Putin will den Tschetschenien-Krieg aussitzen

Sieg ohne Sieger

Die ersten Siegesmeldungen kamen im Februar nach der Eroberung Grosnys. Sie häuften sich vor den Präsidentschaftswahlen am 26. März und trugen zum Wahlsieg Wladimir Putins bei. Als bislang Letzter erklärte General Gennadi Troschew, der Kommandant der russischen Truppen in Tschetschenien, am 25. Juni, »der Krieg als solcher« sei »auf dem Territorium Tschetscheniens beendet«. Am selben Tag flog die russische Luftwaffe 42 Kampfeinsätze über Tschetschenien.

Sieg ist natürlich ein relativer Begriff. Die angerichteten Zerstörungen mögen als Abschreckung für potenzielle Separatisten in anderen Landesteilen ausreichen. Die russischen Truppen sind mehreren Angriffen täglich ausgesetzt, doch die tschetschenischen Kampfverbände sind nicht stark genug, um die russischen Garnisonen zu vertreiben. Putin setzt auf Containment. Es ist gelungen, die Grenzen zu den benachbarten russischen Republiken recht effektiv abzuriegeln und den Nachschub über die georgische Grenze zu erschweren. Innerhalb Tschetscheniens dagegen können die islamistischen Milizen sich fast ungehindert bewegen, und die russische Armee unternimmt wenig, um daran etwas zu ändern.

Nach der Wahl wurden offensive Operationen selten. Statt der ursprünglich etwa 100 000 stehen nur noch knapp 50 000 Soldaten im Kampfgebiet, und ihre Zahl soll auf 35 000 weiter reduziert werden.

Die Truppenreduzierung erleichtert es den um die Stabilität Russlands besorgten westlichen Regierungen, Fortschritte in der russischen Tschetschenien-Politik zu erkennen. Es war jedoch nicht die auch auf dem Höhepunkt der Kämpfe immer recht maßvolle Kritik des Westens, die Putin zu der Entscheidung für eine defensive Strategie bewog. Anders als die Generäle, die weiterhin meinen, ein vollständiger Sieg sei möglich, wenn die Regierung nur genügend Truppen einsetzte, weiß der Ex-Geheimdienstchef Putin, dass ein Guerillakrieg nicht allein mit überlegener Feuerkraft gewonnen wird. Er zeigt allerdings auch wenig Neigung zu Maßnahmen der politischen Aufstandsbekämpfung.

Zwar gelang es, mit Mufti Akhmed Kadyrov einen führenden Vertreter der traditionellen, zu den Islamisten in scharfer Konkurrenz stehenden islamischen Geistlichkeit als Verwaltungschef zu gewinnen. Mit Ausnahme einiger lokaler Warlords hat sich ansonsten jedoch kaum jemand für die russische Seite entschieden. Die Islamisten sind ohnehin der Ansicht, dass, wie der Feldkommandant Khattab es ausdrückt, »es der Sache der Mudschaheddin nicht dient, sich zu sehr auf Gespräche zu konzentrieren«. Um den Krieg zu »tschetschenisieren«, müsste Putin bereit sein, verhandlungsbereiten tschetschenischen Kräften um Präsident Aslan Maschadow etwas mehr zu bieten als die vage Aussicht, nach ihrer Kapitulation nicht exekutiert zu werden.

Politische Zugeständnisse würden jedoch das gegenwärtig wichtigste Projekt der Regierung gefährden: die Zentralisierung. Putin will die recht weitgehende Autonomie, die bislang die regionalen Oligarchien besänftigte, zurückdrängen. Die Zentralregierung kann nicht mehr einen so großen Teil ihrer Ressourcen für das winzige Tschetschenien aufwenden, wenn sie sich mit den regionalen Machthabern anlegt.

Für Putin, der am 9. Juni Tschetschenien unter Direktverwaltung stellte und damit noch einmal die persönliche Verantwortung für den Kriegsverlauf übernahm, ist diese Politik riskant. Mit der Truppenreduzierung sinken die Kriegskosten, die Verluste dagegen könnten noch steigen, und auch mit repressiven Maßnahmen gegen kritische Medien wird sich auf Dauer nicht verbergen lassen, dass es mit dem verkündeten Sieg nicht weit her ist.