Nach der Wahl in Mexiko

PRI ist nur noch alter Käse

Widersprüchlicher Wahlsieg des Rechtspopulisten Fox in Mexiko: Der PRI ist von der Macht verdrängt, die katholische Kirche geht in die Offensive.

Vicente Fox heißt der strahlende Sieger der Präsidentschaftswahlen in Mexiko. Der leger auftretende Rechtspopulist hat am 2. Juli das Kunststück vollbracht, die dienstälteste Regierungspartei der Welt aus dem Präsidentenpalast zu stoßen. 71 Jahre lang hatte die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) Mexiko im Griff, jetzt macht sie schlapp.

Jubel, Verwirrung und Misstrauen in Mexiko liegen nun nahe beieinander: Wie kommt es, dass der machtverliebte PRI-Verein scheinbar ohne Widerstand abdankt, wundert man sich. Kommt nun endlich die ersehnte Demokratie und der Wohlstand für alle, wie Fox seinem Wahlvolk mit Pathos versprochen hat? Oder bedeutet der Triumph des ehemaligen Coca-Cola-Managers das Wiederaufleben des katholischen Mittelalters und der »obzönsten Reaktion«, wie der Schriftsteller Fernando del Paso vor den Wahlen befürchtete?

Misst man Fox an seinen Ankündigungen, wird sich, oberflächlich betrachtet, gar nicht so viel verändern. »Wir wollen den Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung fortsetzen«, sagte er letzte Woche versammelten Geschäftsleuten und meinte damit das rigorose neoliberale Umstrukturierungsprogramm, das der PRI seit Anfang der achtziger Jahre durchsetzt. Das ist freilich nicht verwunderlich. Die Partei der Nationalen Aktion (Pan), für die Fox kandidierte, trägt seit Jahr und Tag den wirtschaftspolitischen Kurs des PRI mit. Das trug ihr die Qualifizierung als »loyale Opposition« ein.

Sein Kabinett möchte der neue Präsident aus Fachleuten aller Parteien zusammensetzen. »Ich möchte ein Projekt, das über den Parteien, den Personen und Fox steht. Mich interessiert ein Konsensprojekt«, umreißt er sein Programm. Fox hat - beraten von Ex-Linken wie dem Publizisten Jorge Casta-eda - den modernen Stil der Nichtpolitik nach Art von Tony Blair, Gerhard Schröder und Bill Clinton bestens gelernt. Neoliberalismus wird der scheinbar unumstößliche Sachzwang genannt, der nach technokratischer Umsetzung durch die besten »Experten« verlangt. Um freie Hand zu gewinnen, hat sich Fox bereits während des Wahlkampfes, und verstärkt nach seinem Sieg, von seiner eigenen Partei distanziert.

Auch den Annäherungskurs Mexikos an die USA will Fox mit Nachdruck weiter fortsetzen: »Wir wollen wirkliche Partner, Nachbarn und Freunde werden«, richtete er seine Grußbotschaft nach Norden. Dort rennt Fox offene Türen ein. Politik, Wirtschaft und Medien in den USA reagieren warmherzig auf den Mann, der sich gerne in Jeans und Cowboystiefeln zeigt.

Für die Geschäftswelt bietet der Umbruch in Mexiko also keinen Grund zur Aufregung. Fox wird in ihrem Interesse regieren. Hierin liegt auch die Ursache für die merkwürdige Opferhaltung des PRI. Der noch amtierende Präsident Ernesto Zedillo und PRI-Kandidat Francisco Labastida hatten noch in der Wahlnacht Fox' Sieg anerkannt.

Während Zedillo versucht, als »mexikanischer Gorbatschow« seinen Platz in den Geschichtsbüchern zu finden, stößt sein Verhalten auf erbitterte Kritik aus dem Parteiapparat. Auf einer Sitzung der Parteiführung wurde er als »Verräter« bezeichnet, weil er den Wahlsieg der Opposition anerkannt hatte. Denn obwohl die dominanten Interessen der Eliten durch den Machtwechsel nicht berührt werden, bedeutet der Wahlsieg des Pan für regionale Statthalter und viele Tausend Funktionäre der ehemaligen Staatspartei PRI eine akute Gefährdung ihrer angestammten Pfründe, welche sie nicht ohne Widerstand aufgeben werden. Die Diadochenkämpfe innerhalb der PRI sind nun in vollem Gang. Nach der Niederlage der Technokraten unter Zedillo wittern die als »Dinosaurier« bezeichneten Hardliner wieder Chancen.

Vieles deutet indes darauf hin, dass die PRI vollständig zerbrechen könnte. »Wir haben die Präsidentschaft verloren und wir könnten die Partei verlieren«, meint etwa José Murat, PRI-Gouverneur von Oaxaca. Diese Einschätzung ist vor allem deshalb nicht unrealistisch, weil die Partei seit Jahrzehnten kaum etwas anderes als einen Apparat zur Aufteilung und Aushandlung von Machtquoten darstellte. Nachdem sie diese Funktion verloren hat, gibt es keine politische Klammer mehr, welche die Machtgruppen zusammenhalten könnte. Die meisten der lokalen Statthalter werden sich mit der neuen Regierung arrangieren. Dabei wird es freilich zu Reibungen kommen, die auch gewalttätig ausgetragen werden können, wie Massenschlägereien zwischen PRI- und Pan-Unterstützern letzte Woche deutlich machten.

Während auf wirtschaftspolitischer Ebene mit Fox Kontinuität statt Bruch angesagt ist, bahnen sich auf kulturpolitischen und sozialpolitischen Feldern heftige Konflikte an. Insbesondere die umstrittene Rolle der katholischen Kirche bietet Zündstoff. Nach dem Wahlsieg des bekennenden Katholiken Fox geht der Klerus in die Offensive. Die Mexikanische Bischofskonferenz hat bereits angemeldet, dass es jetzt an der Zeit sei, mehr katholische Schulen zu eröffnen. Derzeit gehen nur fünf Prozent der Schüler in religiöse Schulen.

Auch über die Geschichtsinterpretation müsse neu geredet werden, fordern die Bischöfe. Insbesondere der Cristero-Krieg in den zwanziger Jahre solle neu bewertet werden. Damals rebellierten vom der Kirche angestachelte Bauern gegen den antiklerikal-jakobinischen Kurs der nach der Revolution neu entstandenen PRI, welche die strikte Trennung von Kirche und Staat durchsetzte. Bis in die jüngste Vergangenheit war das Verhältnis zwischen PRI und Vatikan äußerst frostig. Der Pan wurde in den späten dreißiger Jahren als katholische Oppositionspartei gegen den damaligen linkspopulistischen PRI-Präsidenten Lazaro Cárdenas gegründet. Seine ideologischen Wurzeln liegen in einem Klerikalfaschismus, den er von General Franco aus Spanien übernahm.

Obwohl die meisten Mexikaner eifrige Christen sind, fürchten doch viele den nach Fox' Wahlsieg wachsenden politischen Einfluss der Kirche. Insbesondere Frauen- und Homosexuellen-Organisationen schlagen Alarm, aber auch viele kritische Intellektuelle warnen vor dem moralischen Rigorismus des Pan.

Auch die organisierte Arbeiterbewegung hat zu Wachsamkeit aufgerufen. Der an die PRI angegliederte Gewerkschaftsverband CTM sieht die »historischen Errungenschaften der Arbeiter« gefährdet, nachdem die Rechte die Macht übernommen hat. Obwohl diese Reaktion der CTM getrost als Witz abgetan werden darf, weil es gerade die offiziellen Gewerkschaften waren, welche als Büttel der Partei in den letzten Jahren die übelsten Attacken auf die Arbeiter unternahmen und auf autoritärste Weise jeglichen Widerstand dagegen disziplinierten, kündigt die Erklärung doch eine neue Entwicklung an. Der Zerfall des PRI könnte die Entstehung einer Gewerkschaftsbewegung, die sich dem staatlichen Zugriff verweigert, ermöglichen.

Die Rechte hat in Mexiko nach dem 2. Juli zwar allen Grund zu feiern, aber als rechter Kantersieg kann das Wahlergebnis kaum interpretiert werden. Fox präsentierte sich hauptsächlich als Erlöser vom PRI-Regime und nicht als katholischer Neoliberaler. Viele Linke, darunter prominente Ex-Kommunisten, hatten öffentlich dazu aufgerufen, ihn zu wählen, weil seine Kandidatur die einzige Chance bot, den PRI zu stürzen.

Mit der Staatspartei verschwinden nun auch Instrumente wie die CTM, mit denen soziale Bewegungen in Mexiko stets kontrolliert wurden. In dieser neuen Offenheit könnte die Chance der Linken liegen, trotz Wahlniederlage bald wieder in die Offensive zu kommen. Die Partei der Demokratischen Revolution (PRD), deren Kandidat Cuauhtémoc Cárdenas mit 17 Prozent der Wählerstimmen schlecht abschnitt, scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Die Parteiführung beschloss, nicht an der Fox-Regierung mitzuwirken, wie dieser angeboten hatte. PRD-Generalsektretär Jesœs Zambrano Grijalva meint gar: »Wir werden uns in die einzige und wirkliche Opposition in diesem Land verwandeln.«

Zumindest die Guerillas EZLN, EPR und ERPI dürften zunächst von der neuen Situation profitieren. Es ist unwahrscheinlich, dass Fox, der sich als Messias der Demokratie feiern lässt, schnell auf die militärische Karte setzen wird, um die bewaffnete Opposition zu brechen. Das dürfte deren politischen Spielraum erweitern.