Prozess gegen José Bové

Rock für Roquefort

Rund hunderttausend Menschen protestierten anlässlich des Prozesses gegen den französischen Bauernaktivisten José Bové gegen Globalisierung und schlechtes Essen.

Der Holzwagen, auf dem die Angeklagten in die Stadt rollen, ähnelt einer charette, einem jener Karren, auf denen während der Französischen Revolution die Angeklagten zur Guillotine gebracht wurden. Mit geballter Faust grüßen die zehn Männer hinunter in die Menge.

In der 23 000-Einwohner-Stadt Millau im Département Aveyron soll keine Historienszene nachgestellt werden: Das Vehikel wird von einem Traktor gezogen, der mit ganz und gar zeitgenössischen Parolen wie »Gegen die herrschende Globalisierung« und »Stoppt den Drecksfraß« bemalt ist.

Auf dem Hauptplatz von Millau findet das Spektakel seinen Höhepunkt: Unter donnerndem Applaus kündigt José Bové, der Hauptangeklagte und der Prominenteste unter den zehn, seine nächsten Untaten an: »Wir werden fortfahren, Gen-Saat und genmanipulierte Pflanzen zu zerstören!« Von Reue ist am 30. Juni, wenige Minuten vor dem Gerichtstermin um 14 Uhr, nichts zu hören.

Eine riesige Menschenmenge hat sich versammelt. Man sieht rote Fahnen und die Sonnenblumen der Grünen, Che-Guevara-Porträts, Wimpel der brasilianischen Landlosen-Bewegung MST und Transparente mit Anarcho-Slogans. Nachdem jeder der Angeklagten ein kurzes Statement abgegeben hat, geht es zum Gericht, das mit Absperrgittern verbarrikadiert ist.

Die Zehn von Millau sitzen auf der Anklagebank, weil sie am 12. August 1999 die im Bau befindliche McDonald's-Filiale der Stadt demontierten. Die Aktion symbolisierte den Protest gegen die Entscheidung der WTO, die wenige Wochen vorher den USA erlaubt hatte, Strafzölle auf europäische Agrarprodukte zu erheben, um die EU zu zwingen, den Import von Hormon-Fleisch zuzulassen. Davon waren insbesondere die französischen Landwirte schwer betroffen, auch in der Umgebung von Millau: Den Roquefort-Käse, der hier produziert wird, belegten die USA mit einem Importzoll von 100 Prozent, worauf das entsprechende US-Marktsegment völlig zusammenbrach.

Zugleich ging es den Aktivisten, allesamt Mitglieder der linken Bauerngewerkschaft Confédération paysanne, auch um den Protest gegen die industrialisierte, rein profitorientierte und die Umwelt zerstörende Form der Agrarproduktion, für die McDonald's beispielhaft steht. Seit ihrer Gründung 1987 hat die Confédération paysanne immer wieder durch spektakuläre Aktionen von sich reden gemacht. Sie protestiert gegen die Agrarindustrie und die Konzentration in der landwirtschaftlichen Produktion durch die Zerstörung von Kleinbetrieben, sie thematisiert Umwelt-, Konsumenten- und Gesundheitsschutz und den Kampf gegen die Ausbeutung im Trikont, in dem die nicht auf den Weltmarkt orientierten Sektoren durch Exporte der europäischen und nordamerikanischen Agrarindustrie niederkonkurriert und ruiniert werden.

Auf dem Larzac-Plateau südöstlich von Millau haben die linken Bauernaktivisten eine Hochburg. Die Gegend gilt als stark politisiert, seitdem in den siebziger Jahren Bauern, aus den Städten angereiste junge Linksradikale und frühe Umweltschützer die Errichtung eines enormen Militär-Areals verhinderten. Bové verkörpert die Kontinuität dieser Zeit: In den frühen Siebzigern hatte sich der damalige linke Student aus Bordeaux auf dem Larzac niedergelassen, um zusammen mit seiner Frau von der Schafzucht zu leben. Seine politischen Aktivitäten gab er jedoch nie auf. 1995 war er beispielsweise auf den polynesischen Inseln im Südpazifik zu finden, wo gegen die französischen Atomwaffentests protestiert wurde.

Richter und Staatsanwälte in Millau würden dem Spuk in ihrer Gegend nur zu gerne ein Ende setzen. Eine eifrige Staatsanwältin war es, die Ende August 1999 von Amts wegen Klage gegen die McDonald's-Demonteure erhob, nachdem die Fast-Food-Kette aus Angst vor Imageschäden die ihre zurückgezogen hatte.

Während der Anhörungen am Freitag leistet sich der Vorsitzende Richter Fran ç ois Mallet mehr als eine Peinlichkeit. Über die Zeugin Susan George, eine in Paris lebende Amerikanerin, die Vizepräsidentin der Initiative Attac ist, sagt er: »Die nehmen wir an den Schluss, das ist eine linke Unruhestifterin.« Den Zeugen Paul Tran van Tinh, der Botschafter Frankreichs bei der WTO war, fragt Mallet allen Ernstes, ob er Französisch spreche.

Schließlich akzeptiert das Gericht aber doch die Forderung der Verteidigung, die von ihr geladenen 17 Zeugen zu hören. Der Prozess sprengt damit den zunächst angesetzten Zeitrahmen von sechs Stunden und wird sich noch fast den gesamten Samstag hinziehen. Vertreter aus den französischen De-facto-Kolonien Neukaledonien und Polynesien/Tahiti, die indische Ökologin Vandana Shiva, der senegalesische Aktivist Mamadou Sisiko, der US-Bauerngewerkschafter Bill Christinson und Repräsentanten aus Südkorea, von den Philippinen, aus Polen und Mittelamerika wechseln sich im Zeugenstand ab. Sie berichten, wie multinationale Konzerne wie McDonald's in ihren Ländern Umwelt und einheimische Produktion zerstören und Arbeitskräfte hemmungslos ausbeuten.

Das Gericht akzeptiert die »politische und soziale Debatte« - auf eine Viertelstunde pro Zeuge beschränkt -, will im Anschluss aber dennoch die Aktion als strafwürdige Handlung auf der juristischen Ebene aburteilen. Die sechs Anwälte der Verteidigung - angeführt von dem altehrwürdigen Henri Leclerc, einem der ergrauenden Köpfe der Pariser Linken, der lange Jahre Vorsitzender der Liga für Menschenrechte war - halten es für erwiesen, dass es sich um einen gesellschaftlichen Konflikt handelt, der sich jeder juristischen Beurteilung entzieht.

Zur gleichen Zeit pulsiert in den Straßen von Millau das Leben. Anti-Atomkraft-Initiativen, Verbände von Landwirten und Konsumenten, die grüne Partei, trotzkistische und anarchistische Gruppen, die lokale KP, Gewerkschaften und Arbeitslosen-Verbände haben ihre Info-Stände aufgebaut; politisch aktive Bauern bieten Produkte der Region an. In 14 Debattenforen unter freiem Himmel finden sich Tausende ein, um politische und soziale Themen zu diskutieren. Hier lädt Pierre Bourdieu ein, über »Kulturindustrie und Globalisierung« zu streiten, dort informieren Betroffene über »Die Repression gegen soziale Bewegungen«.

Den krönenden Höhepunkt bildet am Freitagabend ein riesiges Gratis-Konzert. Der Sänger Francis Cabrel, die Rockgruppe Noir Désir und Zebda, eine populäre linksradikale Band aus Toulouse, spielen kostenlos für die Sache der Angeklagten. Bis vier Uhr morgens drängen sich nach Angaben der Veranstalter 110 000, laut Polizei 47 000 im Stadion am Tarn, der durch Millau fließt. Damit kein entpolitisiertes Spektakel aus der Veranstaltung wird, werden immer wieder Redebeiträge der Angeklagten und der internationalen Zeugen zwischen die Musikblöcke eingeschoben. Die Karikaturisten der linken Satire-Wochenzeitung Charlie Hebdo tragen zum Spektakel bei: Sie zeichnen live auf einen Projektor; ihre Darbietungen werden auf eine riesige Leinwand übertragen.

Ein euphorischer José Bové erklärt Millau zu »einer der Hauptstädte der Anti-Globalisierung und des Weltbürgertums«. Jedes Jahr soll zum Jahrestag, am 1. Juli, künftig ein vergleichbares Spektakel in der Stadt am Tarn stattfinden.

Das Urteil gegen die Zehn von Millau wird man erst am 13. September kennen: Die Staatsanwaltschaft fordert zehn Monate Haft, davon einen ohne Bewährung, für Bové und Bewährungsstrafen bis zu drei Monaten für die neun anderen.