einen Sieg davonträgt, so ist dieser doch nur ein vorläufiger. Mit großer Selbstverständlichkeit werden alle Register der Polizeiarbeit gezogen, immer aber scheint das Verbrechen seine Ordnung zu errichten, in der der Staat gar nicht mehr vorkommt. Mit der Beziehungsgeschichte wird das Action-Schema preisgegeben. Weil er den Kampf um die Welt verloren hat, wird auch der Held privatisiert. Und der Held, der aufrechte Kämpfer fürs Gute, war doch der letzte Garant dafür, dass die Welt noch nicht ganz aus den Fugen ist. Er wird - im eigentlichen Wortsinne - privatisiert: in einer romantischen Liebesbeziehung, die sich ungefähr so ausdrückt wie in Stanley Kubricks »Eyes Wide Shut»: second hand - über Floskeln.

Neue und alte Ordnung toben auch bei Regiemeister Woo. Kein Trick, kein Stunt, den man woanders nicht schon gesehen hätte, und auch keine Schauspielerleistung. Wenn man »MI 2« durchgestanden hat, fühlt man sich höchstens wie geprügelt.

Es ist ein Film, wie er fürs Action-Genre typisch geworden ist: Zurück bleibt nichts. »MI 2« ist ein Produkt, das den Zuschauer zur Katze macht - wenn sich was bewegt, schaut er hin. Das ist nicht langweilig, aber schockierend. Dass der Action-Film durchaus Tiefe haben kann, wurde bei »Alien« oder »Terminator« bewiesen - was ist ein guter Action-Streifen anderes als Terror mit Herz?

Man denke nur an den »Demolition Man»: Nachdem Film-Cop Sylvester Stallone zwei Städte in Schutt und Asche gelegt hat, den Verbrecher und eine Diktatur Huxleyschen Ausmaßes zur Strecke gebracht hat, gibt er den Armen und Reichen mit auf den Weg: »Ihr da, ihr werdet ein bisschen sauberer, und ihr da ein bisschen schmutziger.« So funktionieren Demokratie und buddhistische Weisheit. Die nationalstaatliche Ordnung, repräsentiert durch den Cop, war nicht unbedingt schlechter als eine rein neoliberale. Sie war vielleicht auch nicht besser. Aber manchmal anders.

Von solcher Ironie ist Cruise weit entfernt. Er kann nur ironisch sein, wo er es nicht merkt, zum Beispiel als prolliger Rennfahrer in »Tage des Donners«. »MI 2« dagegen ist merkwürdig hybrid und schrecklich konservativ: Abziehbilder von früheren Stunts, Abziehbilder einer Romanze und die Second Unit eines Spin Off, der aus dem Fernsehen kam; hier ist eben alles aus zweiter Hand, die Figuren, die Killer und die Ideologie, dass Gewalt auch schon wieder keine Lösung sein soll.

Vielleicht liegt's aber auch daran, so wird gemunkelt, dass John Woo und Tom Cruise planten, den Film ab 18 freizugeben, der Verleih aber umschneiden ließ, weil er eine Freigabe bereits für Zwölfjährige verlangte. Die sind noch jung, für die ist New Economy nichts Neues.

»Mission Impossible 2«, USA 1999. R: John Woo, D: Tom Cruise, Thandie Newton, Anthony Hopkins, Dougray Scott, Vin Grames. Start: 6. Juli