Volksbefragung zur EU

Das Kotelett schlägt zurück

Mit der Volksbefragung zu den EU-Sanktionen zeigt sich deutlich, wer in Österreich Kanzler ist: Wolfgang Schüssel jedenfalls nicht.

Gegen Mitternacht gab die adrette, aber diplomatisch weniger begabte österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner endgültig auf. Trotz stundenlanger Beratungen und Telefonate konnte auch sie nicht mehr verhindern, was der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ) schon Mitte April vorgeschlagen hatte und nun von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) durchführen lässt. Am Dienstag vergangener Woche beschloss der Koalitionsausschuss, in dem auch Haider sitzt, die Volksbefragung zur EU. Auslöser für die Entscheidung war ein Schreiben des bis Ende Juni amtierenden EU-Ratspräsidenten und portugiesischen Premiers Antonio Guterres. Im Namen der 14 EU-Staaten bestätigte er darin, dass die Sanktionen vorerst nicht aufgehoben werden. Eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen wurde jedoch in Aussicht gestellt. Zunächst soll ein Weisenrat die Lage in Österreich und die politische Entwicklung der FPÖ beurteilen.

Wolfgang Schüssel und seinem Koalitionspartner Jörg Haider aber war das nicht genug. Sie setzen jetzt die Volksbefragung durch, mit der sie schon seit Monaten drohen. Als Termin ist der 29. Oktober bzw. der 26. November vorgesehen - wenn bis dahin nicht der Bericht der drei Weisen fertig ist und die Sanktionen noch nicht aufgehoben sein sollten.

Für die FPÖ ist die Volksbefragung ein Ausdruck des österreichischen Willens und ein Druckmittel gegenüber den anderen EU-Staaten. Der Bundeskanzler sieht in dem Referendum gar die Grundlage zu »einer neuen EU-Verfassung«. So schwankt die Koalition zwischen Trotz und Größenwahn.

Diese Befindlichkeit wird auch in den Formulierungen der Fragen deutlich: Die Österreicher sollen der Bundesregierung das Mandat erteilen, mit allen geeigneten Mitteln sicherzustellen, dass die »ungerechtfertigt verhängten Sanktionen aufgehoben« werden, dass die EU allen Mitgliedsstaaten »die gleichen Rechte und Pflichten garantiert«, wozu auch das »Grundrecht auf eine freie demokratische Wahl seiner Regierung« gehöre.

Die österreichische Regierung solle sich dafür einsetzen, dass eine klare Aufgabenteilung zwischen EU und Mitgliedsstaaten eingehalten wird, dass die EU die »Grundregeln des Rechtsstaates und der Menschenrechte« befolgt und ein »rechtsstaatliches Verfahren bei behaupteter Verletzung von Grundwerten der Union in den EU-Vertrag aufgenommen wird.«

Ja oder nein, das ist hier die Frage, die dem Bürger gestellt wird. Und der kann sie nur global mit einem Kreuzchen beantworten. Schon alleine das halten österreichische Verfassungsexperten für rechtswidrig. Ebenso bedenklich ist, dass nach der österreichischen Verfassung nur dann eine Volksbefragung durchgeführt werden kann, wenn es sich um eine Angelegenheit »von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung« handelt, »für deren Regelung der Bundesgesetzgeber zuständig ist«. Doch keine dieser Fragen, die die EU betreffen, fällt in den Entscheidungsbereich der isolierten österreichischen Regierung oder des Parlaments. Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk meint dazu: »Man müsste einige Verrenkungen machen, um Formulierungen für die Volksbefragung mit den Vorgaben der Verfassung in Einklang zu bringen.«

Für Wolfgang Schüssels Realitätsverlust spricht auch seine Legende von der Volksbefragung als dem Kern eines neuen, eines prächtigen Europa mit Wolfgang Schüssel als Ideengeber. Ausgerechnet die österreichische Regierungskoalition spielt sich mit ihrem Fragebogen als Bewahrerin der Bürgerrechte in der EU auf. Mit dem Referendum will man sich am Wiener Ballhausplatz offensichtlich als die Unschuld aus den Alpen darstellen, die von den machttrunkenen Autokraten in Brüssel unterdrückt wird.

Bis zum Herbst wird die Volksbefragung Wolfgang Schüssel auf Trab halten: Er muss Jörg Haider in den nächsten Monaten ruhig stellen, damit der Bericht der drei Weisen, die vom Präsidenten des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes, Luzius Wildhaber, ausgewählt werden, nicht zum Desaster wird. Doch schon zeichnet sich ab, dass dies dem Kanzler nicht gelingen wird: Jörg Haider hat bereits angekündigt, die französische EU-Präsidentschaft zu boykottieren. »Den Gipfel in Nizza können die sich sparen«, so der Rat des FPÖ-Chefs.

Sollte die Volksbefragung tatsächlich stattfinden, hat Schüssel nur eine Chance: Er muss eine möglichst hohe Beteiligung erreichen. Aber das wird nicht so einfach sein. Nach neuesten Umfragen wollen nur knapp 40 Prozent der Bewohner des »kleinen kotelettförmigen Lands« (Titanic) an der Befragung teilnehmen. Seine zumindest bisher Europa-freundlich gesinnte Österreichische Volkspartei (ÖVP) versagt Schüssel bereits jetzt teilweise die Gefolgschaft: Der EU-Kommisar Franz Fischler, ein Parteigänger Schüssels, meinte, er werde nicht zur Befragung gehen, weil »dadurch die Lösung des Problems nicht gerade erleichtert wird.« Und der ehemalige ÖVP-Fraktionschef Heinrich Neisser nannte die Volksbefragung eine »Groteske«.

Doch nur wenn die Beteiligung an dem Referendum ausreichend hoch ist, kann die Regierungskoalition das Ergebnis zum Persilschein vom Volk erklären, mit dem man sich bei allen künftigen politischen Amokläufen rechtfertigen kann. Ein großer Vorteil der Volksbefragung ist auch, dass sie die politische Diskussion in nächster Zeit bestimmen wird. So können während der kommenden Monate still und weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit unpopuläre Maßnahmen wie etwa eine radikale Kürzung der Sozialausgaben um rund 40 Milliarden Schilling (rund 2,9 Milliarden Euro) durchgeführt werden. »Diese Volksbefragung ist für die Regierung eine willkommene Nebelwand«, kommentiert der Chef der österreichischen Grünen, Alexander van der Bellen.

Auch bei den EU-14 ist die Drohung mit der Volksbefragung und das damit verbundene Ultimatum Schüssels, bis spätestens Oktober die Sanktionen aufzuheben, nicht gut angekommen. So machte Frankreichs Premier Lionel Jospin in der Volksbefragung einen »Erpressungsversuch« der österreichischen Regierung aus.