Weltkonferenz »Urban 21«

Das Elend der Städte

Die Urban-21-Konferenz gibt die Richtung für ein Regierungsmodell vor: Der Neoliberalismus wird mit ein wenig Nachhaltigkeit versetzt, schon hören die Armen auf, arm zu sein.

Den »neuen Stadtbürger« hatten die Macher der Konferenz Urban 21 gleich mitgebracht. Die ECE Projektmanagement GmbH ist nicht nur Marktführer bei innerstädtischen Shopping Malls und Einkaufszentren in der Bundesrepublik, sie hat auch die Hamburger Morgenpost gekauft und damit den gewünschten Beitrag zur demokratischen Willensbildung geliefert. Ende letzten Monats kam gar eine Stiftung, die »Lebendige Stadt«, hinzu. Auf Initiative von ECE-Geschäftsführer Alexander Otto wurde sie im Hamburger Atlantik Hotel von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur ins Leben gerufen. Die Stiftung will, so die Gründer, in Zeiten, in denen die Innenstädte veröden, »ein positives Zeichen setzen«, Marketingstrategien und Gutachten in Auftrag geben und profitträchtige Handelskonzepte prämieren. Die ECE selbst wird derweil ihr Netz von Einkaufszentren nach Osteuropa ausweiten und auch in der Bundesrepublik weiter Innenstädte vermarkten, weil »die das selber nicht hinbekommen«.

So in etwa endete am vergangenen Freitag auch die Weltkonferenz Urban 21, die sich als Fortsetzung der Konferenz von Rio de Janeiro begreift. Dort hatten sich 1992 die Staaten zu einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung verpflichtet, ohne allerdings klären zu können, was darunter zu verstehen sei. Für eine Beantwortung dieser Frage stellte man weitere Konferenzen in Aussicht. Mittlerweile ist die ökologische Nachhaltigkeit - der zentrale Begriff der Konferenz von Rio - leidlich marktkompatibel zusammengekocht und jedweden kritischen Gehalts beraubt.

Das Konferenzpapier von Berlin kondensiert die Städte der Welt zu drei urbanen Formationen, die durch good governance - die wäre etwa gegeben, wenn die ECE auch noch bereit wäre, den Regierenden Bürgermeister Diepgen abzulösen (was ja vielleicht nicht die schlechteste Idee ist) - gestaltet werden können. So gibt es arme Städte, die von spontanem, überproportionalem (Bevölkerungs-) Wachstum und informeller Ökonomie gekennzeichnet sind; Städte mittleren Wohlstands, die noch einen rapiden Wachstumsprozess durchlaufen, deren Bevölkerung aber nur noch langsam wächst; und die reifen, alternden Städte mit mäßigem Wachstum. In einem globalen Netzwerk könnten all diese Abziehbildchen von Stadt voneinander lernen - das wird dann best practice genannt.

So hätten erstmals in der Geschichte die Armen eine reale Chance auf die Verbesserung ihres Lebens, wenn die Städte der Betriebsanleitung des Weltberichtes folgten: Privatisierung öffentlicher Infrastrukturleistungen, größere Autonomie der Städte - sie werden in dem Bericht stets als handelnde Subjekte dargestellt -, Zusammenarbeit von Wirtschaft und Staat als public private partnership und die Integration des eigenverantwortlichen Bürgers, Geburtenkontrolle, Bereitschaft zur Flexibilität, Bildung und - vor allem - viel guten Willen.

Die 3 700 Teilnehmern aus 100 Staaten beendeten die Berliner Konferenz mit der Verabschiedung einer »Charta von Berlin«. Das SPD-nahe Wirtschaftsforschungsinstitut empirica GmbH - Geschäftsführer Christian Pfeiffer und Peter Hall aus London haben im Wesentlichen den Bericht verfasst - hat sich so eine neue »Charta von Athen« geschrieben. Das 1933 von den Mitgliedern der CIAM (Congrès Internationaux d'Architecture Moderne) geschriebene Papier bescherte uns die funktionalistische Stadt. Ein Abklatsch davon liegt nun aus Berlin vor, der vordergründig allein Allgemeinplätze zum Elend der Städte und ihrer Erlösung versammelt. Hinter dem ideologischen Aufguss des Dokuments verbirgt sich jedoch die Struktur eines neuen Regierungsmodells im Weltmaßstab. Danach kommt die versprochene Erlösung per Nachhaltigkeits-Dekret, ergänzt um das neue Wundermittel der good governance, die, so Stephen Gill, einen »Disziplinar-Neoliberalismus« abstützen soll. Ausgangspunkt sind die als gegeben gesetzten Prozesse von Globalisierung, technologischem Wandel und Wettbewerb. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit hat sich aufgelöst, es gibt auch sonst keine widerstreitenden Interessen mehr. Wir sitzen alle in einem Boot.

»Niemand könnte«, schreibt Bob Jessop, Professor an der Lancaster University in Großbritannien, »aus dem Bericht folgern, dass technologischer Wandel und Globalisierung zutiefst politisierte Prozesse und Gegenstand von Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klassen, innerhalb von Staaten und in der Zivilgesellschaft sind. (...) Es gibt auch weder einen Hinweis auf die entscheidende Rolle des IWF, der Weltbank, der OECD, der WTO oder anderer internationaler Wirtschaftsagenturen, noch auf die zentrale Rolle der USA und ihrer Verbündeten bei der Globalisierung oder bei der Umgestaltung politischer und sozialer Institutionen zur Unterstützung und Ergänzung des Neoliberalismus.«

Aus der als gegeben verstandenen neoliberalen Weltordnung ergibt sich etwa, dass städtische Armut kein Produkt eines globalen Kapitalismus ist, sondern Ergebnis ineffektiver lokaler Verwaltungen, die nicht in der Lage sind, sich wettbewerbsfähig auf dem Weltmarkt zu positionieren und ihre lokalen (Arbeits-)Märkte, Infrastrukturen und Wohnungsbestände sowie den Verwaltungsapparat an dessen Bedürfnissen auszurichten. Genau um diese Zurichtung der Städte für die Bedürfnisse des Kapitals geht es. Dafür muss ein neuer Regulationsmechanismus stabilisiert werden, der einerseits auf dem Rückzug des Nationalstaates, andererseits auf der Etablierung von Netzwerken zwischen Lokalstaat, Privatwirtschaft und »Zivilgesellschaft« basiert. Dem Staat käme so nur noch die gleichwohl zentrale Aufgabe zu, den Etablierungsprozess von Partnerschaften und Netzwerken auf lokaler Ebene zu steuern und zu moderieren. Good governance hat hier die Aufgabe, eine nachhaltige Strategie durchzusetzen, in der »alle Aspekte städtischen Raums - von dessen sozialer Infrastruktur, politischer Kultur bis hin zu den ökologischen Grundlagen - in lokale ökonomische Vermögenswerte und 'endogene Wachstumspotenziale' transformiert werden sollen, um weitere Kapitalinvestitionen anzuziehen«, wie der Politologe Neil Brenner schreibt.

Insbesondere die Fokussierung auf Netzwerke und Partnerschaften hat über die Aufgabe hinaus, neoliberale Ideologie durch neue Begrifflichkeiten zu verbrämen und diese Politik so langfristig zu institutionalisieren, auch das Ziel, ein Regieren aus der Distanz zu ermöglichen. Denn der Rückzug des Staates ist nicht gleichzusetzen mit dessen Machtverlust, sondern vielmehr Voraussetzung für seine weitere Machtentfaltung, wenn Partnerschaften und Netzwerke so aufgebaut und moderiert werden, dass sie als nichtstaatliche Akteurskonstellationen im Interesse der Profitmaximierung und des staatlich-gesellschaftlichen Stabilisierungsinteresses eingesetzt werden können. Der sozialdemokratisch inspirierte aktivierende Staat des »Dritten Wegs« steuert lokalstaatliche Akteure, Privatwirtschaft, NGOs und Bürger und ermutigt sie, das Rudern im gemeinsamen Boot zu übernehmen.

Für die Privatwirtschaft müssten mehr Anreize geschaffen werden, global zu denken, lokal zu handeln und »den Armen diskriminierungsfrei die Hand zu reichen«, heißt es in der Abschlusserklärung. Dafür müsse der Arme freilich Flexibilität an den Tag legen und aufhören, arm zu sein. Das wäre gleichsam die Voraussetzung dafür, dass die Städte »wieder funktionieren«. So betrachtet auch die ECE, Tochter des Otto-Versands, ihre Malls und Zentren keinesfalls »als Verkaufsmaschinen, vielmehr als modernen Marktplatz, als eine Kommunikationsstätte«. Das deckt sich mit dem verklärenden Blick, den uns die neoliberalen Nachhaltigkeitsstrategen mit ihren good governance-Allüren auf die Städte Welt werfen lassen wollen. Eine optimistisch verfasste Kriegserklärung.

Die Berliner MieterGemeinschaft hat einen Reader zum Weltbericht herausgebracht, in dem kritische Stadtforscher zu den Plänen der Urban-21-Strategien Stellung nehmen. Unter den AutorInnen: Neil Brenner, John Friedmann, Bob Jessop, Maria Mies, Susan Ruddick. Für 5 DM in der Möckernstraße 92, 10963 Berlin, 030-216 80 01, E-Mail: < ahref="mailto:bmg@ipn.de">bmg@ipn.de